Bochum. Als „Kinder der Sonne“ im Schauspielhaus Bochum ausfallen musste, wurden die Theatermacher kreativ: Sie spielten kurzerhand ein anderes Stück.

Das dürfte in der Geschichte des Schauspielhauses Bochum einmalig gewesen sein: Im Großen Haus wurde am Samstagabend eine Vorstellung von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ gespielt – im Bühnenbild von „Kinder der Sonne“.

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Kuriose Vorstellungsänderung im Schauspielhaus Bochum

Zu der kuriosen Situation kam es, weil die geplante Aufführung des Gorki-Dramas aufgrund einer plötzlichen Erkrankung im Ensemble nicht stattfinden konnte. Doch statt die Zuschauer wieder nach Hause zu schicken, entschied sich das Schauspielhaus für eine überraschende Notlösung.

Wenn Vorstellungen ins Trudeln geraten

Dass Vorstellungen aus Krankheitsgründen ins Trudeln geraten, kommt am Schauspielhaus häufiger vor. „Wir versuchen dann alles, um möglichst nichts absagen zu müssen“, sagt Vasco Boenisch. Oft trifft es andere Schauspieler, Dramaturgen und Regieassistenten, die als Einspringer mit dem Textbuch in der Hand ihr Bestes geben.

Zweitbesetzungen wie in Opernhäusern sind an Theatern nicht üblich: „Das ist bei Opern einfacher. Wer ein Libretto einstudiert hat, kann es oftmals in verschiedenen Aufführungen singen. Im Theater sind die Abläufe einer Inszenierung oft so komplex, das würde nicht funktionieren.“

Es war kurz nach 20 Uhr, als Kai Festersen, Chef des künstlerischen Betriebsbüros, mit einer schlechten Nachricht auf die Bühne trat: „Wir saßen schon im Saal, als uns mitgeteilt wurde, dass ‚Kinder der Sonne‘ aus Krankheitsgründen abgesagt werden muss“, erinnert sich eine WAZ-Leserin an diesen denkwürdigen Theaterabend. Die Erkrankung sei erst eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn bekannt geworden: „Wir waren alle etwas baff.“

Zuschauer entscheiden per Handzeichen

Der Vorschlag, den Festersen dem Publikum daraufhin unterbreitete, klingt bizarr: Statt „Kinder der Sonne“ könnte man auch „Virginia Woolf“ spielen. Die Eheschlacht von Edward Albee erfreut sich am Schauspielhaus gerade großer Beliebtheit – und der Zufall will es, dass das vierköpfige Woolf-Ensemble auch bei „Kinder der Sonne“ mitmischt. Nur das Bühnenbild konnte auf die Schnelle nicht mehr getauscht werden. „Wir wurden dann per Handzeichen gebeten, darüber abzustimmen, ob wir das sehen wollen oder nicht“, sagt die Leserin. Etwa 200 Zuschauer entschieden sich zu bleiben, die anderen konnten ihre Karten für die Vorstellung am 7. Mai umtauschen oder bekamen ihr Eintrittsgeld zurück.

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Währenddessen war hinter den Kulissen der Teufel los: „Die Idee, das andere Stück zu spielen, kam aus dem Ensemble“, erzählt Chefdramaturg Vasco Boenisch. „Wir haben erst gedacht, dass wir vier Stühle auf die Bühne stellen und das etwas improvisiert als szenische Lesung machen. Aber plötzlich war bei allen Beteiligten der Ehrgeiz geweckt, die komplette, über zweistündige Aufführung zu spielen.“ Von der Requisite über den Ton, die Musik bis zur Maske wurde alles in Windeseile neu eingerichtet: „Die Schauspieler haben ihre Kostüme umgezogen und wurden schnell umgeschminkt.“

Üblicherweise tobt die Eheschlacht in dem Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“? in einem recht nüchtern eingerichteten Appartement.
Üblicherweise tobt die Eheschlacht in dem Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“? in einem recht nüchtern eingerichteten Appartement. © Birgit Hupfeld

Dabei spielte den Theatermachern in die Hände, dass in beiden Stücken ein Wohnzimmer der Schauplatz ist. Ein Sofa, bei „Virginia Woolf“ von zentraler Bedeutung, gibt es auch bei „Kinder der Sonne“, obwohl es wesentlich schmaler ist. Für die vier Schauspieler indes bedeutete der plötzliche Rollenwechsel eine große Herausforderung: „Natürlich bereitet man sich den Tag über darauf vor, welche Figur man abends spielen muss, und plötzlich ist alles anders“, so Boenisch. „Das hinbekommen zu haben, spricht eindeutig für die hohe Kunst unseres Ensembles.“

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Zeit für ein wenig Situationskomik

Mit über einer halben Stunde Verspätung begann dann die Aufführung von „Virginia Woolf“ im gediegenen Bühnenbild von „Kinder der Sonne“. Während der Vorstellung fanden Jele Brückner und Anne Rietmeijer sogar noch die Muße, etwas Situationskomik mit einzubauen. So tritt Brückner in der ersten Szene als stark alkoholisierte Martha auf und beschwert sich lauthals über den Zustand ihrer Wohnung: „Was für ein Loch!“, schimpft sie. „Das bekam in dem Wohnzimmer aus dem anderen Stück natürlich eine völlig neue Bedeutung.“