Mülheim. Vor dem gefürchteten 18. Mai protestieren rund 1000 Vallourec-Leute in Paris. Die Signale stehen auf Schließung, die Belegschaft gibt nicht auf.
Hunderte Vallourec-Beschäftigte aus Mülheim und Düsseldorf haben am Montag Nachtschicht geschoben und die Frühschicht gleich angehängt. Doch sie waren nicht am Arbeitsplatz, sondern kurzzeitig in Paris. Alle Energie wurde in die Protestkundgebung vor der Konzernzentrale gelegt – kurz vor dem 18. Mai, der wohl zum Schicksalstag für die beiden letzten deutschen Vallourec-Werke wird. Drei Optionen sind denkbar: Verkauf, Neuausrichtung mit erheblichem Stellenabbau oder Schließung.
Gegen Mitternacht starteten die Busse in Richtung französischer Hauptstadt, um am frühen Morgen vor Ort zu sein. Gegen 10 Uhr wurde es dann laut, wurden zweisprachige Transparente gezeigt („Wir kämpfen für den Erhalt unserer Arbeitsplätze“), rote IG-Metall-Fahnen geschwenkt, gelbe Warnwesten zur Schau getragen („Vallourec – Zukunft mit Stahl“), farbige Bengalos gezündet.
IG Metall kämpft weiter für Erhalt der Vallourec-Werke in Mülheim und Düsseldorf
Etwa 1000 Vallourec-Beschäftigte hätten demonstriert, berichtet Jörg Schlüter, IG-Metall-Geschäftsführer für Mülheim, Essen und Oberhausen, der mit in Paris war. Er schätzt, dass rund 350 Leute aus Mülheim-Dümpten angereist waren und rund 500 aus Düsseldorf-Rath, verstärkt von französischen Kolleginnen und Kollegen: „Das war schon eine beeindruckende Truppe.“
Ousama Bouarous, der Mülheimer Vallourec-Betriebsratsvorsitzende, sagte vor den Protestierenden: „Wir geben nicht kampflos auf. Es geht schließlich um unsere Existenzen.“ Zwar trat kein Vallourec-Manager persönlich vor die Menge, doch eine Delegation von Betriebsräten und IG Metall konnte in der Zentrale etwa eine halbe Stunde lang mit der Konzernführung sprechen. Sie übergab dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats, Philippe Guillemot, ihren Forderungskatalog.
Sozialtarifvertrag gefordert – Signale der Konzernführung wenig hoffnungsvoll
Vor allem wollen die Arbeitnehmervertreter die Fortführung der Werke tarifvertraglich absichern. Zudem verlangen sie einen Sozialtarifvertrag, um – etwa mit Abfindungen oder einer Transfergesellschaft – soziale Härten auszugleichen, wenn Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Signale der Konzernführung seien aber nicht hoffnungsvoll gewesen, so Jörg Schlüter. „Unsere Delegation kehrte zurück mit der Botschaft, dass die Aussichten nicht toll sind, weder für den Verkaufsprozess noch für die Fortführung der Werke.“
Nun fiebern alle dem Mittwoch entgegen, an dem der Vallourec-Verwaltungsrat in Paris seine Entscheidung trifft. Rund 2300 Beschäftigte von Vallourec Deutschland bangen um ihre Jobs, wenn am 18. Mai die Frist für den Verkauf der beiden verbliebenen deutschen Werke abläuft. Für den global tätigen Stahlrohrproduzenten sind die Standorte in Düsseldorf und Mülheim, ehemals Mannesmann-Werke, nach sechs verlustreichen Geschäftsjahren langfristig nicht mehr rentabel.
In Mülheim droht die Schließung des zweitgrößten Industrie-Arbeitgebers
Daher hatte die Konzernführung Mitte November 2021 angekündigt, die deutschen Werke verkaufen zu wollen, und zwar innerhalb eines halben Jahres. Falls dies nicht gelingt, sollen sie geschlossen werden. Davon wären allein in Mülheim nach Angaben der IG Metall rund 750 Mitarbeitende betroffen. Hier droht die Schließung des zweitgrößten Industrie-Arbeitgebers, nach Siemens.
Zuletzt wuchs die Unruhe. War im März noch von angeblich 38 Kaufinteressenten die Rede, von denen wohl 15 tatsächlich Angebote unterbreiteten, gab es in der vergangenen Woche eine ernüchternde Nachricht. Laut Konzernführung seien nur noch drei Interessenten im Rennen. Die Arbeitnehmervertreter fürchten, die Finanzinvestoren seien womöglich nur an den Grundstücken interessiert, nicht an einer Weiterführung der Produktion.
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Der Personal-Geschäftsführer von Vallourec Deutschland, Dr. Herbert Schaaff, hat das gegenüber dieser Redaktion dementiert. Vielmehr hätten alle drei Interessenten ein industrielles Konzept zur Weiterführung der Produktion vorgelegt. Erklärtes Ziel von Vallourec sei der Verkauf an einen soliden Investor und die Fortführung der Produktion.
IG Metall: „Konnten Angebote noch nicht im Detail sichten“
Die Arbeitnehmervertreter wüssten zwar, wer die Interessenten sind, „sie konnten die Angebote aber noch nicht im Detail sichten“, erklärt IG-Metall-Geschäftsführer Jörg Schlüter am Montag nach der Kundgebung. „Die konkrete Ausgestaltung ist noch nicht ausreichend kommuniziert. Wir hoffen, dies geschieht am Mittwoch.“ Dann dürfte an der Entscheidung aber nicht mehr zu rütteln sein.
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Die Betriebsräte hatten gemeinsam mit der IG Metall ein Alternativkonzept vorgelegt, das die Unternehmensberatung Q&A Banner und Küster erstellt hat. Es sieht vor, die deutsche Produktion auf Zukunftsmärkte rund um Wasserstoff, Geothermie, Offshore-Wind und Solar zu konzentrieren. Die deutschen Werke müssten aber auch dann massiv schrumpfen. Sogar das Konzept der Arbeitnehmerseite geht davon aus, dass rund ein Drittel der Jobs notgedrungen abzubauen wäre.
Da die Perspektiven schlecht sind, hätten sich einige Beschäftigte schon neue Jobs gesucht, das bestätigt Jörg Schlüter. „Natürlich, wenn es in einem Unternehmen kriselt, verabschieden sich Leute.“ Außerdem herrsche Facharbeitermangel. Doch eine „Riesenfluktuation“ gebe es bei Vallourec nicht, und die Belegschaft werde nicht kampflos aufgeben.
Politiker kämpfen mit
Die Vallourec-Beschäftigten bekommen starke Unterstützung aus der Politik. So beriefen Mülheims OB Marc Buchholz und sein Düsseldorfer Amtskollege Stephan Keller (beide CDU) bereits im Januar einen Runden Tisch ein mit Vertretern der Geschäftsführung, der Gewerkschaft und des Betriebsrates.
An der ersten Videokonferenz nahm auch NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann teil.
Im NRW-Landtagswahlkampf hatten sich SPD-Kandidaten demonstrativ in den örtlichen Vallourec-Werken gezeigt.
Sollte das Mülheimer Werk geschlossen und die Fläche in Dümpten verkauft werden, will sich die Stadt Mülheim ein Vorkaufsrecht sichern und die zusätzliche Gewerbefläche entwickeln. Der Rat soll am 23. Juni darüber entscheiden. Das Ende von Vallourec in Mülheim rückt wohl näher, jede andere Nachricht am Mittwoch wäre eine kleine Sensation.