Mülheim. Mit denkbar knappem Vorsprung hat Rodion Bakum für die SPD das Direktmandat in Mülheim geholt. Warum er mit dem Ergebnis dennoch glücklich ist.
Mit einem denkbar knappen Vorsprung von wenigen Tausend Stimmen und etwas mehr als drei Prozentpunkten hat der SPD-Landtagskandidat Rodion Bakum das Direktmandat für den Wahlkreis Mülheim-Essen I holen können. Trotz hoher Verluste der Genossen bei den Zweitstimmen: Was hat den Ausschlag gegeben?
Herr Bakum – erst einmal herzlichen Glückwunsch zum gewonnenen Mandat. Es war dennoch ein knapper Sieg und von hohen Verlusten für die SPD in Mülheim begleitet. Rund neun Prozent im Vergleich zu 2017. Hannelore Kraft hatte damals 35.000 Stimmen geholt, Sie nun rund 20.000. Wie fühlt sich dieser Sieg an?
Rodion Bakum: Erleichterung. Aber das ist alles noch sehr frisch, ich kann es noch nicht richtig realisieren. Ich bin aber glücklich, dass es geklappt hat. Mein Team und ich haben Vollgas gegeben. Und man muss dazu sagen, dass Hannelore Kraft 22 Jahre lang den Wahlkreis hervorragend vertreten hat, zuletzt 2017 als Ministerpräsidentin. Sie hat dadurch einen Bekanntheitsbonus gehabt, den ich mir erst in den nächsten Jahren erarbeiten muss. Wir haben ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet, insofern sind drei Prozent mehr, als ich erwartet habe.
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Die Wahlbeteiligung in NRW war erneut deutlich geringer als noch 2017 – inwiefern haben Mobilisierungsprobleme eine Rolle bei Ihnen gespielt?
Wir haben in unseren Hochburgen etwa im Mülheimer Norden und im Zentrum stark mobilisieren können. Da, wo ich Hausbesuche gemacht habe, kann man sehen, dass das Ergebnis sehr gut ist. Ich vergleiche das mit der Bundestagswahl, dort konnten wir ähnlich mobilisieren. Mit einem Ergebnis knapp hinter Sebastian Fiedler kann man zufrieden sein, zumal wir nun die Bundesregierung anführen und durchaus kritischer beäugt werden.
Wie stark haben die Themen im Bund die Wahl in NRW beeinflusst?
Ich kann sagen, dass das am Infostand schon sehr deutlich wurde: Die Mehrheit der Gespräche drehten sich um den Krieg in der Ukraine, um die Frage der Energiesicherheit und der Energiebezahlbarkeit. In der Frage der Ukraine konnte ich aus persönlicher Erfahrung tief ins Gespräch gehen, in der Frage der Entlastungspakete musste ich aber natürlich die Bundespolitik darstellen.
Mit welchen Themen konnten Sie auf Landesebene punkten?
Aufgrund meines Berufes konnte ich als „Ihr Arzt für unser NRW“ das Thema Gesundheit ansprechen. Das hat schon sehr stark gezogen. Mit Streiks durch Verdi in der Pflege, mit der Demo gegen die Landespflegekammer hat die Gewerkschaft natürlich kurz vor der Landtagswahl Themen aufgegriffen, auf die ich wiederum mit meinem Profil gut reagieren konnte. Um die Lage von Vallourec, die nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch ihre Familien betroffen hat, haben wir uns gekümmert, sind mit Facharbeitern vor den Werkstoren ins Gespräch gekommen. Abgesehen davon war es – glaube ich – meine Umtriebigkeit als Parteivorsitzender in den vergangenen Jahren zu vielen Themen, die mit Ausschlag gegeben hat.
Die Kampagne „Ihr Arzt für unser NRW“ ist parteiintern durchaus kritisiert worden. War sie richtig?
Es war die richtige Strategie. Ich kann sagen, dass wir den Rat von dem Publizisten Erik Flügge bekommen haben. Für einen Kandidaten, den man erst bekannt machen muss, muss man ein Attribut finden, das bei Leuten hängenbleibt. Mein Name ist durchaus kompliziert, bleibt nicht so leicht hängen, der Arzt schon. Deshalb habe ich mich dafür entschieden. In der Partei hatte ich übrigens dafür großen Rückhalt, es gab nur einzelne Stimmen, die die Strategie kritisiert haben.
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Für die Mehrheit hat es im Land allerdings nicht gereicht, die SPD hat ihr Ziel deutlich verfehlt, stärkste Kraft in NRW zu werden. Es ist ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Wie geht es weiter?
Rot-Grün wird vermutlich nichts, man muss aber die Türen für eine Ampel offen halten. Theoretisch wäre auch eine Große Koalition möglich, die aber niemand will. Wir können deshalb nur sagen: Schwarz-Grün hat die Wahl gewonnen. Wer aber eine Politik will mit besseren Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen, bezahlbaren Wohnungen und dafür ist, den Klimaschutz mit Arbeitsschutz zu verbinden, der sollte die SPD mitnehmen. Meine Prognose aus den Erfahrungen mit Schwarz-Grün in Mülheim ist, dass es in dieser Konstellation nicht klappen kann.
Also die Ampel?
Das ist eine Option. Es gibt auch die der Minderheitsregierung. Die Wähler haben aber eine stabile Regierung verdient – daher wäre die Ampel-Option eine bessere Lösung. Das aber müssen die Wahlsieger, die Grünen, entscheiden, wie es weitergeht. Bei uns steht die Tür offen. Wir wollen eine Fortschrittsregierung.
Das Wahlkampffieber ist vorbei – wie kommt der Arzt Rodion Bakum jetzt wieder runter auf Normaltemperatur?
Ich bin und bleibe Arzt. Ich muss aber das Ganze erst einmal realisieren. Wobei ich nicht viel Zeit zum Nachdenken habe: Morgen ist schon der erste Termin im Landtag mit der SPD-Niederrhein, am Dienstag die erste Fraktionssitzung. Die Temperatur wird also ein Stück weit bleiben. Die Arbeit beginnt jetzt.
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