Essen/Düsseldorf. Menschen in NRW, die russische Wurzeln haben, berichten seit Putins Überfall auf die Ukraine von Anfeindungen. Geschäft in Oberhausen attackiert.
Menschen in NRW mit Wurzeln in Russland und in anderen Ländern auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion sorgen sich nicht nur um die Lage in der Ukraine und den Weltfrieden, sondern haben auch Angst vor Anfeindungen. Vertreter dieser Bürger berichten in diesen Tagen von Ausgrenzung und Diskriminierung.
In einem Fall ermittelt bereits der Staatsschutz in Essen: In der Nacht zu Mittwoch haben Unbekannte die Fensterscheibe eines osteuropäischen Supermarktes in Oberhausen zerschlagen und die Fassade mit weißer Farbe beschmiert. Bereits in der vergangenen Woche hat es Farbschmierereien an dem Geschäft gegeben, dabei wurde „Freie Ukraine“ und „Putin Mörder“ in großen Lettern auf das Glas gesprüht, berichtete die WAZ. Die Sprecherin betont: „Wir haben nichts mit dem zu tun, was derzeit in der Ukraine passiert“, betonte die Pressesprecherin der Supermarkt-Kette.
„Es ist Putins Krieg“
NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty warnte schon zu Wochenbeginn: „Dies ist ein Angriffskrieg von Wladimir Putin, kein Krieg des russischen Volkes. Es ist auch kein Krieg der hier in Deutschland lebenden russischstämmigen Bevölkerung.“ Es sei wichtig, Putins Krieg „nicht auf deutsche Schulhöfe oder in sonstige deutsche Gesellschaften zu tragen“. In NRW leben nach Angaben des Statistischen Landesamtes rund 54.000 Russen und 29.000 Ukrainer.
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Auch die Staatssekretärin für Integration in NRW, Gonca Türkeli-Dehnert (CDU), äußert sich besorgt über Ressentiments gegen russischstämmige Bürgerinnen und Bürger in NRW. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Putin unser Land spaltet“, sagte die Politikerin dieser Redaktion. „Die Menschen mit russischer Einwanderungsgeschichte in NRW sind selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft. Wir dürfen sie nicht für diesen feigen Angriffskrieg verantwortlich machen“, betonte Türkeli-Dehnert. „Es ist Putins Krieg und nicht der Krieg der Russen.“
Bedrohungen auf den Schulhöfen
Dietmar Schulmeister aus dem Vorstand der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in NRW berichtet von Bedrohungen gegen Kinder auf Schulhöfen und demütigendes Verhalten von Lehrern: „Leider erreichen mich immer mehr Informationen über solche Fälle. In Berlin hat eine Lehrerin eine russlanddeutsche Schülerin vor der ganzen Klasse brüskiert. Es gibt viele Russlanddeutsche, die in diesen Tagen Diskriminierung erfahren, in der Schule und am Arbeitsplatz. Diese Menschen, die Deutsche sind, können nichts dafür, dass sie in Russland geboren wurden.“
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Die Russlanddeutschen in NRW hätten unabhängig von diesem Krieg Diskriminierungserfahrung. Schulmeister betont, dass sich die Menschen in seinem Vereins-Umfeld nicht nur klar gegen diesen Angriffskrieg wendeten, sondern aktiv und solidarisch Hilfe für die Opfer leisteten.
Wird „Russe“ zum Schimpfwort?
Manchmal verläuft die Konfliktlinie mitten durch die Familien. „Ich bin in Russland geboren, mein Vater ist Ukrainer“, erzählt Ekaterina H. Sie engagiert sich in einem Kultur- und Bildungszentrum für Kinder und Jugendliche, eine Initiative russischsprachiger Migranten im Ruhrgebiet. Sie sei bisher nicht persönlich angefeindet worden, doch im Netz habe sie bereits viel Unschönes über Vereine lesen müssen, die sich für russische Kultur engagieren. „Die beiden Nationen waren doch eng verbunden, auch in unserer Familie. Jetzt ist alles kaputt“, klagt sie.
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Wird das Wort Russe bereits zu einem Schimpfwort? „Ich versuche, jede Diskussion über den Krieg zu vermeiden“, sagt Elena S., Vorsitzende eines deutsch-russischen Kulturzentrums in der Region. „Am Samstag hatten wir einen Bastelkurs mit vielen Kindern. Eine Mutter wollte eine Diskussion anfangen, das habe ich aber direkt unterbunden“, sagt die resolute Frau. Die Kinder seien bereits genug verunsichert, findet sie.
Viele äußern sich nicht öffentlich
Sie werde in den letzten Tagen sehr oft auf den Krieg, auf Putin, auf die Zerstörung angesprochen: Was sie als gebürtige Russin denn dazu sage. „Ich halte mich zurück“, sagt sie. „Ich bin Deutsche und lebe hier.“ Doch sie befürchtet, dass sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen künftig verschlechtern werde. Derzeit macht sie sich Gedanken, ob sie das geplante Frühlingsfest in ihrem Zentrum nicht lieber absagen soll.
Die Vertretung eines Kulturvereins von Russlanddeutschen in NRW lehnte es auf Anfrage grundsätzlich ab, sich politisch zu äußern. Damit habe man in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht. Die Mitglieder seien, wie jeder andere normal denkende deutsche Bürger, gegen den Krieg. Ihre Familien hätten die Angst, die Diktatoren verbreiten, selbst erlebt und nicht zuletzt aus diesem Grund die frühere Heimat verlassen.
Immer dieselbe Frage
Auch die junge Journalistin Alexandra Prokofev (22), die als kleines Kind aus Russland nach Deutschland kam, sieht sich ständig mit der Frage konfrontiert: Wie geht es dir damit? Sie wundert sich darüber: „Es wirkt häufig so, als erwarten viele, ich als russischstämmige Person könnte eine andere Meinung zum Krieg haben als Menschen, die in Deutschland geboren sind“, schreibt sie. Auf die Frage „Was fühlst du als Russin?“ könne sie nur das sagen, was alle Menschen fühlen müssten: „Wut, Trauer und auch Angst.“