Essen. . Im Straßenverkehr herrscht Krieg. So sehen es die Macher einer neuen Smartphone-App. Sie wollen “den schwächsten Verkehrsteilnehmern“ eine Waffe an die Hand geben - eine App, die rücksichtslose Autofahrer an den Online-Pranger stellt. Wer sie nutzt, wird ein “Wegeheld“. Juristisch ein fragwürdiges Verhalten.

"Freie Wege für alle" fordern die Macher einer neuen App, die sich Wegeheld nennt. Unter "alle" meinen sie aber nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung: All' die, die nicht Auto fahren. Und für "freie Wege" sorgen soll man, indem Nutzer via App zum Beispiel Falschparker brandmarken - in Form eines Internet-Prangers. Eine App für Hardcore-Radler und Denunzianten?

Erst seit kurzem ist die App im Android-Store von Google. Abgerufen wurde sie bereits mehr als zehntausend Mal. Unter den Beurteilungen finden sich, neben Klagen über anfängliche Software-Bugs, manches Lob und einige Entrüstung; "Das erinnert mich an DDR-Methoden mit Polizeihelfern, Grenzhelfern und IM's", heißt es zum Beispiel in einer Bewertung.

Worum geht es genau: Mit der Wegeheld-App kann man Verkehrsverstöße via Smartphone dokumentieren und Web-weit an den Pranger stellen. Die Macher schreiben dazu: "Wegeheld draufhalten – und mit wenigen Klicks ist der Vorfall – anonymisiert - im Netz. Wenn Sie wollen, auch bei Facebook und Twitter (...), notfalls auch mit einem Hilferuf an Ihr Ordnungsamt." Der Rechtsweg ist also nur etwas für den "Notfall". Im Vordergrund steht das An-den-Pranger-stellen im Social Web.

App-Nutzer werden zu Helden stilisiert

Die Macher um Initiator Heinrich Strößenreuther sehen sich ganz im Dienste einer guten Sache. Die kostenlose App sei für alle "die sich frei und sicher durch die Stadt bewegen wollen" und soll die Interessen von "Kindern, Rollis, Radler und Senioren", also der "schwächsten Verkehrsteilnehmer". Nutzer werden moralisch zum "Helden" aufgewertet; Hinweise zu Falschparkern werden zum "WegeAlarm" stilisiert. Die Macher lassen nicht unerwähnt, dass Initiator Strößenreuther für das Vorantreiben seiner App-Idee seinen Job "ein halbes Jahr an den Nagel hängte und 20.000 Euro Erspartes reinsteckte". Idealismus kann nichts Böses sein, wollen sie damit offenbar sagen.

Ursprünglich war die App unter dem Arbeitstitel "Straßensheriff" entwickelt worden - die Assoziation Hilfssheriff war den Machern dann wohl zu negativ. Das Fördern von Denunziantentum mag man sich jedenfalls nicht vorhalten lassen. Wegeheld schreibt dazu auf seiner Website, man wolle, "für gute Nachbarschaft auf unseren Straßen sorgen" und "weg von autogerechten Städten, hin zu lebenswerteren Städten".

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Was Wegehelden fragwürdig macht 

"Solche Apps erzeugen ein Klima des Misstrauens", glaubt dagegen der Düsseldorfer Rechtsanwalt und Blogger Udo Vetter. Bei nennenswerten Gefahren oder bei "persönlicher Betroffenheit" sei es sicher richtig, Verstöße zu melden. Es sei jedoch "Aufgabe der Ordnungsämter und der Polizei, die öffentliche Sicherheit zu schützen - nicht Aufgabe der Bürger, Hilfssheriff zu spielen", meint Vetter. Er kritisiert zudem: Wer sich etwa mithilfe einer Falschparker-App als Ordnungshüter aufschwinge - zudem noch "aus einer Heckenschützen-Position" heraus - "instrumentalisiert das Recht für sein eigenes Geltungsbedürfnis".

