Bochum-Langendreer. Auch in Bochum sind immer mehr Menschen von einer Demenz-Diagnose betroffen. Eine Gruppe richtet sich nun an jüngere Betroffene. Ein Besuch.

Das elastische Trainingsband, das er an der Sprossenwand zu sich ziehen soll, ist zu schlapp für Klaus J. „Pillepalle!“, sagt der 69-Jährige nach einem Dutzend kräftiger Züge, und Andrea Hartel sucht nach einer festeren Alternative. Herr J. macht einen fitten Eindruck, plaudert und scherzt mit der Therapeutin. Warum er hier ist, merkt man ihm nicht an.

J. hat Demenz. Seinen ganzen Namen möchte er nicht veröffentlicht wissen, aber er erzählt. Seit ungefähr zwei Jahren habe er die Diagnose. Er lebt mit seiner Frau zusammen, eingebettet in die Familie mit Enkelkindern. „Das ist, was mich trägt“, sagt er. Zwischendurch aber seien da Absencen, geistige Abwesenheiten.

Dement sind viele Patienten in der Tagespflege – die meisten aber nicht mehr so mobil

Seit Anfang Mai kommt J. einmal wöchentlich für achteinhalb Stunden in die Tagespflege am Luchsweg in Langendreer. Hier bietet die Diakonie Ruhr die nach eigenen Angaben Bochum-weit erste Gruppe für jüngere Demenzerkrankte an. Man wolle eine Angebotslücke schließen, erklärt Melanie Schulte-Batenbrock, die Pflegedienstleiterin der Einrichtung.

Dement sind viele der Menschen, die in der Tagespflege betreut werden, 80 Prozent etwa, schätzt Schulte-Batenbrock. Die meisten von ihnen sind aber auch hochbetagt, nicht mehr so mobil. Das unterscheidet sie von Klaus J., der zwar auch auf die 70 zugeht, aber auf den ersten Blick noch mitten im Leben steht.

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Demenz wird auch bei jüngeren Patienten diagnostiziert

Auch Antonino Messina, ebenfalls Gast in der Gruppe, sieht man seine 71 Lebensjahre nicht direkt an, die Demenz ebenso wenig. Drahtig und adrett gekleidet steht der Mann da, lacht Besucher wie Betreuerinnen freundlich an. Hört den Gesprächen um ihn herum aufmerksam zu – und antwortet auf Italienisch.

Tagespflege  in Bochum
Therapeutin Andrea Hartel, Antonino Messina und Pflegedienstleitung Melanie Schulte-Batenbrock am Kickertisch: Bewegungs- und Beschäftigungsangebote sollen die Koordination fördern. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Klaus J. und Antonino Messina sind die ersten beiden regelmäßigen Teilnehmer der neuen Gruppe. „Irgendwer muss den Anfang machen“, sagt J., und Melanie Schulte-Batenbrock nickt. Demenz werde auch bei immer mehr jüngeren Patienten diagnostiziert. Deren Partnerinnen und Partner seien oft noch berufstätig, die Betroffenen aktiv und mobil. „Ich denke, dass die Scheu in jüngerem Alter einfach größer ist, in die Tagespflege zu gehen“, sagt die Pflegedienstleiterin. Was soll ich da, da gehör‘ ich nicht hin – solche Gedanken seien im Spiel.

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„Zu Anfang war das alles fremd“, sagt der erste Gast der neuen Gruppe in Bochum

Auch Patient J. räumt ein, dass die ersten Besuche ihm etwas unangenehm gewesen seien. „Zu Anfang war das alles fremd“, sagt er, „aber man gewöhnt sich dran. Deshalb mach‘ ich den Kram auch mit.“ Altentherapeutin Andrea Hartel erklärt „den Kram“: Mit Aufwärmgymnastik und Entspannungsübungen beginnt der Tag, auch Ballspiele, Gedächtnistraining und Spaziergänge oder aber Line-Dance stehen auf dem Programm. Im neu eingerichteten Raum steht ein Tischkicker, am Nachmittag bauen die Betreuerinnen einen Balance-Parkours für die beiden Herren auf.

Tagespflege  in Bochum
Mit einem Balance-Parkours soll die Koordination gefördert werden. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

„Demenz ist fortschreitend“, erklärt Melanie Schulte-Batenbrock, „die Koordination leidet. Dem wollen wir vorbeugen.“ Die Gruppe solle zweierlei leisten: Betroffene fördern und Angehörige entlasten. Demenz treffe Menschen aus allen Berufssparten: Ingenieure und Ärzte, Lehrer – „keiner ist davor sicher“.

„Man darf sich nicht aufgeben. Ich werd‘ nicht die letzten Jahre mit Plärren vertrödeln.“

Klaus J., Demenzpatient aus Bochum

Sie hoffe, dass sich das neue Angebot für jüngere Betroffene in Bochum noch herumspricht. Platz hätten sie noch reichlich und das Duo Antonino und Klaus nichts gegen weitere Gesellschaft. „Man darf sich nicht aufgeben“, sagt Klaus J. „Ich werd‘ nicht die letzten Jahre mit Plärren vertrödeln.“ Er wolle „weitermachen. Es lebt sich dann auch besser“.

Gruppe trifft sich immer mittwochs

Die Gruppe für jüngere Demenzerkrankte findet immer mittwochs von 8 bis 16.30 Uhr in der Tagespflege am Luchsweg der Diakonie Ruhr statt. „Die Kosten für die Tagespflege können über die Pflegeversicherung abgerechnet werden“, erklärt Pflegedienstleiterin Melanie Schulte-Batenbrock. Oft sei keine oder nur eine geringe Zuzahlung zu leisten. Und: „Es gibt ein eigenes Budget für die Tagespflege, sodass weiter Pflegegeld bezogen werden kann.“

Wer Interesse an dem Angebot hat, kann sich bei Melanie Schulte-Batenbrock melden: telefonisch unter 0234/9146-2510 oder an tp-luchsweg@diakonie-ruhr.de via E-Mail.

Rund 350.000 Menschen in NRW leben nach Angaben der Alzheimer-Gesellschaft mit der Diagnose Demenz. Infolge des demographischen Wandels dürfte diese Zahl weiter zunehmen.

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