Mülheim. Viele Mülheimerinnen und Mülheimern sorgen sich wegen des Ukraine-Krieges. Seelsorger der Kirchen können Trost bieten. Was hilft gegen Angst?
Die Stadt Mülheim will in der kommenden Woche einen eigenen Krisenstab ins Leben rufen, um auf die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine reagieren zu können. Wie Stadtsprecher Volker Wiebels bekannt gibt, haben die Stadt vermehrt Anfragen erreicht, in denen sich die Sorge um die eigene Sicherheit widerspiegele. Auch die Seelsorger der Mülheimer Kirchen spüren an der Basis, wie sehr das Leid der Ukraine die Menschen hier beschäftigt, auch Ängste erzeugt. Was raten sie?
Eine Antwort mag überraschen: „Medienquarantäne“, sagt Olaf Meier, Theologe und Leiter der Telefonseelsorge Mülheim, Duisburg und Oberhausen. Denn „zu viele ,Horror-Nachrichten’ tun nicht gut, sie können Ängste auslösen. Das kann wie Gift wirken“. Der Theologe rät nicht dazu, den Kopf in den Sand zu stecken, doch ein Mal geballte Nachrichten am Tag sei für alle, die sich belastet fühlen, das richtige Maß.
Ein Fünftel der Anrufe bei der Mülheimer Seelsorge gelten der Ukraine
Auch interessant
Rund 45 Gespräche führt die Telefonseelsorge am Tag. Seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar ist auch die Lagen in der Ukraine bei etwa 20 Prozent der Anrufenden ein Thema. „Kommt der Krieg auch zu uns?“, „Werden meine Kinder dann in den Krieg müssen?“
Bei der Telefonseelsorge melden sich oft schon ängstliche Menschen, „ihre Angst manifestiert sich dann in solchen Themen wie Ukraine-Krieg oder Corona“, erläutert der Leiter. Wenn die Angst aber überstark werde, treten rationale Argumente in den Hintergrund. Die Seelsorge ist oft dann Anlaufpunkt, wenn Menschen mit diesen Ängste alleine sind oder sie bei ihren Angehörigen und Freunden nicht auf Verständnis stoßen.
Was aber hilft in solchen Angst-Momenten? „Man sollte das machen, was einem gut tut – in die Sonne, spazieren gehen, durchatmen“, rät Meier. Zuhörer suchen.
„Die Russen kommen“: Sorgen um Wehrpflicht und Erinnerungen an die Flucht
Zwei von vielen, die zuhören können, sind Pfarrer Dietrich Sonnenberger und Justus Cohen von der Vereinten Ev. Kirchengemeinde in Mülheim. „Einige Jugendliche fragen nach der Wehrpflicht, bei den älteren Menschen kommt die eigene Fluchtgeschichte wieder hoch oder die Angst vor den Russen, vor dem Atomkrieg“, erzählt Sonnenberger.
Auch er rät dann zu weniger Medienkonsum – „das ist für junge Leute schwierig, weil sie viel über das Handy zugespielt bekommen. Es ist aber wichtig, sich nicht permanent damit zu beschäftigen, und zu sehen, dass das Leben trotz allem schöne Seiten hat“.
Zuhören ist dieser Tage wohl eine der wichtigsten Aufgaben der beiden Pfarrer, „geteiltes Leid ist halbes Leid“, meint Sonnenberger. Und das Teilen könne viele Formen haben: „Menschen, die einen spirituellen Horizont haben, können sich im gemeinsamen Gebet stärken und erfahren: ,Ich bin nicht allein’. Auch das kann Angstbewältigung sein.“
Das Friedensgebet in der Petrikirche wird inzwischen stärker besucht
Und immer mehr nutzen dies: Nachdem das Friedensgebet in der Petrikirche vor einer Woche von nur acht Menschen besucht wurde, sind es am vergangenen Donnerstag schon rund 60 gewesen.
Sirenen und Bunker
Unter den Fragen der Bürger an die Stadt tauchten auch solche nach funktionierendem Warnsystem und Bunkern auf.
Feuerwehr-Chef Sven Werner kann entwarnen, denn Mülheim sei zumindest bei den Sirenen gut aufgestellt: „Seit gut drei Jahren wieder verfügt Mülheim über ein flächendeckendes und einsatzbereites Sirenensystem.“
Anders sehe es bei Bunkern aus: „Alle Bunker, die es aus Zeiten des kalten Krieges gab, wurden bereits vor über 15 Jahren auf Weisung des Bundes aufgegeben wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es auch zu Zeiten des kalten Krieges immer nur Schutzplätze für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung gegeben hat.“ Zu nutzen seien im Ernstfall daher Keller, Tiefgaragen oder Tunnelanlagen.
Für Justus Cohen ist die Erfahrung des „Mit-Leid“ dennoch eine wichtige: „Es tut weh, aber das ist auch gesund und es muss seinen Raum bekommen.“ Und inzwischen ist etwas ebenfalls wieder möglich, das zwei Jahre lang die Seelsorge erschwert hat: „Das Schulterklopfen und in den Arm nehmen – Corona hat uns diese klassische Möglichkeit zu trösten genommen. Aber situativ und verantwortlich ist es wieder möglich.“
Auch das hilft gegen die Angst: Gute Wünsche und Sachspenden
Wie umgehen mit der eigenen Angst? An der Erlöserkirche am Sundernplatz in Heißen hat Pfarrerin Anja Strehlau mit Konfirmanden eine Gebetswand aus der ukrainischen Fahne und einer Friedenstaube gebastelt. Dort kann jeder seine Gedanken niederschreiben. Etliche Gebete haben sich dort eingefunden, aber auch ,fromme Wünsche’: „Lieber Gott, mach’, dass Putin zur Vernunft kommt“, steht auf einem Zettel. Auch an der Petrikirche gibt es eine solche Wand.
Das Machen kann ebenso eine Form der Angstbekämpfung sein und die gefühlte Ohnmacht überwinden: Viele Mülheimerinnen und Mülheimer organisieren Hilfsgüter, die in die Ukraine gehen sollen. Auch Diakonie und Kirchenkreis bieten diese Möglichkeit an. (siehe unten)
Für Seelsorger Olaf Meier spielt in der aktuellen Krise aber noch eine weitere, durchaus positive Erfahrung eine große Rolle: „Die Wertschätzung unserer Politik und Politiker im Vergleich zu Diktaturen. Uns ist wieder bewusst, dass Demokratie kein Selbstläufer ist.“