Es sei auch juristisch zweifelhaft, solche Apps zu nutzen, meint Vetter und verweist auf ein Urteil des Amtsgerichts Bonn vom Januar diesen Jahres. Es untersagte gegen Androhung von 5000 Euro Ordnungsgeld einem selbst ernannten Ordnungshüter, weiterhin Hundehalter zu fotografieren deren Tiere in einem Naturschutzgebiet nicht angeleint waren. Der Angeklagte habe im Stile eines Blockwarts eine "systematische Gebietskontrolle" betrieben. Er hatte mehrere Dutzend angeblicher Verstöße dokumentiert und dem Ordnungsamt gemeldet, dabei jedoch gegen die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verstoßen, weil er sie ungefragt fotografiert hatte. Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, so das Fazit des Gerichts, "ist nicht Aufgabe einzelner Bürger".

Vorsicht vor falscher Verdächtigung

Auch die Wegeheld-Macher geben Rechts-Tipps. Sie mahnen zum Beispiel: Wer die App nutzt, kann wegen falscher Verdächtigung strafrechtlich belangt werden. Bei Fotos muss man tunlichts darauf achten, Nummernschilder zu schwärzen - was die App technisch ermöglicht. Und: Wer andere öffentlich anschwärze, ist bei Tatsachenbehauptungen nicht durch das Recht auf Meinungsfreiheit vor Strafe geschützt.

Rechtsanwalt Vetter hat jedoch noch weitere Kritikpunkte: "Ein Foto eines Autos sagt noch nichts über den Fahrer". Auch mit geschwärztem Nummernschild kann ein Fahrzeug wiedererkennbar und der Halter damit idenfizierbar sein. Und: Würde der Fahrer etwa beim Einsteigen fotografiert, "ist juristisch eindeutig eine Grenze überschritten". Zudem warnt Vetter warnt davor, sich mit Hilfe des Smartphones als Richter aufzuspielen: "Es ist Aufgabe der Behörden und der Gerichte, Leute bei Vergehen mit den gesetzlichen Mitteln zu belangen".

Stadt Dortmund würde App-Hinweise prüfen

Bei Kommunen an Rhein und Ruhr stößt die App auf Misstrauen. "Von einer App, die das Denunziantentum fördert, halten wir nicht viel", sagt eine Sprecherin der Stadt Duisburg. Die Stadt Dortmund würde Hinweise per Wegeheld-App wohl prüfen, sagt ein Sprecher. Denunziantentum fördern wolle man jedoch nicht: "Ein Foto alleine beweist noch nichts - Hinweise müssen Beweiskraft haben". Dazu sei auch der genaue Name des Zeugen und anderer Personen nötig. Unter anderem. In Essen verweist man auf das Beschwerde-Management der städtischen Verkehrsüberwachung, die per Hotline erreichbar sei. Telefonische Meldungen über Parksünder "halten sich in Grenzen". Ähnlich die Auskunft im Düsseldorfer Ordnungsamt. Etwa 0,9 Prozent der im Jahr erfassten Parksünder gingen aus Hinweisen aus der Bevölkerung hervor. Zwar könne man in Düsseldorf auch per Mail Parkverstöße melden. Dies habe "zwar die Zahl der Beschwerden erhöht, ihre Qualität hat aber eher abgenommen".

Unterdessen geben die Wegeheld-Macher ihren App-Nutzern auch etwas Netiquette an die Hand: von Respekt, Höflichkeit, Richtigkeit und Relevanz ist da die Rede. "Überprüfen Sie immer nochmal kurz, ob dieser Vorfall auch wirklich so schlimm ist, dass die ganze Welt davon erfahren muss", mahnen sie unter anderem. "Steht ein Auto z.B. nur mit einem Reifen auf der Fahrradspur-Markierung, können Sie vielleicht ein Auge zudrücken."

Ob wahre "Wegehelden" dazu tatsächlich in der Lage sind?