Essen. Gerade ist ein Gesetz, das Raubkopierern den Zugang zum Internet sperren sollte, in Frankreich gescheitert. Die Musikindustrie allerdings findet die Idee gar nicht so schlecht und macht sich für ein entsprechendes Modell in Deutschland stark. Medienrechtler lässt schon der Gedanke erschauern.
Internet-Aktivisten nennen das Vorhaben die “digitale Todesstrafe” oder den “elektronischen sozialen Tod”. Medienrechtler sprechen von einem „Eingriff ins Fernmeldegeheimnis“. Vertreter der Musikindustrie jedoch entdecken „enormen Charme“, wo andere nur Übergriffe und Hindernisse sehen.
Internetsperre als Strafe
Die Rede ist vom sogenannten „Loi Hadopi“, einem Gesetz, das aus französischen Internetnutzern unfreiwillige Web-Abstinenzler machen soll. Natürlich nicht aus jedem Franzosen, aber doch aus jenen, die sich wiederholt beim illegalen Download von urheberrechtlich geschützten Musikstücken und Filmen haben erwischen lassen. Ihnen soll, nach zweimaliger Warnung, der Zugang zum Internet gesperrt werden.
Die Musikindustrie hierzulande bringt die Initiative geradezu ins Schwärmen. Als „einzig effektiven Weg, Rechte von Künstlern und Labels im digitalen Zeitalter zu schützen“, lobt Professor Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI) sie. Auf dem Wunschzettel der Lobbyisten steht ein analoges Modell für Deutschland ziemlich weit oben – doch wäre eine ähnliche Regelung hier überhaupt möglich? Verfassungs- wie Medienrechtler winken ebenso ab wie Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten. „Da wird nichts draus“, heißt es einstimmig.
Ablehnung auch in Frankreich
Da wird auch in Frankreich nichts draus – vorerst. Am 9. April hat die Nationalversammlung unerwartet gegen das Gesetz zur Etablierung einer „Hohen Behörde für die Verbreitung der Werke und den Schutz der Rechte im Internet“ (Hanopi) votiert. Vom Tisch ist das Gesetz damit allerdings nicht, es geht nur in die nächste Runde beim parlamentarischen Pingpong zwischen Senat, Nationalversammlung und Vermittlungsausschuss.
Der umstrittene Gesetzentwurf sieht eine neue Behörde vor. Diese Internetpolizei soll Nutzer, die urheberrechtlich geschützte Werke illegal heruntergeladen haben, ermahnen und ihnen im Wiederholungsfall sogar den Zugang zum Internet sperren. Die erste Warnung flattert als Mail ins virtuelle Postfach. Wird der Nutzer in den nächsten sechs Monaten wieder auffällig, erreicht ihn eine zweite Warnung, eindringlicher als die erste und möglicherweise als Einschreiben. Ein Jahr lang steht das „schwarze Schaf“ unter Beobachtung, lässt es sich innerhalb dieser Zeit wieder etwas zuschulden kommen, dann droht die Sperre des Internetzugangs für eine Zeitspanne von einem Monat bis hin zu einem Jahr. Zur Ablehnung der Vorlage wurden die Abgeordneten wohl vor allem durch den Passus bewegt, der vorsieht, während des Netz-Entzugs weiterhin Gebühren zu kassieren, somit eine „doppelte Strafe“ zu verhängen.
Solche Gesetzesinitiativen stellen den Blütentraum jedes Musiklobbyisten dar. Männer wie Florian Drücke, beim BVMI zuständig für die Bereiche Recht und Politik, sind begeistert von der Initiative beim westlichen Nachbarn. Von den Einwänden der Verfassungsrechtler lässt er sich nicht beeindrucken. „Wir sind davon überzeugt, dass ein ähnliches Modell schon nach geltendem Recht machbar ist“, glaubt er. Schließlich sei auch „unser Urheberrecht persönlichkeitsrechtlich verankert.“ Die technischen Feinheiten ließen sich regeln, ist er überzeugt.
