Bochum-Langendreer. Steigende Kosten, Angst vor Ansteckung nach Corona: Viele Tagespflege-Einrichtungen erleben eine harte Zeit. Ein Besuch in Bochum-Langendreer.
Der Witz des Tages zündet. „Sehr schön!“, ruft Heinz Korte und lacht. Genauso wie Ilse Gathmann neben ihm. Am täglichen Kalauer aus der Zeitung kommt in der Tagespflege der Diakonie am Luchsweg in Bochum-Langendreer niemand vorbei. Gehört zur Tradition, sagt Betreuungskraft Agnes Surmann, die den Witz eben vorgetragen hat. Aber auch die Horoskope werden hier offenbar nicht ganz ernst genommen. Bei den Zwillingen soll es ruhiger werden in nächster Zeit: „Noch ruhiger?“ ruft eine, wieder Gelächter. Der einzige Schütze im Raum strahlt den Sternen zufolge heute einen besonderen Glanz aus, was ein Raunen aus den Reihen nach sich zieht.
In der Tagespflege in Bochum wird ausgiebig die Zeitung studiert
Gerade ist Morgenrunde in der Tagespflege der Diakonie, Frühstück gab’s schon. Surmann liest Zeitung, kommentiert selbst und lässt ihre Zuhörerschaft kommentieren. Die Situation am Ümminger See samt möglichem Grillverbot hat sich bereits herumgesprochen, das neue Programm im Planetarium stößt auf Interesse – und den Bericht zur Zeche hätte der ehemalige Bergmann im Morgenkreis nach eigener Aussage auswendig aufsagen können.
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19 Menschen sind heute hier, mal sind es mehr, mal sind es weniger, sagt die Leiterin der Einrichtung in Langendreer, Melanie Schulte-Batenbrock. Platz wäre an allen Tagen noch, auch am Dienstag und Donnerstag, wo immer vergleichsweise viel los ist. Ihre Tagespflege ist derzeit zu 60 Prozent ausgelastet, damit ist Schulte-Batenbrock zufrieden, den Standort gibt es erst seit anderthalb Jahren. Trotzdem würde sie sich noch mehr Gäste wünschen, denn dann bekäme sie womöglich auch mehr Personal und könnte die derzeit gemischte Truppe von Menschen mit und ohne Demenzerkrankung zeitweise aufteilen und noch besser auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen.
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Angst vor Ansteckung bleibt auch nach Corona
Die Diakonie beschreibt das Marktumfeld in der Tagespflege derzeit als „schwierig“. Während Corona hatten die Einrichtungen geschlossen, viele Teilnehmende hatten auch nach der Pandemie Angst sich anzustecken und sind nicht mehr wiedergekommen. „Ein Problem ist die mangelnde Aufklärung“, sagt Schulte-Batenbrock. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass sich die Ansprüche auf Tagespflege, Pflegegeld und Pflegesachleistung miteinander kombinieren lassen.
„Wer einmal hierherkommt, der bleibt in der Regel auch“, sagt die Pflegeleiterin. 90 Prozent aller Schnuppergäste kämen wieder. So wie Heinz Korte: Der 85-jährige ehemalige Elektriker ist seit zwei Monaten einmal in der Woche am Start. Gerade hält er in seiner rechten Hand eine Hantel und streckt seinen Arm am Kopf vorbei nach oben. „Das ist super hier. Wir haben Unterhaltung, Bewegung, ich wurde sehr gut aufgenommen“, sagt der Uropa.
Im Fokus steht das Miteinander
Anders als Schulte-Batenbrock findet er den Begriff „Tagespflege“ gut. „Da weiß jeder sofort, worum es geht“. Die Leiterin indes hat die Befürchtung, dass die „Pflege“ falsche Assoziationen bei den Menschen auslöst. Denn zwar wird hier auch pflegerische Arbeit geleistet, im Fokus stehe aber das Miteinander, der Austausch und die Teilhabe. Zudem entlaste das Angebot pflegende Angehörige. Vielen sei das aber nicht bewusst.
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Laut dem Landesverband freie ambulante Krankenpflege NRW haben mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Tagespflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2023 ihre Situation als „schlecht“ oder „existenzbedrohend“ bezeichnet. Ein Drittel der befragten Inhaberinnen und Inhaber denke sogar über die Schließung des Angebots nach.
Auch die steigenden Preise in anderen Lebensbereichen hielten Gäste der Tagespflege davon ab, regelmäßig zu kommen. In Bochum kommen auf 1,5 Tagespflegeplätze 100 Menschen ab 80 Jahren. Das ist deutlich über dem Landesdurchschnitt (1,0) und nur leicht unter dem Schnitt für ganz Deutschland (1,6), wie aus der kommunalen Pflegeplanung der Stadt hervorgeht.
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Hantel-Training und gute Laune
Kortes Sitznachbarin, Ilse Gathmann, hat ihre Hantel mittlerweile zwischen ihre Füße geschoben und hebt immer wieder die Beine nach oben: Oberschenkel-Training. Surmann zählt bis zehn, danach schüttelt Gathmann ihre Muskeln aus. Die frühere Gastwirtin ist seit einem halben Jahr dabei. „Ich fühle mich hier geborgen“, sagt die 85-Jährige. Auch bei den Landfrauen und im Turnverein ist sie noch aktiv. Korte wittert mögliche neue Klienten unter den Vereinskolleginnen. „Wenn die so nett sind wie Sie, können die ja auch noch kommen“, sagt er. Nach einem kurzen Brettspiel legt er sich hin – Mittagspause. Gathmann spielt weiter. Nächste Woche kommen beide wieder. So viel ist sicher.
Tagespflege: Einige Infos zu den Kosten
Die Tagespflege gehört zu den sogenannten teilstationären Pflegeleistungen. Laut Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) beteiligt sich die Pflegeversicherung an den Kosten. Demnach stehen dem Pflegebedürftigen monatlich je nach Pflegegrad 689 Euro (bei Pflegegrad 2), 1298 Euro (Pflegegrad 3), 1612 Euro (Pflegegrad 4) und 1995 Euro (Pflegegrad 5) zu.
Kosten des Transports von der Wohnung zur Einrichtung und zurück sind in den Pflegekosten enthalten. Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten muss der Tagespflegegast selbst tragen, so der Vzbv.