Essen. Die Absage der Popkomm soll auch ein politisches Signal der Industrie gegen die illegale Verbreitung von Musik im Internet sein. Popkomm-Gründer Dieter Gorny erklärt im Interview mit DerWesten, warum er das französische Modell für sinnvoll hält: Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen.
Die Musikbranche steckt in der Krise: Die Umsätze brechen international auf breiter Front ein – Und Schuld daran ist nach Ansicht der großen Labels die illegale Verbreitung von Musik im Internet. Die Absage der Popkomm, die mit der Erwartung zu geringer Fachbesucherzahlen begründet wurde, ist daher auch als politisches Signal der Musikindustrie gegen Urheberrechtsverletzungen im Onlinebereich zu verstehen.
Die Politik, so der Vorsitzende des Bundesverbands der Musikindustrie und Popkomm-Gründer, Dieter Gorny, müsse dafür sorgen, dass das Urheberrecht auch im Netz geschützt wird. Doch in dieser Debatte geht es um Grundsätzlichkeiten: Auf der einen Seite stehen in dem politischen Streit diejenigen, die sich für die Freiheit im Internet einsetzen und an dessen Selbstregulierung glauben. Auf der anderen Seite fordern viele Künstler und die Industrie eine Verschärfung der Kontrollen und juristische Konsequenzen bei wiederholten Urheberrechtsverletzungen. In Frankreich steht derzeit ein Gesetz zur Debatte, nach dem Raubkopierern bei wiederholten Verstößen die Sperrung des Anschlusses für bis zu einem Jahr drohen würde; die Internet-Gebühren würden dabei weitergezahlt. Dieter Gorny sieht darin auch ein Vorbild für Deutschland, wie er im Interview mit DerWesten erläutert.
Die Grünen und Teile der SPD fordern demgegenüber in Deutschland eine Kultur-Flatrate, die eine Art Pauschalvergütung im Internet vorsehen würde, ähnlich der GEZ-Gebühren. Die Idee fußt auf den Ansätzen der Piratenpartei, die in Schweden innerhalb weniger Wochen zur drittgrößten Partei aufgestiegen ist und weniger Kontrollen im Netz fordert.
Beide Lager beschäftigen sich mit der selben Frage: Wie können Urheberrechte auch im Internet geschützt und entlohnt werden.
Herr Gorny, Sie haben im Zusammenhang mit der Popkomm einmal gesagt, dass man sich über andere Formen der Messe Gedanken machen müsse. Wie kann man sich so etwas vorstellen in Zeiten des Internets?
Gorny: Der Musikindustrie wird immer vorgeworfen, die Digitalisierung verschlafen und keine vernünftige Musik veröffentlicht zu haben. Das sei der eigentliche Grund der Krise. Wenn aber so viel schlechte Musik auf dem Markt wäre, würde sie auch keiner klauen. Wir haben ein Strukturproblem, wir haben ein Vertriebsproblem aber wir haben kein Musikproblem. Dem muss eine solche Veranstaltung Rechnung tragen. Es geht darum, spannende, zukunftsfähige und damit auch umsatzfähige neue Musik vorzustellen und erlebbar zu machen. Ob das dann noch eine Messe sein wird, muss man sehen. Im Grunde muss man nicht viel neu erfinden. Deshalb wird man sich jetzt zusammensetzen und überlegen, wie man dem gerecht werden kann.
Urheberrecht im Internet durchsetzen
Sie haben in der Vergangenheit mehrfach die Politik aufgefordert, im Bereich des Urheberrechts zu handeln. Was heißt das konkret?
Gorny: Es geht nicht darum, das Urheberrecht zu verschärfen. Es geht darum, es auch im digitalen Bereich durchzusetzen. Ich stelle mich da ganz hinter den Kulturstaatsminister. Bernd Neumann hat sehr deutlich gesagt, dass Dinge in Frankreich gehen, die hier vielleicht nicht gehen. Aber es kann nicht sein, dass hier gar nichts geht.
Sie sagen also, die Politik hierzulande sollte sich zumindest an einem Modell wie in Frankreich orientieren?
Gorny: Das ist zumindest besser, als Leute zu verklagen. Wichtig ist dabei nicht, wie hoch Sie Verstöße gegen das Urheberrecht bestrafen, es reicht schon, wenn Sie die Leute verwarnen. Es geht darum, dass die Auffassung, illegales Kopieren sei doch nicht so schlimm, aus den Köpfen verschwinden muss. Dabei hat das Modell in Frankreich einen besonderen Charme. Das ist die Präambel. Was dort geschrieben steht, ist nach meiner Auffassung der Zukunftsweg – in einer digitalen Welt gehören Hochtechnologie und Kultur zusammen und bedingen einander. Technologiebetreiber müssen lernen, dass sie ohne die entsprechenden Inhalte ihre Technologien nicht vermarkten können. Und die Content-Anbieter müssen lernen, dass sie die Technologien brauchen, um ihre Angebote optimal zu verbreiten. Diese Bedingtheit muss konstruktiv diskutiert werden. Hier sehe ich die wichtige Rolle der Politik: die Kontrahenten an einen Tisch zu holen.
Was ist mit der Generation, die sich noch nie eine CD gekauft hat, für die es selbstverständlich ist, sich Sachen aus dem Internet herunter zu laden, sei es legal oder illegal? Meinen Sie, Sie kriegen diese Generation je wieder?
