Bochum-Stiepel. Ohne Ruhr geht es nicht, mit aber auch kaum noch. Ein Dilemma für den Bochumer Kanu-Club Wiking. Der Fluss bereitet gleich vier Probleme.
Das Vereinsheim des Kanu-Clubs (KC) Wiking Bochum liegt etwas versteckt, an einem Hang oberhalb des Restaurants „Zur alten Fähre“ in Bochum-Stiepel. Bis zur Ruhr sind es nur ein paar Meter. Im Kanusport ist der Verein als Olympia-Talentstützpunkt eine große Nummer, immer wieder werden hier erfolgreiche Sportler hervorgebracht. Darauf ist man beim KC auch mächtig stolz. Doch eben diese starke Nachwuchsarbeit sieht man nun gefährdet. Ausgerechnet wegen der Ruhr.
Vier Probleme mit der Ruhr: Bochumer Sportverein sorgt sich um den Nachwuchs
Der KC Wiking steckt aktuell nämlich in einem echten Dilemma: Die Sportler brauchen die Ruhr, um trainieren zu können. Doch der Fluss macht dies leider immer seltener möglich. „Aktuell bleiben uns vielleicht 400 Meter, auf denen wir die Kinder ruhigen Gewissens aufs Wasser lassen können“, sagt der Vorsitzende Peter Mühlenkamp. Abseits dieses Bereichs sei es inzwischen viel zu gefährlich. Und selbst rund um den vereinseigenen Bootsanleger auf Höhe des Restaurants werde es mitunter schwierig.
Diese Texte haben viele Menschen interessiert
- Decathlon zieht in Bochumer Ruhrpark – Standort überrascht
- Doch kein Abriss: Bochumer will historischen Altbau retten
- Drei Jahre im Camper: Warum diese Familie nun ein Zuhause sucht
„Wir haben hier mit vier Problemen zu kämpfen“, berichtet Mühlenkamp und zählt auf: „Immer öfter Hochwasser, eine zu starke Strömung durch die Turbinen des Wasserkraftwerkes, Verletzungsgefahr durch vernachlässigte Buhnen und viel Trubel an sonnig-warmen Tagen.“ Insgesamt werde es auf dem Ruhr-Abschnitt zwischen Wehr/Kemnader See und dem Wasserkraftwerk immer unberechenbarer. „Vor allem für unsere Kinder. Und die führen wir immer erst auf der Ruhr an den Kanusport heran, ehe es später auf den Kemnader See geht. Die brauchen einen geschützten Raum“, erklärt der 52-Jährige, der selbst 1984 als Schüler das erste Mal ins Kanu stieg.
„Wir sind vor allem auf den Kanurennsport für die Jugend ausgerichtet. Ohne Nachwuchs haben wir keine Chance.“
Öfter als früher mache den Kanuten Hochwasser zu schaffen. „Als es jetzt einen Tag lang geregnet hat, stieg die Ruhr sofort an“, berichtet Mühlenkamp. Sonst habe das länger gedauert. Mit steigendem Pegel erhöhe sich auch die Gefahr für die Sportler. „Und bei Hochwasser lösen sich auch immer wieder schwere Befestigungssteine von den Buhnen. Diese rutschen dann in die schmale und sehr flache Fahrrinne in der Mitte der Ruhr. Wer da hineinfällt und dagegen stößt, kann sich schwer verletzen.“
Bochumer Kanuten beklagen: Die Strömung der Ruhr wird immer gefährlicher
Dass die Buhnen (die schmalen Landzungen, die zu beiden Seiten in die Ruhr ragen) von der Bezirksregierung Düsseldorf entfernt oder der Natur zurückgeführt werden sollen, sorge Jahr für Jahr für eine Veränderung des Flusslaufs und der Strömung. Diese sei auch im Bereich des Wasserkraftwerkes stärker geworden. Seit dieses vor sechs Jahren zu einer reinen Stromfabrik umgebaut worden sei, beklagt Mühlenkamp.
+++Was macht die WAZ Bochum eigentlich bei Instagram? Die Redakteurinnen Inga Bartsch und Carolin Muhlberg geben im Video einen Einblick.+++
Dem Verein sei schon geholfen, wenn die Stadtwerke an drei Nachmittagen pro Woche für zwei Stunden die Turbinen herunterfahren würden, so Mühlenkamp. Und wenn der Ruhrverband den Zufluss vom Wehr am Kemnader See anders regulieren könnte. Beim vierten Problem sei man hingegen machtlos. „Wenn im Sommer an schönen Tagen die Leute auf dem Steg liegen und im Wasser schwimmen, ist an Training nicht zu denken“, sagt der Vereinsboss. „Das ist dann lebensgefährlich. Die Kinder können noch nicht richtig lenken und Gefahren einschätzen.“ Doch den Tourismus an der Ruhr zu kontrollieren, sei kaum zu machen, weiß Mühlenkamp.
