Bochum. In „Am laufenden Band“ von Joseph Ponthus geht es um harte Schufterei am Fließband. In den Kammerspielen wird daraus ein intensiver Abend.

Dem Absurden kann man sich nicht entziehen: Das war bei dem antiken Helden Sisyphos so, der bis in alle Ewigkeiten einen Felsen den Berg hinaufrollen musste – und so ähnlich war es auch bei Joseph Ponthus. Der junge französische Autor war offenkundig dazu verdammt, Nacht für Nacht bis zur Selbstaufgabe in riesigen Fabrikanlagen zu schuften. Mit „Am laufenden Band“ bringt Regisseur Tom Schneider seine schwer zu Herzen gehende Geschichte in die Kammerspiele Bochum und findet für die öde Plackerei bestechende Bilder.

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Joseph Ponthus starb 2021 mit nur 42 Jahren an Krebs. Als Sozialarbeiter fand er keine Anstellung, von seinem literarischen Schaffen allein konnte er nicht leben, da heuerte er notgedrungen als Leiharbeiter in diversen Fisch- und Fleischfabriken an. Acht Stunden am Tag sortierte er Tonnen von Garnelen, ließ endlos Tofu abtropfen und reinigte die blutverschmierten Böden der Schlachthöfe.

Lohnender Blick ins Programmheft

Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause. Wieder am Mittwoch, 29. März (Zehn-Euro-Tag!), 16. April, 3., 6. und 20. Mai. Karten: 0234 3333 5555.

Zu der Inszenierung ist ein lohnendes Programmheft erschienen. Darin findet sich etwa ein Gespräch mit Cornelia Kiszka, die 20 Jahre lang im Schlachthof Bochum arbeitete und jetzt Pförtnerin am Schauspielhaus ist. Regisseur Tom Schneider verrät, warum die Schauspieler ihren Text auf der Bühne mittels „Knopf im Ohr“ eingeflüstert bekommen und welchen Effekt das hat.

Was ihn dabei antrieb, war allein die Aussicht auf die Lohntüte. Beinahe demütig fügte er sich in sein Schicksal ein. Ponthus war kein Arbeiterdichter und schon gar kein politischer Autor (obwohl er sogar kurz Èmile Zola zitiert), sondern fand in seinem Knochenjob und der Eintönigkeit des Fabriklebens eine „paradoxe Schönheit“, wie es einmal heißt. „Es ist, wie es ist. Ich beklage mich nicht.“

Der Text rattert wie die Motoren der Fließbänder

Seine Schilderungen als Zeitarbeiter erschienen 2019 unter dem Titel „Am laufenden Band“ als langes Prosagedicht. Der Text hat gequälten Witz und rattert ähnlich schnell und unnachgiebig wie die Motoren der Fließbänder. Diese immer gleichen Abläufe für die Bühne zu übersetzen, ist nicht leicht. Schön zu sehen ist es, wie sich Regisseur Tom Schneider und sein vierköpfiges Ensemble (Karin Moog, Michael Lippold, Dominik Dos-Reis und Daniel Nerlich) spielerisch ans Werk machen.

Schon die ersten Minuten der Aufführung sind bezaubernd: Da wird aus allerlei Geräuschen wie dem Schlagen einer Kühlschranktür und dem Quietschen eines Schuhs ein Soundteppich erzeugt, der als Loop aufgenommen immer wieder durch die Lautsprecher gejagt wird. So bekommt der Abend etwas ungeheuer Rhythmisches. Die Bühne von Nadja Sofie Eller ist abstrakt gehalten und überraschend leer. Die Arbeitskleidung hängt wie einst bei den Bergleuten an Haken unter der Decke. Am Ende gibt eine blutrote Pfütze, die mit einem Schrubber seelenruhig hin und hergeschoben wird, ein symbolträchtiges Bild ab.

„Am laufenden Band“: Die Bühne der Kammerspiele ist abstrakt gehalten und überraschend leer. Mit nur wenigen Mitteln wird die Schufterei in einer Fabrik spürbar.
„Am laufenden Band“: Die Bühne der Kammerspiele ist abstrakt gehalten und überraschend leer. Mit nur wenigen Mitteln wird die Schufterei in einer Fabrik spürbar. © Birgit Hupfeld

Die Arbeit in der Fabrik ist jeden Tag die gleiche – und ganz ähnlich streng durchgetaktet wirkt auch die Aufführung, jeder Handgriff sitzt. Schneider bleibt konsequent nah an der Vorlage und erlaubt sich nur wenige inszenatorische Freiheiten (wie etwa eine in rote Farbe getauchte Traumszene). Die Befürchtung ist groß, dass sich das Geschehen nach einer Weile totlaufen könnte, weil schlicht der Spannungsbogen fehlt. Doch mit welcher Kraft und Intensität die Schauspieler das unerbittliche Zeitregime der Fabrik auf der Bühne vorantreiben, fesselt bis zum Schluss.

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