Bochum-Wattenscheid. Mit einem großen Auftritt geht eine Gesangsgruppe aus Bochum-Wattenscheid von der Bühne. Der Abschied war absehbar und hat gleich mehrere Gründe.

Zum Abschluss gab es noch einmal einen großen Auftritt. Ein letztes Mal trat die Chorgemeinschaft St. Gertrud Bochum-Wattenscheid in einem Gottesdienst auf, ehe sie sich nun aufgelöst hat – nach 148 Jahren. „Mehrere Wochen haben wir uns mit unserem früheren Chorleiter August Köster darauf vorbereitet“, sagt Friedhelm Greefrath, der den Chor das letzte Vierteljahrhundert als Vorsitzender führte. „Das hat beim Abschluss so gut geklappt, dass uns die Leute gefragt haben, warum wir denn aufhören.“ Die Zuhörer konnten es nicht verstehen, so gut hatte ihnen der Gesang gefallen.

„Müde geworden“: In Bochum endet eine Ära – nach 148 Jahren

Auch der Wattenscheider Propst Michael Kemper bedauert das Aus für den Chor. Noch dazu „so kurz vor dem 150. Jubiläum“. Doch wie bei vielen anderen Gesangsgruppen auch habe das Alter eine entscheidende Rolle gespielt. Der Chor sei immer älter und kleiner geworden. „Da gibt es dann irgendwann nicht mehr genügend Mitglieder, um gemeinsam zu singen.“

„Neue Methoden sind zunächst ungewohnt und für ältere Gemeindemitglieder vielleicht Anlass, sich zurückzuziehen.“

Michael Kemper, Propst und Stadtdechant von Bochum-Wattenscheid

Aus Kempers Sicht habe auch der Chorleiter-Wechsel eine Rolle gespielt. Seit Anfang 2024 leitet Nikoderm Chronz als koordinierender Kirchenmusiker und Propsteikantor auch die Chöre in der katholischen Kirche Wattenscheid. „Neue Methoden sind zunächst ungewohnt und für ältere Gemeindemitglieder vielleicht Anlass, sich zurückzuziehen“, weiß Kemper.

Der Kirchenchor St. Gertrud in Bochum-Wattenscheid bei seinem letzten Auftritt im September. 
Der Kirchenchor St. Gertrud in Bochum-Wattenscheid bei seinem letzten Auftritt im September.  © Gemeinde

Chronz selbst sieht ebenfalls einen Zusammenhang mit seiner Person. So habe er den Probentag ändern wollen. „Doch da wollte nur eine Handvoll der Sängerinnen und Sänger mitziehen.“ Es habe deswegen durchaus Knatsch gegeben, räumt Chronz ein. „Und das kann ich verstehen. So ein Chorleben hat auch eine starke soziale Komponente, ein Abschied wie dieser ist mit vielen Emotionen verbunden.“ Nun hofft er, dass sich die verbliebenen Aktiven einem der anderen Gemeindechöre anschließen.

„Es wird nicht mehr so sein, dass jede Kirche vier, fünf Chöre hat.“

Nikoderm Chronz, neuer Kirchenmusiker und Propsteikantor in der katholischen Kirche Wattenscheid

13 gebe es noch, dazu zwei Bands. Um die Kirchenmusik in Wattenscheid neu auszurichten, wolle man nun ein Konzept erstellen, sagt Nikoderm Chronz. Dazu müsse man gemäß dem vom Bistum auferlegten Sparkurs die Weichen je nach Ressourcen und Standorten stellen. Künftig werde man mehr zentral denken müssen, das Ganze auf eine höhere Ebene stellen und Kräfte bündeln. „Es wird nicht mehr so sein, dass jede Kirche vier, fünf Chöre hat.“ Ein Arbeitskreis habe sich bereits gebildet.

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Friedhelm Greefrath wird diese Entwicklung weiter verfolgen. Er und seine Lebensgefährtin singen noch für den Chor Maria Magdalena. Doch die Gemeinschaft von St. Gertrud werde er vermissen. „Der Austausch und die Geselligkeit waren das Schönste“, sagt der 81-Jährige. „Wir haben nach den Proben früher immer noch zusammengesessen, ein, zwei Bier getrunken und erzählt.“ Auch das habe es zuletzt kaum noch gegeben. Der Abschied war absehbar, „auch weil wir ein Durchschnittsalter von 77 Jahren hatten“. Doch am Ende ging es dann doch recht schnell.

„Seit mehr als 40 Jahren haben wir immer montags geprobt. Das zu ändern war für einige von uns aus privaten Gründen nicht möglich.“

Friedhelm Greefrath, letzter Vorsitzender des Kirchenchores St. Gertrud in Bochum-Wattenscheid

Nur ein dreiviertel Jahr lag zwischen dem Ausscheiden des langjährigen Chorleiters August Köster und dem letzten Auftritt. Als sich der Kantor Ende 2023 in den Ruhestand verabschiedete, wollte laut Greefrath auch die Chorgemeinschaft Herz Mariä unter dem Nachfolger Chronz nicht mehr weitersingen. „Wir hatten immer getrennt geprobt, waren aber zusammen aufgetreten.“ Aus Altersgründen habe sich der Partner-Chor aufgelöst, wie Greefrath sagt. „Die waren im Schnitt noch älter als wir.“

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Greefrath kann die Entscheidung nachvollziehen, mit der man St. Gertrud zuvorkam. „Ohne Köster fehlte schon was.“ St. Gertrud habe es unter dessen Nachfolger nochmal versuchen wollen. Aber das sei halt gescheitert. „Seit mehr als 40 Jahren haben wir immer montags geprobt. Das zu ändern war für einige von uns aus privaten Gründen nicht möglich. Wir waren am Ende durch den Corona-Einschnitt aber auch nur noch 16 Sängerinnen und Sänger, noch dazu ohne Nachwuchs. Da ergibt es keinen Sinn mehr. Und ich war dann auch irgendwann müde.“ Friedhelm Greefrath ist aber glücklich, das Chorleben „ganz ruhig zu Ende geführt“ zu haben. „Ich bin froh, dass das so gut geklappt hat.“

Der Kirchenchor im Wandel

Der Kirchenchor St. Gertrud Propstei wurde 1876 als Pfarr-Cäcilien-Verein gegründet. Das geht aus einer Chronik hervor. Demnach trat man 1878 erstmals in Essen-Steele mit „zehn Männern und 20 Knaben“ auf. 1920 wurden zum ersten Mal Frauen aufgenommen, womit laut Protokoll nicht alle Mitglieder einverstanden waren. Der gemischte Chor bestand aus 31 Frauen und 40 Männern. Als 1928 versucht wurde, zurück zu einem reinen Männerchor zu wechseln, legte der damalige Dirigent aus Protest sein Amt nieder. Daraufhin wurde wieder gemeinsam gesungen.

In den 50er und 60er Jahren hatte der Chor Probleme. Als Grund wird u.a. das Fernsehen genannt, das dazu führte, dass nicht mehr regelmäßig geprobt wurde. Später gab es noch einige chorleiterfreie Phasen, die man zu überstehen hatte. Das änderte sich mit Heinz-Otto Kuhlemann, der 1988 als Kantor und Dirigent übernahm. Ihm folgte 2010 August H. Köster, „der ruhende Pol bei jeder Aufführung“, wie ihn die Chronik beschreibt. Nach Corona trat St. Gertrud gemeinsam mit der ebenfalls in der Pandemie geschrumpften Chorgemeinschaft Herz Mariä auf.