Oberhausen. In seiner Auswahl verweist Georg Overkamp auf sein Faible für Kunst im öffentlichen Raum und skizziert ein ambitioniertes Gesamtkunstwerk.
„Schwerpunkte“ zu setzen – das klingt verdächtig nach dieser Allerweltsphrase von Politik bis Sozialarbeit. Für einen Bildhauer allerdings ist der Schwerpunkt eines jeden Werkstückes nichts Schwurbelhaftes, sondern präzise zu ermitteln, wenn die Skulptur gelingen soll. So nennt Georg Overkamp seine umfassende Einzelausstellung in der Galerie KiR im Europahaus ganz folgerichtig „Schwerpunkte“, untertitelt „Objekte, Skulpturen, Projekte“.
Nach langem Stillstand und der gebotenen Nachspielzeit für die am 1. November 2020 nur für einen Tag geöffnete Gruppenausstellung „Was immer in Bewegung ist“ gibt’s nun fast 50 neue Exponate im schönen Ausstellungsraum an der Elsässer Straße 21. Ein „Déjà-vu“ bedeutet die Werkauswahl nur für den Künstler selbst: Denn Georg Overkamp hatte eine Schau mit dem Dreiklang „Akte Sessel Blau“ schon nahezu komplett zusammengestellt – als der vereinbarte Schauplatz, die Buchhandlung in der Elsässer Straße, dichtmachte.
Nackter Torso zwischen blauen Aktendeckeln
Jetzt steht das tiefblaue Polstermöbel wenige Schaufenster weiter vor jenen Arbeiten, die es inspirierte: eine ganze Reihe von Aktzeichnungen, geradezu klassisch ausgearbeitet in unterschiedlichsten Formaten und Techniken. Der Silhouette des weiblichen Körpers huldigt der 66-Jährige Zeichner und Bildhauer selbst in Draht: zu bewundern ist eine einzige Metalllinie, die apart einen leeren Barockrahmen zu füllen weiß. Dafür eignet sich bestens die rückwärtige Fensterfront des Galerieraumes mit ihrem weich zeichnenden Gegenlicht.
„Akte“ im Sinne von Aktendeckeln: auch mit dieser Assoziation weiß der Künstler zu spielen – und zwängt einen nackten Torso zwischen den blauen Karton für Verwaltungsvorgänge, mit schönster Ironie angerichtet auf einer gemächlich kreisenden Drehscheibe. Selbst dem eigenen Aktenordner für seine „Akte Sessel Blau“-Reihe gab Overkamp die ihm zustehende künstlerische Veredelung.
Denn zumal mit den Antragspapieren für seine Arbeiten im öffentlichen Raum hat der Bottroper in den Reihen der Kunstinitiative Ruhr inzwischen reiche Erfahrung, betont aber: „Das mache ich sehr gerne.“ Davon gibt der große KiR-Schaukasten in der Europahaus-Passage einen Überblick. Darunter natürlich auch „Square 2 Go“, sein Blickfang auf einer zuvor so tristen Mauer an der Marktstraße. Nur den liebevoll aufs Pflaster gemalten Schatten des Hundes an der Wand haben etliche Kehrmaschinen-Einsätze längst ausradiert.
Skulptur und Sitzmöbel aus Tangram-Formen
„Triple 5“ nennt Georg Overkamp seine neue Arbeit für den Friedensplatz: Tangram-Formen kombiniert er zu einer skulpturalen Bank – hochkant aufgestellt wär’s eine kühne Skulptur: wahrlich eine Frage des Schwerpunkts.
Doch für sein ambitioniertestes Projekt will der frühere Gesamtschullehrer die bildenden Künste mit Schauspiel und Musik verbünden: „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, 1933 die letzte gemeinsame Arbeit von Bert Brecht und Kurt Weill und damals annonciert als „Ballett mit Gesang“, nennt ihr Bewunderer eine zeitlos gültige Kurzoper. Georg Overkamp hat schon bei einigen kreativen Institutionen vorgefühlt – mit durchweg ermutigender Resonanz, auch aus Oberhausens Theaterfaktorei. Bei der ihm vorschwebenden Verbindung von Ausstellung plus Aufführungen mit Tanz und Live-Musik wäre er selbst nur einer von sieben bildenden Künstlern. „Das geht nicht ohne Fördermittel“.
Der Künstler ist immer mittwochs anwesend
Zur Eröffnung der „Schwerpunkte“-Schau am Sonntag, 1. August, um 17 Uhr darf die Galerie KiR zeitgleich nur 15 Besucher einlassen. Winfried Baar, der KiR-Vorsitzende, will deshalb die Begrüßung nach draußen verlegen. Drinnen gelten die „drei g“ für getestet, geimpft oder genesen.
Bis zum 5. September bleibt Georg Overkamps Werkschau an der Elsässer Straße 21 zu sehen, geöffnet mittwochs und freitags von 17 bis 19.30 Uhr, sonntags 16 bis 19 Uhr. Der Künstler will immer mittwochs anwesend sein; Interessierte können sich unter overart@email.de aber auch zu Extra-Terminen anmelden.
Spannend wird der Vergleich mit der dann folgenden Einzel-Ausstellung: Denn auch Roger Löcherbach arbeitet als Bildhauer bevorzugt mit Holz – gibt seinem Material aber einen ganz anderen Zuschnitt.
Schaurig-schön modellierte und schnitzte der 66-Jährige seine Sicht auf Völlerei und Wollust, auf Neid und Zorn. Sein Gemälde eines ekstatischen „Sodom und Gomorrha“ zitiert gekonnt den für „Sündiges“ stilprägenden deutschen Expressionismus. Georg Overkamp weiß eben Schwerpunkte richtig zu setzen.