Verfassungsrechtlich bedenklich
Im Hause des obersten deutschen Datenschützers Peter Schaar glaubt man das keinesfalls. "Da würde eine Firma per Gesetz verdonnert, etwas für die Interessen privater Dritter zu tun. Das wäre hier überhaupt nicht akzeptabel", erläutert eine Sprecherin des Bundesbeauftragten für den Datenschutz das Undenkbare. Zudem würde man mit einer solchen Regelung „massiv ins Fernmeldegeheimnis eingreifen“, das sei nicht einmal Strafverfolgern erlaubt. Eine solche „Überwachung sämtlicher Internetnutzer“ sei „verfassungsrechtlich sehr kritisch“.
Derlei Einwände, Beiträge zu einer seit Jahren schwelenden Debatte, sind den Vertretern der Musikindustrie natürlich bekannt, und so tun sie ihr Möglichstes, sie zu entkräften. Man wolle ja gar keine Daten, beteuert Drücke. Vielmehr stelle man sich das Vorgehen so vor: Die Musikindustrie ermittelt IP-Adressen, von denen aus illegal Material heruntergeladen wurde. Diese Datensätze werden dann an die Provider weitergegeben. Die Provider, die als Vertragspartner des Kunden gleichsam die Auffahrten zu den Datenautobahnen verwalten, mahnen und warnen die Übeltäter. Dafür, so Drückes Argument, müssten gar keine Daten an Externe weitergegeben werden, vorerst handle es sich ja nur um eine Kommunikation zwischen Provider und Kunde. Den Ermittlern der Musikindustrie seien nur IP-Adressen bekannt, keine Namen oder Anschriften.
Dass die Nutznießer einer solchen Lösung die Musiklabels sind, ist keine Frage. Doch der Verband wird nicht müde, die Schönheit eines solchen Gesetz-Gebildes für alle Beteiligten hervorzuheben: „Die Provider leben davon, dass es Content gibt“, dass sie Musik oder Filme mit einem gewissen Anspruch auf Exklusivität auf ihren Portalen präsentieren können.
Haftungsproblem für die Provider
Eine Regelung ohne Verlierer? Da widerspricht Thomas Hören, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster, entschieden. Zum einen sieht der Jurist Datenschutzprobleme, schließlich würden mit den IP-Adressen sehr wohl personenbezogene Daten gespeichert. Zum anderen stelle das vorgeschlagene Modell die Provider vor Haftungsprobleme. Erfahrungen in Australien oder den Niederlanden hätten gezeigt, dass solche „Sperrlisten“ fehlerhaft sein könnten. Und wie solle man im Fall großer Unternehmen handeln, wo Internetzugänge von vielen Mitarbeitern genutzt werden könnten?
Verfolgen die Provider die Falschen, „bekommen sie ein Heidenproblem mit ihren Kunden!“, so Hören. Genauer: ein haftungsrechtliches Problem, denn die Provider könnten auch für Ermittlungsfehler in die Pflicht genommen werden. Im schlimmsten Fall stünden ihnen Schadenersatzklagen ins Haus. Mit anderen Worten: Um das Datenschutzproblem zu lösen, würden die Vertreter der Musikindustrie ein Haftungsproblem schaffen – indem sie die Aufgabe, Personendaten auszuwerten und Schritte zu ergreifen, an die Provider delegieren, machen sie diese auch zu Adressaten möglicher Ansprüche Betroffener. Sie müssten unter Umständen Entschädigungen an Unschuldige zahlen.
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Juristische und technische Finessen möchte der Verband jedoch nicht gelten lassen. „Frankreich ist natürlich keine Blaupause“, antwortet Florian Drücke auf solche Einwände. Er und seine Mitstreiter beklagen vor allem mangelnden politischen Willen. Vorstöße würden meist abgebügelt, ohne deren Machbarkeit auch nur ernsthaft zu prüfen.
