Mülheim. Der Ukraine-Krieg bringt Mülheimer Kinder in Konflikte. Auf den Schulhöfen ist es friedlich. Doch wer wagt noch, im Alltag Russisch zu sprechen?
Viele Mülheimer Schulen setzen Zeichen gegen den Angriffskrieg in der Ukraine. Aber ist es auch in den Klassenräumen und auf den Pausenhöfen friedlich? Insbesondere Kinder und Jugendliche aus russischen Familien könnten in Konflikte geraten oder zur Zielscheibe werden. Vor Diskriminierungen hatte am Donnerstag auch Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz beim Friedensmarsch auf dem Rathausmarkt gewarnt.
Zu den Schulen, in denen russisch-, wie auch ukrainischstämmige Kinder sich täglich begegnen, gehört die Hauptschule am Hexbachtal. Dort wurde der Konflikt offenbar bislang nicht ins Haus getragen: „Bei uns ist es tatsächlich sehr ruhig“, ist von Seiten der Schulleitung zu hören.
Mülheimer Schülervertreter: „Anfeindungen gibt es auf jeden Fall“
Dass das Miteinander durchaus leidet, beobachten dagegen Jugendliche aus dem Vorstand der Mülheimer Bezirksschülervertretung. Luisa Reichwein, die das Gymnasium Heißen besucht, hat zwar an ihrer eigenen Schule noch keine Konflikte im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg mitbekommen. „Aber ich habe aus anderen weiterführenden Schulen in Mülheim gehört, dass es durchaus Anfeindungen gegenüber russischen Schülern gab, allerdings mehr in der Freizeit.“
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Bestätigen kann dies Samuel Bielak, Schülersprecher der Gustav-Heinemann-Schule, der berichtet: „Anfeindungen gibt es auf jeden Fall. Ich habe in meinem Freundeskreis jetzt häufiger gehört, dass russische Kinder sich nicht mehr wagen, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen und Angst haben, attackiert zu werden.“ Selber äußern würden die betroffenen Jugendlichen sich nicht. „Sie schämen sich ja für ihr eigenes Land.“ Speziell an seiner Schule, der Dümptener Gesamtschule, sei an alle appelliert worden, den Frieden innerhalb der Schule zu wahren.
Willy-Brandt-Gesamtschule: Gegen jeden Krieg der Welt
Ähnlich verfährt die Styrumer Willy-Brandt-Gesamtschule (WBS). Von dort aus wurde am Donnerstag der Friedensmarsch auf die Beine gestellt. Im Vorfeld sollte allen klar sein: „Wir sprechen uns gegen jeden Krieg der Welt aus“, so der stellvertretende Schulleiter Mathias Kocks, „wir drücken aus, dass wir friedlich miteinander leben wollen. So wurde es in die Klassen transportiert, damit sich das Feindbild nicht in die Schülerschaft überträgt.“
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Den Schülern war freigestellt, ob sie blau-gelbe Plakate basteln und tragen möchten, so Kocks, doch die Schule habe das Zurschaustellen ukrainischer Nationalfarben nicht forciert. Bislang habe es an der WBS keine Anfeindungen gegenüber russischstämmigen Kindern gegeben, erklärt Kocks. „Wir wollen auch vorbeugen und versuchen, in Gesprächen zu entschärfen, klar zu machen, dort kämpft nicht das russische Volk gegen die Ukraine, sondern es ist der Feldzug eines einzelnen Despoten. Russische und ukrainische Kinder sollen nicht in Streit darüber geraten.“
Realschul-Lehrer: „Die schrecklichen Ereignisse verstören viele Kinder“
Mit einer symbolischen Friedensaktion ist auch die Realschule Stadtmitte vor wenigen Tagen aktiv geworden. Kinder und Jugendliche stellten sich auf dem Hof zu einem Peace-Zeichen zusammen, darunter ukrainische wie russischstämmige Mädchen und Jungen, Kinder mit Familien aus aller Welt. Konrektor Jan Hansen stellt fest: „Die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine verstören viele Kinder, lösen Erinnerungen aus den Herkunftsländern aus und sorgen für unheimlich viel Gesprächsstoff im Unterricht.“
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Bislang würden die russischstämmigen Kinder nicht ausgegrenzt oder attackiert, man habe einige ausdrücklich danach gefragt, so Hansen. „Vielleicht bestehen die Probleme eher in den Familien, die jetzt bewusst überlegen, ob sie Russisch sprechen, wenn sie etwa mit der Bahn unterwegs sind.“
Dass der Krieg Kinder in Konflikte stürzt, merkt auch Ilka Käufer, Sozialpädagogin an der Realschule Stadtmitte, obgleich auch sie kein offenes Mobbing wahrnimmt. Die Schulsozialarbeiterin gibt ein Beispiel: „Viele Klassen haben jetzt Friedenstauben gemalt - ein Junge weigerte sich: Für die Ukraine male er auf keinen Fall eine.“ Die Lehrkräfte schlugen vor, die Tauben stattdessen für den Weltfrieden zu malen. Der Junge zog mit.
Krieg ist auch Thema im Jugendzentrum
„Wir spüren keine Anfeindungen, sondern große Anteilnahme der Kinder und Jugendlichen“, sagt auch Isabelle Wojcicki, die als Diplom-Pädagogin im Jugendzentrum Stadtmitte arbeitet.
So sei der Ukraine-Krieg kürzlich Thema in einer Mädchengruppe gewesen - Mädchen, die teilweise selber Migrationshintergrund haben. „Sie fragen, warum gerade dieser Krieg so viel Aufmerksamkeit bekommt“, berichtet die Pädagogin, „es gibt und gab doch so viele Kriege drumherum.“
Ilka Käufer, deren Beruf Ausgleich und Vermittlung ist, vertritt ohnehin die Meinung: „Wir sollten Friedensaktionen neutral machen, um russische Kinder nicht vor den Kopf zu stoßen.“ Von Lehrerinnen wisse sie auch, dass Kinder, deren Familien aus dem Irak flüchten mussten, nachgefragt hätten: „Warum wurde für uns keine Friedensaktion gemacht?“