Bochum. Anfang 1985 herrschte Ausnahmezustand im Ruhrgebiet. Fahrverbot für Autos, es gab sogar Straßensperren. Was damals passierte – wir erinnern.
Dicke Luft, wenige Meter Sicht. 40 Jahre ist es her, dass das Ruhrgebiet einen historischen Moment erlebt hat: Im Januar 1985 wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Smog-Alarm der Stufe 3 ausgerufen. Viele Städte des Reviers waren stark von den Folgen des Smogs betroffen – auch Bochum. Die Stadt lag unter einer dichten Dunstglocke, die das tägliche Leben lahmlegte und die Bewohner in Atemnot brachte. Doch wie schlimm war die Lage wirklich? Und wie wahrscheinlich ist es, dass es noch einmal zu so einem Ereignis kommt?
1985: Eisiger Winter begünstigt Smogbildung
Der Januar 1985 war ungewöhnlich kalt und windstill. Diese Wetterbedingungen führten zu einer sogenannten Inversionswetterlage: Eine warme Luftschicht schob sich über die kalte Luft am Boden und blockierte den natürlichen Luftaustausch. Die Abgase aus Autos, Heizungen, Kraftwerken und Industrieanlagen sammelten sich unter dieser Dunstglocke und führten zu einer gefährlichen Konzentration von Schadstoffen in der Luft. Besonders Schwefeldioxid und Schwebstaub erreichten besorgniserregende Werte – nicht nur im Ruhrgebiet: „Das hätte auch in der Lüneburger Heide für Smogalarm Stufe 2 ausgereicht“, erklärt Frank Uekötter, Professor für Umweltgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. „Aber im Ruhrgebiet gab es eben ein ausgefeiltes Warnsystem, das in anderen Regionen fehlte.“
Am 17. Januar 1985 wurde in Bochum und anderen Teilen des Ruhrgebiets also Smog-Alarm der Stufe eins ausgerufen. Die Bürger wurden aufgefordert, auf das Autofahren zu verzichten, und die Industrie sollte schwefelstoffärmere Kohle verfeuern. In den folgenden Tagen verschlimmerte sich die Lage weiter. Bereits am nächsten Tag rief die NRW-Landesregierung unter Gesundheitsminister Friedhelm Farthmann (SPD) die höchste Alarmstufe drei aus – ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Schwebstaub überschritt an einigen Messstellen den Grenzwert von 1,7 Milligramm pro Kubikmeter.
Bochum im Ausnahmezustand: Straßensperrungen und Risikogruppen
In Bochum herrschte Ausnahmezustand. Die Straßen waren teils gesperrt, wirkten wie leergefegt, da ein Fahrverbot für Autos verhängt wurde, erinnern sich Nutzerinnen und Nutzer des sozialen Netzwerks Facebook unter Beiträgen zum Thema. Schulen blieben geschlossen, und viele Betriebe mussten ihre Arbeit einstellen. „Es war gespenstisch still. Man sah nur einen fahlen, gelben Nebel, der auch nicht besonders gut roch“, erinnert sich ein Zeitzeuge in einem Kommentar. Die Sichtweite betrug teilweise nur wenige Meter, und die Behörden warnten vor gesundheitlichen Risiken. Insbesondere Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Atemwegsproblemen empfahlen sie, zu Hause zu bleiben.
Auch im Bochumer Stadtpark, einer der grünen Lungen der Stadt, wurden die Grenzwerte für Schadstoffe überschritten. Eine ehemalige Mitarbeiterin eines dort anliegenden Betriebs erinnert sich, nach Hause geschickt worden zu sein. Anderen Bochumerinnen und Bochumern ist vor allem die ungewöhnliche Stille und die bedrückende Atmosphäre der damaligen Zeit noch präsent. „Ich erinnere mich auch noch daran, dass die Straßen frei waren, weil kein Auto fahren durfte, und wir sind mitten auf der Straße gelaufen“, berichtet eine weitere Bochumerin auf Facebook.
Ruhrgebiet vor Smog-Alarm eigentlich schon auf gutem Weg
Doch obwohl der Smog-Alarm von 1985 ein dramatisches Ereignis war, ist er laut Professor Frank Uekötter in gewisser Weise auch ein „Anachronismus“. Das Ruhrgebiet sei bereits seit den späten 1950er Jahren Vorreiter in Sachen Luftreinhaltung gewesen. „Es war längst auf dem Weg, saubere Luft zu bekommen“, erklärt Uekötter. „Alle notwendigen Maßnahmen waren bereits in die Wege geleitet, einschließlich der Smog-Verordnung, die überhaupt erst den Alarm ermöglichte.“
„Das Ruhrgebiet war längst auf dem Weg, saubere Luft zu bekommen. “
Eine der entscheidenden Maßnahmen sei dabei die Einführung der Rauchgasentschwefelung in Kraftwerken gewesen. Diese Technologie, die seit den 1970er Jahren verfügbar gewesen sei, wäre im Zuge der Debatte um das Waldsterben in den 1980er Jahren flächendeckend eingeführt worden. Die sogenannte Großfeuerungsanlagenverordnung von 1983 verpflichtete Kraftwerke und Industrieanlagen, ihre Emissionen drastisch zu reduzieren. 14 Milliarden deutsche Mark habe das gekostet. „Das war eine große Investition, die sich langfristig aber auszahlte“, so Uekötter.
Anti-Smog-Maßnahmen haben langfristige Wirkung
Der Smog-Alarm von 1985 war ihm nach somit aber nicht nur ein kurzfristiger Schock, sondern auch ein Lehrstück für die Bedeutung langfristiger Umweltpolitik. „Bei Umweltproblemen kommt es darauf an, langfristig die richtigen Weichen zu stellen“, betont Uekötter. „Die Maßnahmen, die damals getroffen wurden, haben dazu geführt, dass wir heute solche Smog-Wetterlagen nicht mehr erleben.“
„Heute produzieren wir einfach nicht mehr genug Schwefeldioxid, um noch einmal einen solchen Smog zu erzeugen.“
Tatsächlich hat sich die Luftqualität im Ruhrgebiet seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts deutlich verbessert. Die Einführung von Katalysatoren in Autos, die Reduzierung der Kohleverstromung und die strengeren Umweltauflagen für Industrieanlagen haben dazu beigetragen, dass die Schadstoffbelastung drastisch gesunken ist. „Heute produzieren wir einfach nicht mehr genug Schwefeldioxid, um noch einmal einen solchen Smog zu erzeugen“, erklärt Uekötter.
Zur Einordnung: Wurden während des Smog-Alarms im Januar 1985 noch Grenzwerte von 1,7 Milligramm Schwefeldioxid und Schwebstaub pro Kubikmeter Luft überschritten, maß das Landesumweltamt (LANUV) im Jahr 2024, fast vier Jahrzehnte später, Schwefeloxidwerte von 23 bis 29 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft – eine Belastung, die nicht einmal bei zwei Hundertsteln der Belastung liegt, die während des Smog-Alarms gemessen wurde.
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