Musikindustrie sieht nur Gewinner
Auf den Vorwurf der Privatisierung des Rechts, das hier für die Interessen der Musikindustrie in Anspruch genommen würde, antwortet er, entsprechende rechtsstaatliche Regelungen ließen sich ja einbauen. So könne beispielsweise standardmäßig ein Richter in die Ermittlungen mit einbezogen werden. Doch im nächsten Atemzug weist er darauf hin, dass es sich um ein Massenproblem handle. Ob der Rechtsstaat das unter Beibehaltung des Richtervorbehaltes bewältigen könne… Es seien aber auch Zwischenlösungen denkbar wie eine Verringerung der Bandbreite, um den Download großer Dateien unattraktiv zu machen. Vergehen in Mehrpersonenhaushalten? Eltern seien nun einmal für ihre Kinder verantwortlich, und wenn sie nicht wüssten, was das Kind im Netz so treibt, dann sei das ein gesellschaftliches Problem. So ein Gesetz könne da Aufklärung und Bewusstseinsschaffung zugleich bieten.
Der Lobbyist beschwört die Internetsperre als Spiel, in dem es nur Gewinner gäbe: Nicht allein Musikindustrie und Provider würden von einer Neuregelung profitieren, auch der Kunde gewönne. „Diese Lösung hat einfach einen enormen Charme, weil man dem Rechtsverletzer nicht gleich mit der großen Keule kommen muss“, lobt Drücke das Modell. Derzeit drohten Strafen in Höhe von tausenden Euros, bei einem Drei-Stufen-Modell seien immerhin zwei Schüsse vor den Bug vorgesehen, bevor die Rechteinhaber ernst machen.
Solche Loblieder lässt Medienrechtler Hören nicht gelten. Er weist auf den Protest von Verbraucherschützern in Frankreich hin, die das „Loi Hadopi“ keinesfalls mit offenen Armen empfangen hätten. Technische Lösungen, um die Hürden des deutschen Rechtsstaates zu überspringen? „Die Musikindustrie sagt ‚Das kriegen wir schon alles geregelt’ – das kriegt man nicht geregelt!“ Selbst in Fällen, wo Dritte über fremde WLAN-Netze illegal Inhalte herunterladen, entschieden die Gerichte nicht einheitlich zu Lasten des Anschluss-Inhabers. Wenn eine Sicherung eingebaut, aber umgangen worden sei, dann hafte der in der Regel nämlich nicht. Für ihn läuft alles darauf hinaus: „Die Musikindustrie betreibt eine ungeheure Lobbyarbeit.“
Kulturflatrate als Lösung?
Und nun? Stirbt das Urheberrecht den unabwendbaren virtuellen Tod? Das muss nicht sein, glauben Hören und Netzaktivist Markus Beckedahl. Beckedahl, Mitbetreiber des Netzpolitik-Blogs, empfiehlt eine „Kulturflatrate“. Analog der GEZ-Gebühr würde die Kulturflatrate jedem Nutzer einen Pauschalbetrag abverlangen und damit das Herunterladen geschützter Inhalte legalisieren. „Kultur wurde schon immer getauscht“, sagt Beckedahl. Auch Medienrechtler Hören kann dem Vorschlag etwas abgewinnen: „Da ist was dran.“ Die richtige Höhe müsse natürlich prinzipiell ausgelotet werden, aber diese Schwierigkeiten seien lösbar.
Bei Musikindustrie-Mann Drücke genießt ein solches Ansinnen weit weniger Sympathien. Die Musikverkäufe würden einbrechen, zugleich müsse jeder, ganz unabhängig vom tatsächlichen Verbrauch zahlen, somit sei das Modell weniger gerecht. Und schließlich wäre die Abgabe, in kostendeckender Höhe erhoben, nicht mehr akzeptabel. Nein, die Kulturflatrate sieht er nicht kommen.
Das beurteilt Hören ganz ähnlich, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Denn eine solche Gebühr, von Verwertungsgesellschaften erhoben, flösse direkt an die Kreativen statt in die Taschen der Musikindustrie. Die behalten ihren Teil an den Verkaufserlösen und rechtfertigen das mit den Kosten und Risiken bei der Förderung neuer Talente. Diese Einkünfte, da ist sich Hören sicher, werde sich die Branche nicht entgehen lassen – und wenn die Macht der Lobbyisten wohl kaum zur Einführung des französischen Modells langen wird, so schätzt er sie doch groß genug ein, um die Einführung einer Kulturflatrate zu verhindern: „Das wird in Deutschland nie eine Chance haben.“
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