Durch die erschwerten Trainingsbedingungen sieht der KC Wiking inzwischen seine Existenz gefährdet. „Wir sind vor allem auf den Kanurennsport für die Jugend ausgerichtet“, erklärt Peter Mühlenkamp. „Ohne Nachwuchs haben wir keine Chance.“ Von zehn Kindern schaffe es eines in den Leistungsbereich. Heißt: Je mehr Kinder, umso höher ist die Chance auf ein Talent wie David Bauschke, der zuletzt Dritter bei der U23-WM wurde und Mitglied im Olympia-Perspektivkader ist. Auch Mühlenkamps Töchter Judith und Lilith paddeln auf höchstem Niveau.
Stadtwerke Bochum: „Können Turbinen des Wasserkraftwerks nicht abschalten“
Die Stadtwerke als Betreiber des Wasserkraftwerks sehen sich nicht in der Lage, zu helfen. „Eine vorübergehende Abschaltung der Turbinen ist technisch nicht vorgesehen und mit unverhältnismäßigem Aufwand Versehen, abgesehen von nennenswerten Ausfällen in der Stromproduktion“, teilt Unternehmenssprecher Christian Seger auf Anfrage mit.
+++ Folgen Sie der WAZ Bochum auf Facebook! +++
Es sei zudem unwahrscheinlich, dass die Turbinen die starke Strömung verursachen. „Wassermengen, die nicht über die Turbinen abgeführt werden, fließen automatisch an der Wasserkraftanlage vorbei“, erklärt Seger. Und: „Zu Wasserwerkszeiten wurden sechs Turbinen über den Ruhrabfluss betrieben. Vier der Turbinen haben Pumpen und zwei Turbinen haben Generatoren angetrieben. Die Wasserkraftanlage produziert seit dem Jahr 2018 den Strom über vier Turbinen. Somit kann man sagen, dass der maximale Anlagendurchfluss durch den Umbau bereits um ein Drittel reduziert wurde.“
Schlecht für Wassersportler: Nasse Jahren sorgen für mehr Hochwasser auf der Ruhr
Ein „nicht zu verkennender Einfluss auf die Strömung“ sei auf die Niederschläge entlang der Ruhr zurückzuführen, oberhalb der Wasserkraftanlage. „Diese haben direkten Einfluss auf den Ruhrabfluss“, sagt Seger. „Wir blicken hier, gemessen an den Niederschlägen, auf nasse Jahre und vor allem Sommer zurück und damit einhergehend auf erhöhte Abflüsse.“
„Was in den Kemnader See fließt, fließt unten auch wieder raus. Da haben wir wenig Einfluss.“
Das bestätigt auch der Ruhrverband. Dass sich die Ruhr bei Regen so schnell fülle, liegt laut Sprecherin Britta Balt an dem „wassergesättigten Boden“ und der im Herbst fehlenden Vegetation, die Wasser aus dem Boden ziehen würde. Wie viel Wasser die Ruhr führt, könne der Ruhrverband auch nur minimal beeinflussen. Das gehe nur über die Talsperren, wo man Wasser zurückhalten könne. „Das hingegen, was in den Kemnader See fließt, fließt unten auch wieder raus.“ Da gebe es nichts zu regulieren, „demnach ist unser Einfluss begrenzt“. Doch dieser Erwartungshaltung begegne man immer wieder, so Balt.
+++ Lesen Sie mehr Nachrichten aus Bochum! +++
Dass sich die Trainingsbedingungen für die Kanuten in jüngster Zeit verschlechtert hätten, liege an den nassen Jahren 2023 und 2024, erklärt Britta Balt. „Davor war es 14 Jahre trockener als im Durchschnitt. Da mussten wir über die Talsperren eher dafür sorgen, dass die Ruhr ausreichend gefüllt ist.“ Auch da habe man wenig Handhabe.
Buhnen zerfallen nach und nach
Von der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf wird eingeräumt, dass sich durchaus Steine aus den Buhnen in der Ruhr lösen können. „Das wird so sein, weil die Buhnen nach und nach unter dem Einfluss der Strömung der Ruhr zerfallen“, teilt Sprecherin Vanessa Nolte auf Anfrage mit. Kanusportler und Veranstalter von Bootstouren müssten die Veränderungen des Betts der Ruhr in diesem Bereich bei der Planung ihrer Aktivitäten berücksichtigen.
Der betreffende Bereich in Bochum-Stiepel mit den Buhnen werde „nicht wieder in eine intensive Unterhaltung genommen werden.“, so Nolte weiter. „Ein Erhalt der Buhnen, die vor gut 200 Jahren für die hier schon lange nicht mehr existierende Kohleschifffahrt errichtet worden waren, ist nicht nur nicht mehr erforderlich, sondern sogar nicht mehr gewünscht, damit die Ruhr sich ihr Bett zurückerobern kann und in der Folge ökologisch aufgewertet wird.“