Bochum. Radioaktives Geschirr, gefährliche, entzündliche Stoffe: Viele Haushalte lagern giftige Substanzen. So werden Bochumer USB-Kräfte sensibilisiert.
Mit gefährlichen Stoffen aller Art, die in Kellern, Garagen und unterm Dach von Privathaushalten schlummern, dort aber nicht schlummern sollten, weil sie giftig und entzündlich sind, kennt sich ein Bochumer besonders gut aus: Bernhard Jäger. Er ist Geschäftsführer der „Gefahrgutjäger GmbH“ in Bochum. „Fehlverhalten ist eher Standard“, sagt er.
Eines Tages bringen die Menschen sie zu einem Wertstoffhof. Und deshalb bildet die Firma aus Linden Mitarbeitende von Wertstoffhöfen aus, auch solche des USB Bochum, damit sie besser wissen, mit welchen Substanzen sie es zu tun haben, die die Bürgerinnen und Bürger dort abgeben. „Wir sind mit dieser Qualifizierungsmaßnahme bundesweit die einzigen, die so etwas anbieten. Wir sind die einzigen am Markt“, sagt Jäger.
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Alte Farben, Spraydosen, Pflanzenschutz- und Unkrautvernichtungsmittel, Batterien, Leuchtstoffröhren, Säuren, Laugen, scharfe Reinigungsmittel wie etwa WC-Cleaner, Autopflegemittel, Öle, Chlorverbindungen, verdreckte Putzlappen: All dies sind gefährliche Stoffe, die in mehr oder weniger allen Haushalten irgendwo in der Ecke stehen und irgendwann an einer USB-Abgabestelle landen. In den meisten Fällen ist den USB-Mitarbeitern am Anfang gar nicht genau klar, mit welchen Substanzen sie es genau zu tun haben, weil entweder die Beschriftung nicht mehr vorhanden oder nicht mehr lesbar ist oder sie in fremde Gefäße umgefüllt worden sind.
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USB-Kräfte in Bochum brauchen eine Menge Fachwissen
Außerdem sind einige Produkte heute aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes gar nicht mehr zugelassen, etwa Holzschutzlacke aus den 70er- und 80er-Jahren, wie Bernhard Jäger sagt. Deshalb müssen die USB-Kräfte eine Menge Fachwissen auch in den Bereichen Chemie und Physik haben.
Die Gefahrgutjäger (21 Festangestellte) bieten deshalb in Zusammenarbeit mit der örtlichen IHK eine chemiespezifische Qualifikation für Quereinsteiger an, die heute an den Wertstoffhöfen arbeiten, zum Beispiel ehemalige Kraftfahrer. Es geht um naturwissenschaftliche Grundlagen und die Auswirkungen von Chemikalien und anderen Giften auf Mensch und Natur.
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Ganz aktuell sind neue „Technische Regeln für Gefahrstoffe“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gesetzlich in Kraft getreten („TRGS 520“), die Beschäftigte an Wertstoffhöfen beachten müssen.
Bereits rund 90 Leute, die an kommunalen und privaten Abgabestellen arbeiten, hat die Gefahrgut GmbH in den letzten fünf Jahren mit diesem Lehrgang ausgebildet. „Sie kommen aus dem ganzen Ruhrgebiet, aber auch aus Bremen, Berlin, Hamburg, Rostock“, sagt Prokurist Matthias Diercks. Drei Monate dauert der Kurs, in Vollzeit.
Gift E605 seit mehr als 20 Jahren verboten – trotzdem lagert es noch in manchen Haushalten
In den Kursen lernen die Teilnehmer auch die Eigenschaften von noch viel gefährlicheren Stoffen als alten Lacken, Farben und Lösemitteln. Firmenchef Jäger berichtet zum Beispiel von alten Elektrobauteilen wie PCB-haltigen Kondensatoren, von dem früher sehr bekannten Kontaktgift E605, das zum Beispiel gegen Fraßtiere im Garten eingesetzt worden war und schon seit mehr als 20 Jahren streng verboten ist. „Sowas findet man in Garagen immer noch“, sagt Jäger.
Der Gefahrgut-Spezialist berichtet sogar von Porzellan, das Uranerz und somit radioaktive Spuren enthält. In den 70er- und 80er-Jahren sei dies verwendet worden, um einen auffallenden Farbton in Orange und Gelb zu erzielen. Ein solches Geschirr aus dieser Zeit enthalte „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ Uran.
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Wer zu Hause in der Garage oder im Schuppen noch reichlich gefährliche Stoffe lagert, sollte nicht glauben, dass sie ihre Wirksamkeit eines Tages verlieren. „Die meisten Stoffe erhalten auch nach Jahrzehnten noch ihre Intensität und Potenz“, sagt Jäger. Außerdem können sie auslaufen, wenn der Behälter nicht geeignet ist wie zum Beispiel ein Tetrapack. Nicht zuletzt bilden sie im Falle eines Feuers eine enorme Brandlast.
Bei Munition und Waffen: Polizei anrufen
Auch uralte Munition und uralte Waffen lagern noch in Haushalten, oftmals vererbt. Auch dies zählt zu gefährlichen Stoffen, die nicht in einen Haushalt gehören. Und auch nicht in der Öffentlichkeit transportiert werden dürfen.
Wer solche Gegenstände entsorgen will, sollte sie nicht selbst zu einer Abgabestelle bringen, sondern vorher erst die Polizei oder Feuerwehr anrufen und um Auskunft bitten, was zu tun ist.
Völlig tabu ist es, gefährliche Stoffe in einen Lebensmittelbehälter wie etwa ein Marmeladenglas umzufüllen. Das ist sogar ein Straftat – weil eine tödliche Verwechslungsgefahr droht.
Insgesamt hält Jäger das Bewusstsein der Menschen für die Tücken und Risiken gefährlicher Haushaltstoffe für „sehr gering und beschränkt“. Das naturwissenschaftliche Verständnis dafür sei „recht dürftig“, auch weil die Schulausbildung in der Vergangenheit versagt habe. Viele Menschen seien daher heute in diesem Punkt „überfordert“.