Oberhausen. Mit der Ausstellung „Extremst“ im Europahaus steigert sich der KiR-Aktivposten erneut. Sein Rundumschlag vereint Schrecken und Schönheit.
Wenn man als umtriebiger Künstler mit Hang zum Aktionismus schon eine Ausstellung mit dem Titel „dekadent“ hatte – wie sollte sich das noch steigern lassen? Für Frank Gebauer ist’s eine der leichteren Übungen, selbst wenn die Grammatik dafür leiden muss: „Extremst“ heißt die neue Schau des mannigfaltigen Material-Artisten. Ein Beitrag zum Beuys-Jahr, der allerdings mit gekonnten Zitaten von Leni Riefenstahl (1902 bis 2003) bis Meret Oppenheim (1913 bis 1985) höchst eigenwillige Traditionslinien zieht.
Barocke Überfülle, wehklagt der Künstler und Aktivposten der Galerie KiR, war ihm für diese neue Schau im Europahaus verboten: „Ich hatte die Anweisung, alles schön leer zu lassen.“ Das ist ihm – zum Glück für den staunenden Betrachter – nicht wirklich gelungen. Dabei hat Gebauer sogar ein Exponat aus der vorherigen Schau des Holzschnitzers Roger Löcherbach in sein raumgreifendes Arrangement übernommen – um dem Bildnis der rothaarigen Bluessängerin Beth Hart prompt eine neue Identität zu verpassen.
Prominenz von welthistorischem Rang stellt Frank Gebauer eben bevorzugt in unerwartete Konstellationen. So schaut ein sehr hoheitsvoll gemalter Sigmund Freud hinab auf die kraftvolle Schmerzenssängerin, starrt aus allen vier Ecken des tiefen Raums der Philosoph des „Übermenschen“ über seinem mal traurigen, mal drohenden Schnäuzer: stets getaucht in die belastete Farbkombination Schwarz-weiß-rot.
Überwältigungsästhetik von brachial bis subtil
„Nietzsche kann nichts dafür“, meint der Künstler knapp zu all den Schrecken, begangen von späteren Herrenmenschen, die der 58-Jährige mit seiner ganz eigenen Überwältigungsästhetik zu bannen versucht: Und die reicht von brachial bis überraschend subtil.
Man nehme nur das hochkant gestellte Klavier: ein klirrendes Ausrufezeichen im Raum. Noch dazu eines, das Salvador Dalí (1904 bis 1989) als Vordenker des niederrheinischen Schamanen Joseph Beuys identifiziert. Dalí träumte davon, Konzertflügel vom Bühnenhimmel krachen zu lassen. Frank Gebauer cremt das Musikmöbel mit pfundweise Fett ein. Eher früher als später wird diese Ausstellung anrüchig werden.
Zumindest besteht keine Gefahr, sich einen gut gefetteten Yakmilch-Tee in eine Pelztasse à la Meret Oppenheim einzuschenken. Frank Gebauer ist ja kein Kopist: Seine Reverenz an die Surrealistin ist ein bepelztes Pissoir. Dem allzeit verehrungswürdigen Pablo Picasso (dem Gebauer schon eine komplette Gruppenausstellung ausgerichtet hatte) huldigt der virtuose Material-Artist nun mit einem „Guernica“-Zitat aus Hörnern, Fahrradsattel und Gasmaske.
Der Renaissance-Mensch prunkt im Kleinformat
Das Ungeheuerliche der NS-Geschichte kann sich aber auch hinter vermeintlich purer Schönheit verstecken. Der Künstler gibt Deutungshilfe: Seine auf violettem Grund schimmernde, vielfach gegeneinander gekippte und gespiegelte Foto-Ansicht der Pirnaer Marienkirche heißt „Euthanasie“. Denn hinter der Backstein-Schönheit ragt im sächsischen Städtchen das Schloss Sonnenstein auf, eine Tötungsanstalt der Nationalsozialisten. (Sie war jüngst auch Thema einer Ausstellung in der Gedenkhalle.)
Vexierspiel mit Beuys, Nietzsche – und wem noch?
„Extremst“, untertitelt „eine Ausstellung für Alle und Keinen“, eröffnet am Sonntag, 31. Oktober, um 17 Uhr in der Galerie KiR im Europahaus, Elsässer Straße 21. Zur Performance des Künstlers sorgt Martina Lichter für Musik.
Zu sehen bleibt die zeitkritische Schau nur für einen Monat, bis zum 28. November. Öffnungszeiten sind mittwochs und freitags von 17 bis 19.30 Uhr, sonntags von 16 bis 19 Uhr.
Übrigens lohnt sich ein mehrfacher Besuch: Denn Frank Gebauer will während der Ausstellungswochen ein Porträt aus 900 CDs vollenden. Teils silberhell, teils geschwärzt, teils dunkel laviert entsteht aus dem derzeit noch abstrakten Raster ein schimmerndes Wandbild.
Zwischen verhaltener Anspielung und schepperndem Aufschlag mit Schlagzeug-Becken und mottigen Pelzen hat sich Frank Gebauer doch noch etwas Prachtentfaltung erlaubt: Sie gelingt Oberhausens entschiedenstem Renaissance-Menschen nämlich sogar im Kleinformat – wie es die KiR-Vitrine in der Europahaus-Passage beweist.