Bochum-Innenstadt. Die Bochumer Symphoniker starten die neue Spielzeit unter besonderen Vorzeichen: Tung-Chieh Chuang geht bald von Bord. Jubel bekommt er trotzdem.
Rund sechs Wochen ist es her, seit Generalmusikdirektor Tung-Chieh Chuang seinen Abschied aus Bochum ankündigte. Mitte 2026 wird er nach fünf Jahren als Chef der Bochumer Symphoniker von Bord gehen, um sich künftig intensiver seiner „internationalen Karriere“ zu widmen, wie es heißt. Der 42-jährige Taiwanese ist als Dirigent in aller Welt gefragt. „Ich kann ihn verstehen“, sagt Zuschauerin Bärbel Hofmann am Samstagabend vor dem Anneliese-Brost-Musikforum. „Aber vermissen werde ich ihn auch.“
Im Musikforum liegt ein Knistern in der Luft
So liegt bei Chuangs erstem Auftritt seit Bekanntgabe seines Fortgangs durchaus ein leichtes Knistern in der Luft. Läuft alles so wie immer oder wird er womöglich sogar ein paar Worte ans Publikum richten? Das ist erwartbar nicht der Fall. Höflich, spürbar erschöpft, aber schweigend bedankt sich Chuang am Ende des rund zweistündigen Konzerts bei den Besuchern im gut gefüllten Saal. Der minutenlange, überaus herzliche Beifall nach Schostakowitschs fünfter Symphonie scheint ihn sichtlich zu rühren. Den Strauß mit Sonnenblumen, den ihm ein Mitarbeiter pflichtschuldig überreicht, nimmt er kaum zur Kenntnis.
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Die „Von Herzen“-Konzerte, die der GMD bei seinem Dienstantritt 2021 in Bochum startete, gehören schon lange zu den beliebtesten Reihen im Programm der Symphoniker. Doch selten zuvor waren die Stücke, die an den Abenden gespielt werden, so clever gewählt wie diesmal – denn sie bilden eine gemeinsame Linie und ein politisches Signal.
Die Aufführung unter dem Titel „Schmerz und Sarkasmus“ wird eingeläutet von der nur fünfminütigen Abendserenade des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov. So leise, melancholisch und wunderbar zart dürfte schon lange keine Spielzeit der Bochumer Symphoniker mehr eröffnet worden sein. Der 86-jährige Musiker floh mit Beginn des Krieges aus seiner Heimat und kam mit seiner Tochter und Enkelin nach Deutschland.
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In die gegensätzliche Richtung zog es über 80 Jahre zuvor aus beinahe denselben Gründen den Komponisten Mieczyslaw Weinberg. Als die deutsche Wehrmacht 1939 seine Heimat Polen überfiel, floh der junge Pianist nach Osten – in die Sowjetunion. Weinberg ist der zweite Teil des Abends gewidmet: beim Trompetenkonzert op. 94 glänzt die Solistin Selina Ott, die ihrem edlen Instrument die schrägsten, schillerndsten, aber auch wärmsten Töne abringt.
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Junge Solistin mit 26 Jahren an der Weltspitze
Mit nur 26 Jahren gehört die österreichische Musikerin zu den wenigen jungen Frauen, die es an der Trompete zur Weltspitze gebracht haben. Gemeinsam mit den enorm spielfreudigen Symphonikern geht sie durch ein Wellenbad der Gefühle: Vom grellen ersten Satz, der von Ott kernig und gewitzt vorangetrieben wird, bis zum eher versöhnlichen Schluss ist das furiose Stück ein ziemlicher Ritt.
Die besondere Fußnote: Als Mieczyslaw Weinberg in die Sowjetunion floh, begegnete ihm dort der Komponist Dmitri Schostakowitsch, der sein Freund und Förderer wurde. Es ist das erste Mal, dass Tung-Chieh Chuang ein Werk des russischen Altmeisters mit den Symphonikern spielt. Die fünfte Symphonie, entstanden zur Zeit des Stalinistischen Terrors, besitzt vom Marschrhythmus im ersten Satz bis zu einer betörenden kleinen Melodie im zweiten Satz, die beschwingt durch sämtliche Orchestergruppen getragen wird, eine enorme Spannbreite. Extrabeifall gibt es für Marina Grauman, die als erste Geigerin vom Deutschen Symphonieorchester Berlin ausgeliehen wurde.
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Der Jubel ist lang, eine leichte Wehmut ist im Saal durchaus schon zu spüren. Aber noch sind es zwei Jahre, in denen bei den Bochumer Symphonikern und ihrem jungen GMD noch eine Menge passieren kann. „Schade, dass er geht“, meint eine Zuschauerin am Schluss.
Musikforum hat eine neue Beleuchtung
Das haben viele Konzertbesucher vermutlich gar nicht mitbekommen: Der große Saal des Anneliese-Brost-Musikforums hat seit dieser Spielzeit eine neue Beleuchtung. Die 59 Leuchtstrahler oberhalb der Bühne wurden während der Sommerpause durch energiesparende LED-Lampen ersetzt.
Nicht nur die Stromersparnis soll beträchtlich sein, auch die Musiker dürften sich darüber freuen. Denn unter den alten Lampen entwickelte sich während der Konzerte eine enorme Hitze.