Mülheim. Januar 1985: Die Schadstoffbelastung in der Luft steigt auf Rekordwerte. Die Folgen für Mülheim? Produktionsstopps, Staus und wütende Autofahrer.
Von Klimawandel ist vor 40 Jahren noch keine Rede. Trotzdem erleben auch die Mülheimerinnen und Mülheimer im Januar 1985, wie es ist, wenn die Luft zum Atmen knapp und aus dem Nebel Smog wird. Smog verbindet die englischen Wörter Smoke/Rauch und Fog/Nebel. Weil eine warme Luftmasse sich über eine bodennahe Kaltluftfront legt und damit auch Schwefeldioxid und Feinstaub wie unter einer Dunstglocke festhält, wird es zwischen dem 16. und dem 21. Januar 1985 nicht nur nebelig, sondern auch gesundheitsgefährdend.
Zwischen dem 17. und dem 19. Januar spitzt sich die Situation zu. Die Ergebnisse einer Messstation an der Neustadtstraße in Styrum zeigen, dass die vom NRW-Gesundheitsministerium festgelegten Schadstoffgrenzwerte von 300 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft um bis zu 50 Prozent übersteigen.
Krisenstab: Smog-Alarmstufe 3 in Mülheim
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Der damalige Gesundheitsminister Friedhelm Fahrtmann weist das Gesundheitsamt per Fernschreiben dazu an, zunächst die Smog-Alarmstufe 2 und dann sogar die Alarmstufe 3 auszulösen. Die Bevölkerung wird über die Lokalpresse und durch Lautsprecherwagen informiert, die durch die Straßen fahren. Im Gesundheitsamt bildet sich ein Krisenstab. 86 Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr und des Technischen Hilfsdienstes errichten stadtweit 36 Kontrollpunkte, an denen privaten Fahrzeugen, ohne Ausnahmegenehmigung, die Einfahrt in die Smog-Sperrzonen verwehrt wird.

Nur Busse, Bahnen, Taxis, Polizei- und Rettungsfahrzeuge dürfen weiterfahren. Alle anderen Fahrzeuge brauchen eine Sonderfahrerlaubnis. Deshalb wird das damals von Gerd Walter Bethge geleitete Ordnungsamt von 6000 Anträgen auf eine berufsbedingte Ausnahmefahrerlaubnis überflutet. Am Ende werden 2000 Ausnahmegenehmigungen erteilt. „Die Leute stehen bis auf die Straße. Unser größtes Problem ist der Egoismus einiger Leute. Das ist teilweise Psychoterror. Die Leute machen Druck, um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Manche drohen uns mit Regressforderungen“, berichtet Bethge in der Lokalpresse.
Smog-Alarm in Mülheim legt Industrie und Betriebe lahm
„Smog-Alarm legt die Industrie lahm!“ und „Die Busse sind übervoll!“ lauten lokale Schlagzeilen dieser Tage. Die Friedrich-Wilhelms-Hütte, die Mannesmann Röhrenwerke und die Mülheimer Lederfabriken müssen zeitweise ihre Produktion einstellen. Nicht nur beim Ordnungsamt, bei der Polizei und bei der Feuerwehr, sondern auch in der Lokalredaktion klingeln Bürger an und wollen wissen, wann und wie sie wo zur Arbeit fahren können.
Der Leiter der städtischen Verkehrsbetriebe, Werner Foerster-Baldenius, setzt an den Smog-Tagen vier zusätzliche Straßenbahnen und neun zusätzliche Busse ein, um „den erheblichen Zuwachs an Fahrgästen“ bewältigen zu können. Außerdem werden Busse und Bahnen durch den Wegfall des Schülerverkehrs entlastet. Denn Schülerinnen und Schüler bekommen zwischenzeitlich smogfrei. Dennoch kommt es im Öffentlichen Personennahverkehr, wie die Lokalpresse berichtet „zu Verspätungen von bis zu 20 Minuten, weil viele Fahrgäste ihre Billetts beim Fahrer kaufen“.
Styrum, Unterdümpten und Speldorf – smogbelastete Sperrzonen

Beschwerden über zu hohe Fahrkartenpreise weist Betriebsleiter Foerster-Baldenius mit der Feststellung zurück: „Wären sie früher öfter mit Bussen und Bahnen gefahren, wären die Fahrkarten heute billiger!“ 100 Autofahrer werden an den Smog-Tagen an den Kontrollstellen aufgehalten. 50 von ihnen sind so uneinsichtig, dass sie mit einem Bußgeld von 80 D-Mark und einem Punkt im Flensburger Register der Verkehrssünder zur Vernunft gebracht werden müssen.
Die meisten Autofahrer machen an den Kontrollstellen Halt und steigen auf Busse und Bahnen um, um die besonders smogbelasteten Sperrzonen, etwa in Styrum, in Unterdümpten, im nördlichen Speldorf und im erweiterten Innenstadtbereich passieren zu können. Nur einmal durchbricht ein erzürnter LKW-Fahrer eine Kontrollschranke.
Wütende Autofahrer und hilfsbereite Mülheimer

Am Straßenrand geparkte Autos und autofreie Straßen prägen das Bild. Die Stadt richtet stadtweit 3000 zusätzliche Stellplätze ein, damit Autofahrer am Rande der Sperrzonen parken und mit Bus und Bahn weiterfahren können.
Einige der Kontrollposten werden in diesen winterlichen Smog-Tagen aber nicht nur von wütenden Autofahrern beschimpft. Ihnen reichen Anwohner Kaffee, Tee und Würstchen zur Stärkung. Am 21. Januar wird der Smog-Alarm wieder aufgehoben. Denn ein Tiefdruckgebiet, das jetzt für Glatteis und Hochwasser sorgt, bläst die Smog-Wolke über der Ruhr weg.
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