Oberhausen. Die Schau im Europahaus zeigt 50 Werke von 27 Kreativen der Kunstinitiative Ruhr. Eine freundliche Leistungsschau – bis es rattert und schnarrt.

„Nur nichts mit Maske!“ Winfried Baar und Hildegard Hugo wollen an die tiefe Enttäuschung über die Eintagesausstellung des Vorjahres nicht erinnert werden. Und so riefen die beiden Vorsitzenden der Künstlergalerie KiR im Europahaus für die 2021er Jahresausstellung ihrer Aktiven das Motto „Menschenbilder“ aus. 27 Malerinnen und Bildhauer, Videokünstler und Fotografinnen sind dabei.

Das allumfassende Thema präsentiert sich allerdings keineswegs überbordend, sondern in einem überraschend aufgeräumten Galerie-Raum: Hier knallen nicht die Kontraste, sondern finden sich überraschende und stets stimmige Nachbarschaften – selbst wenn’s mal rattert und schnarrt. Die blechernen Töne kommen allerdings nicht aus dem längst unspielbaren Klavier, einer Reminiszenz der jüngsten Solo-Ausstellung von Frank Gebauer.

Sie legten letzte Hand an die „Menschenbilder“-Schau: Irina Bitter, Winfried Baar, Hildegard Hugo und Frank Gebauer.
Sie legten letzte Hand an die „Menschenbilder“-Schau: Irina Bitter, Winfried Baar, Hildegard Hugo und Frank Gebauer. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Das surreal gekippte Musikmöbel zeigt jetzt ein auf schwarzes Tuch gedrucktes Porträtfoto – und trägt den bezwingenden Titel „Claire de lune“. Doch hinter dieser Charmeoffensive dräut ein ganz anderes Nachtstück Gebauers: Das großformatige Foto zweier schlafender Obdachloser. Fotokunst setzt unter diesen rund 50 „Menschenbilder“-Arbeiten einen besonderen Akzent: Seien es die erotisch aufgeladenen Schaufensterblicke, wie Hildegard Hugo sie entdeckt. Oder die wie ein Filmstill wirkende Strand- (oder Wüsten-)Szene von Iris Schnaitmann.

Fein abgründiges „Blechtrommel“-Ambiente

Georg Overkamps außerordentliches „Familienbildnis“ allerdings ist alles auf einmal: Mobile mit goldgerahmten Video, vier holzgeschnitzte Hampelmänner, die sich an Drähten bewegen – das alles drapiert auf einer türgroßen Holzplatte über kleinen roten Rädern. Die ratternde Installation könnte glatt eine Auftragsarbeit sein fürs Lübecker Günter-Grass-Haus, bietet sie doch fein abgründiges „Blechtrommel“-Ambiente.

Acht Wochen für die große Gruppenschau

Die Ausstellung „Menschenbilder“ in der Galerie KiR, eröffnet am Sonntag, 5. Dezember, um 17 Uhr und bleibt bis zum 30. Januar in der Künstlergalerie im Europahaus, Elsässer Straße 21.Geöffnet ist die stimmige Schau in den nächsten Wochen mittwochs und freitags von 17 bis 19.30 Uhr, sonntags von 16 bis 19 Uhr, online informiert galerie-kir.jimdofree.com.

Für eine nicht minder namhafte Klientel malt Sibylle von Guionneau: Für die gefragte Porträtmalerin ist das Jahresthema wie geschaffen. Ihr Beitrag sind so feinfühlige wie großformatige Bildnisse zweier älterer Menschen: neben Papst Franziskus, lächelnd und sonnengebräunt, zeigt die 78-Jährige eine Dame aus der eigenen Verwandtschaft. Gegenüber solch zarter Elegie setzt Judith Pasquale (mit durchaus ähnlichem Strich und Kolorit) ganz auf die Jugend: Sie lässt drei „Future Kids“ Seite an Seite voranschreiten.

Eine archaisch-strenge Plastik von Klaus Reimer vor zwei Porträt-Gemälden Sibylle von Guionneaus.
Eine archaisch-strenge Plastik von Klaus Reimer vor zwei Porträt-Gemälden Sibylle von Guionneaus. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Nicole Tenge zeigt einerseits ein Gemälde in ganz ähnlich „klassischer“ Fasson – und verpasst der Leinwand direkt daneben gewitzt eine dritte Dimension: Denn auf ihr tanzen Figuren aus Hefterlaschen, dem bevorzugten Material ihrer letzten Werkreihen (und ihrer Einzelausstellung in der Galerie KiR).

Zugleich minimalistisch und ausdrucksvoll

Damit ist’s ein kleiner Schritt zur Bildhauerei, die bei dieser Gruppenschau allerdings dezent auftritt und nicht etwa die Mitte des Raumes beansprucht. Norbert Henneckes auf imposante Holzstelen montierte Metall-Köpfe sind gekonnt stilisierte Antlitze, zugleich minimalistisch und ausdrucksvoll. Neben diesem Entree gleich hinter der Glastür zeigt sich dann doch ein Zeitkommentar: nämlich Rosemarie Potts Objektkiste „Mensch und Medizin“ mit durchaus gruseligem Chirurgenbesteck.

Klaus Reimers streng stilisierter Kopf könnte zugleich archaisches Relikt aus der Antike sein – oder ein Beispiel der Bildhauerei neuer Sachlichkeit. Verschmitzter und in überraschend warmer Farbigkeit wirbt dagegen das kleine Speckstein-Haupt von Ingrid Handzlik um Streicheleinheiten.

Die meisten Künstler dieser „Menschenbilder“ suchen eben nicht das Abgründige – bis auf Helmut Junge: Sein in dramatischen Farben gemalter Rückenakt, ein Schild „Save“ in die Höhe haltend, ist umstellt von den gewaltig in den Vordergrund ragenden Wirbeln eines Stacheldrahtes. Ganz kann eine noch so freundlich gestimmte KiR-Leistungsschau eben doch nicht von der Gegenwart abrücken.