Gorny: Diese nicht, aber die nächste. Ich muss an die Schulen gehen und zeige den jungen Leuten Bibliotheken, zeige ihnen Filme und Musik und sage ihnen dann: Das gibt es in Zukunft alles nicht mehr, wenn die Raubkopiererei nicht aufhört. Wir können sehr wohl Einstellungen verändern, die heute noch als selbstverständlich gelten. Das geht nur nicht sofort, indem Sie alle Ampeln auf rot stellen – es ist ein Prozess. Und man muss dabei deutlich machen, dass es dabei nicht um ein Kavaliersdelikt geht. Es geht viel tiefer. Alle reden beispielsweise von den Zukunftschancen und der wachsenden Zahl von Jobs in der Kreativindustrie. Sie sind aber zunehmend gefährdet durch illegales Kopieren. Wir können mit diesen Ressourcen nicht so umgehen, als wäre das alles folgenlos.
Wie könnte ein sinnvolles Zusammenspiel zwischen Musikindustrie und Internet aussehen?
Gorny: Alle Content-Anbieter müssen erkennen, dass der Vertrieb über das Internet eine enorm wachsende Rolle spielt. Also muss man gemeinsame Geschäftsideen entwickeln. Diese gemeinsamen Geschäftsideen nutzen aber nichts, wenn beim Anbieter nebenan alles umsonst ist. Also brauchen wir auch gemeinsame Regeln. Die könnten so aussehen: Konsens ist, im Internet gibt es spezielle Warenhäuser, und wir sorgen dafür, dass der Anbieter da vernünftig verkaufen und der Kunde vernünftig kaufen kann. Das heißt nicht, dass man die Piraterie auf Null kriegt. Aber letztlich geht es um ein Produkt, in das jemand harte Arbeit investiert hat, und irgendjemand muss für diese Arbeit auch bezahlen, sonst macht sie niemand mehr. Das Geschäftsmodell ist ganz simpel: Ich biete etwas an im Internet und dafür wird etwas bezahlt. Der Marktpreis richtet sich nach dem Bedürfnis, und wenn jemand etwas klaut, kriegt er eins auf die Nase.
Die Leute wollen Musik
Das genau ist die Frage, wie möchten Sie das schaffen?
Gorny: Indem Sie die Warenhäuser regulieren und schützen. Man muss bei der Debatte über die Musikindustrie immer bedenken, dass ihr Produkt ja gewollt ist. Das heißt, die Leute wollen Musik. Die Nachfrage ist da, es gibt aber noch keinen Konsens, wie man Angebot und Nachfrage in ein ökonomisches Gleichgewicht bringt. Und was mir bei der Debatte die größten Sorgen bereitet, ist, dass die Vermarktungskrise derzeit nicht nur die großen Künstler trifft - die können ihre Einnahmequellen verlegen und etwa höhere Preise für Konzert-Tickets verlangen. Es trifft vor allem Musiker, die gerade ihre Karriere starten oder die eine spannende Nische abdecken - und genau die brauchen wir, um unsere kulturelle Vielfalt zu erhalten.
Was würden Sie einem jungen Künstler, der in Zukunft Geld verdienen möchte, raten?
Gorny: Er muss sich erstmal rechtlich absichern. Im Zweifelsfall sollte er zusehen, dass er alle Rechte möglichst gebündelt hat. Er muss sich darauf einstellen, dass alles länger dauert, weil er Einkommen aus Liveauftritten erst dann in nennenswerten Größen erzielen kann, wenn er entsprechend prominent ist. Die Möglichkeiten des Record-Vertriebs sind limitiert. Es geht aber immer noch. Das Internet ist inzwischen eine ganz normale Promotion-Maschine, er muss sich also noch mehr anstrengen, um mit allen Möglichkeiten viraler Technologien auf sich aufmerksam zu machen. Richtig wohlhabend wird er aber nur, wenn das Internet auf Dauer qualitativ geschäftsfähig wird.
Viele ungelöste Fragen
Was halten Sie von dem Modell der so genannten Kultur-Flatrate?
Gorny: Das hört sich für den Konsumenten ja erst einmal klasse an, bis dann die Debatte los geht: "Warum soll ich 20 Euro zahlen? Ich nutze das doch nie." Und es gibt etliche ungelöste Fragen, die da dran hängen. Erstens: Wie hoch soll diese Flatrate sein, damit sie in Zukunft auch Buch und Film mit abbildet? Zweitens: Was heißt das eigentlich für den haptischen Handel - gibt es den dann nicht mehr? Verkauft dann Media Markt keine DVDs, die Meyer'sche keine Bücher mehr? Drittens: Was ist das für eine Behörde, die das Klicken der Bundesbürger überwachen wird, damit es eine Verteilgerechtigkeit gibt? Gegner des französischen Modells beklagen immer, dass ein Teil der User überwacht werden müsste. Bei der Kultur-Flatrate müssen Sie alle überwachen. Sonst können Sie nicht sicherstellen, dass der Künstler bekommt, was ihm zusteht. Ich persönlich halte das für die Kapitulation vor den Illegalen und den Piraten. Da wird die kulturelle Vielfalt und die Kultur auf dem Altar der digitalen Coolness geopfert, ohne zu ahnen, was das für gesellschaftliche und kulturelle Konsequenzen hat.
Herr Gorny, vielen Dank für das Gespräch.
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