Bochum. Der Grusel-Klassiker von Mary Shelley wird am Schauspielhaus Bochum zur Kunstanstrengung. Das sieht schick aus, berührt aber kaum. Unsere Kritik.
Woran denken die meisten, wenn ihnen das Schauermärchen „Frankenstein“ in den Sinn kommt? Vermutlich an Boris Karloff. Seit er das Monster in der Verfilmung von 1931 spielte, kann man es sich kaum mehr anders vorstellen. Mit traurigem Blick, hoher Stirn und Schrauben im Hals wankt die empfindsame Kreatur seit mittlerweile fast 100 Jahren durch die Filmgeschichte – und so seltsam es klingt, muss sich jede neue Interpretation zwangsläufig an Karloffs Quadratschädel messen lassen.
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Mal wie eine Kopfgeburt, mal wie ein Literaturseminar
Einmal, aber nur ganz kurz, darf sich der Schauspieler Oliver Möller in der Neuauflage des Frankenstein-Mythos am Schauspielhaus Bochum tatsächlich die Karloff-Maske überstreifen, dann wandert das gute Stück wieder zurück in den Requisitenschrank. Nach derlei Ehrerbietung scheint Regisseur Tom Schneider nicht der Sinn zu stehen, lieber blättert er den monströsen Stoff von anderer Seite auf. Seine Aufführung wirkt mal wie eine Kopfgeburt, mal wie eine Kunstanstrengung, mal wie ein Literaturseminar. Nur zu packen, zu rühren oder gar zu gruseln, wie es sich für die Adaption eines solchen Grusel-Klassikers eigentlich gehören würde, vermag der Abend überhaupt nicht.
Ähnlich wie die tauben Gliedmaßen des Monsters, die erst langsam zum Leben erwachen, wirkt die ganze Szenerie seltsam steif. Schneider und Dramaturgin Angela Obst verwenden zunächst viel Zeit darauf, die Entstehungsgeschichte des Romans zu erzählen, die an den Genfer See des Jahres 1816 führt. In quietschbunten, völlig überdrehten Kostümen sieht man die britische Dichter-Clique um die Autorin Mary Shelley, ihren späteren Ehemann Percy und den skandalerprobten Lord Byron, die sich mit Fabulieren und allerhand Genussgiften die Zeit vertreiben.
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Frankenstein-Roman nimmt langsam Gestalt an
Während dieses verregneten Sommers kam Shelley die zündende Idee für ihren Frankenstein-Roman, dessen Plot auf der spärlich eingerichteten Bühne von Andrijana Trpković allmählich Gestalt annimmt. Aus Percy wird der egomanische Forscher Victor Frankenstein, der Lord mutiert schleichend zum Monster. Nur die Autorin selbst bleibt außen vor: Karin Moog spielt nicht nur die Mary, sie malt die Szenen gleichzeitig auf kunstvoll gestalteten Folien, die mittels eines Projektors auf einer Leinwand hinter ihr übertragen werden. Ihre Zeichnungen sind gewitzt und prächtig anzusehen, ersetzen aber keinen atmosphärisch stimmigen Bühnenraum.
Derweil steuert alles auf den Höhepunkt des Abends zu: auf das Erwachen der Kreatur. Während Oliver Möller, dessen Körperbeherrschung beachtlich ist, wie eine Marionette an imaginären Seilen hängt, läuft Victor IJdens als Frankenstein wie ein kleines Kind aufgeregt um ihn herum. Sein Forschereifer hat ihn blind gemacht – und ebenso narzisstisch wie fanatisch legt IJdens den Wissenschaftler an.
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Schwitzend, hüpfend und brüllend tobt er über die Bühne, hemmungsloses Overacting inklusive, während Möllers schweigsames bis müde murmelndes Monster fast schon den Ruhepol dieser Aufführung einnimmt. Dass in der missverstandenen Kreatur mit dem großen Herzen in Wahrheit ein eiskalter Mörder steckt, lässt Möller immer mal wieder gekonnt durchblitzen, wenngleich die Gräueltaten niemals gezeigt werden.
Die Handlung wird konventionell nacherzählt
Der Rest läuft in erwartbaren Bahnen, die Handlung wird in langen Monologen recht konventionell nacherzählt. Aktuelle Bezüge von Forscherwahn und Verantwortung, die in der alten Geschichte durchaus stecken, sind auf der Bühne eher selten zu finden. Beim Schlussapplaus scheint sich das Premierenpublikum im längst nicht ausverkauften Saal nicht einig zu werden: Einige springen vor Begeisterung von ihren Sitzen, andere wenden sich gelangweilt ab.
Die nächsten Spieltermine
„Frankenstein“ am Schauspielhaus Bochum dauert etwa eine Stunde und 45 Minuten ohne Pause. Die nächsten Termine: 9., 20. und 29. November. Karten und Infos: 0234 3333 5555.
Regisseur Tom Schneider wurde am Schauspielhaus bekannt durch eine Reihe von Arbeiten mit Sandra Hüller, die allesamt in den kleinen Kammerspielen stattfanden, bevor Hüller zum international gefeierten Star wurde. Vor allem „Die Hydra“ mit einem fulminanten Bühnenbild und der musikalische Abend „Bilder deiner großen Liebe“ werden in Erinnerung bleiben.