Bochum. Demenz trifft auch jüngere Menschen – und damit deren Kinder. Für sie gibt es in Bochum jetzt ein eigenes Angebot. Die erste Bilanz ist positiv.
Demenz? Die trifft nur Ältere. „Ein Irrglaube“, weiß Dr. Ute Brüne-Cohrs, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Bochumer LWL-Universitätsklinikum. Rund 40.000 der 1,6 Millionen Erkrankten in Deutschland sind zwischen 40 und 55 Jahre jung. In jeder dritten betroffenen Familie leben Kinder. Für sie gibt es in Bochum eine neue Gruppe. „Dempower“ heißt sie und trägt die Kraft und Zuversicht im Namen, die den Jungen und Mädchen vermittelt werden sollen.
„Die Krankheit entmachten“: Das ist das Ziel des Pilotprojekts, bei dem die LWL-Klinik, die Alzheimer-Gesellschaft Bochum und die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Vinzenz zusammenarbeiten. Finanziert wird es vom Land und den Landespflegekassen. Das gemeinsame Anliegen: Nachhaltige Hilfen für Söhne und Töchter zu entwickeln, deren Eltern die Demenz in der Mitte des Lebens heimgesucht hat, die bislang erfolgreich im Arbeitsleben standen, die Familien gegründet haben – und sich schleichend und für alle schmerzhaft aus dem früheren Leben verabschieden.
„Dempower“-Gruppe in Bochum: Viele Kinder sind isoliert
„Die Folgen für die Kinder sind immens – gerade dann, wenn sie im Teenager-Alter in einer besonders vulnerablen Phase sind“, beobachtet Ute Brüne-Cohrs. Mutter und Vater können ihre Eltern-Rolle kaum noch wahrnehmen – weil sie erkrankt sind oder sich um den Partner, die Partnerin kümmern müssen. „Das heißt für die Kinder: Sie müssen die Funktionen der Eltern übernehmen“, so die Fachärztin.
Brüne-Cohrs nennt ein Beispiel: Eine Schülerin muss mehrmals täglich mit dem Hund raus, der dementen Mutter das Frühstück zubereiten und so gut es geht auf sie achten, große Teile der Hausarbeit übernehmen – und quasi nebenbei ihre Hausaufgaben erledigen. „Manche verlieren sich dabei selbst, unterdrücken ihre eigenen Wünsche, ihre eigenen Bedürfnisse. Hinzu kommt: Die Erkrankung, die eigene Situation wird als schambehaftet wahrgenommen. Man traut sich nicht, Freunde mit nach Hause zu bringen. So nimmt die Isolation immer weiter zu“, schildert Ute Brüne-Cohrs.
Die jüngsten betroffenen Eltern sind erst Mitte 40
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Die „Dempower“-Gruppe, die sich seit Herbst 2022 unter fachlicher Anleitung in den Räumen von St. Vinzenz trifft, soll Halt, Mut und Lebensfreude liefern. Fünf Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren gehören ihr aktuell an. Die jüngsten ihrer Eltern sind Mitte 40. „Bei uns erfahren sie oft zum ersten Mal: Es gibt auch andere Betroffene in meinem Alter; ich bin mit meinen Sorgen nicht allein auf der Welt“, sagt Ute Brüne-Cohrs. Der Austausch sei elementar. Gemeinsam Spaß zu haben, Ausflüge zu unternehmen: Das hatten viele in der Gruppe lange vermisst.
„Im Alltag fehlt den Kindern und Jugendlichen ein Gegenüber, bei dem sie sich entlasten können, oder auch andere Betroffene gleichen Alters“, ergänzt St.-Vinzenz-Erziehungsleiter Jan Hildebrand. „Hier in der Gruppe finden sie einen geschützten Rahmen mit anderen jungen Menschen in einer ähnlichen Situation vor.“ Denn daheim erlebten sie Vergesslichkeit, Aggressivität, Unruhe beim Vater oder bei der Mutter, oft für sie unvorhersehbar und unkalkulierbar.
Alzheimer-Gesellschaft: Kinder sind die Leidtragenden
Jutta Meder, Geschäftsführerin der Alzheimer-Gesellschaft Bochum, bekräftigt: „Besonders die Kinder sind Leidtragende. Für sie gab es bislang keine passenden Angebote. Als Kooperationspartner freuen wir uns, das Projekt mit auf den Weg gebracht zu haben.“
Ute Brüne-Cohrs hofft auf weiteren Zuwachs. Das sei schwierig: „Es ist nicht einfach, betroffene Jugendliche zu finden, die bereit sind, sich öffnen. Dieses Bewusstsein müssen wir erst schaffen.“
Infos auf www.kidsdem.de