Essen. . Der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook („Oldboy“) huldigt mit dem Psychothriller „Stoker“ den Meistern Alfred Hitchcock und Orson Welles mit hoch stilisierter Künstlichkeit in Erzählweise und Bildgestaltung. Nicole Kidman und Mia Wasikowska glänzen als Rivalinnen.

Als Francois Truffaut sein berühmtes Werkgespräch mit Alfred Hitchcock führte, kamen die beiden schnell überein, dass es nicht Aufgabe eines Films ist, Dinge und Empfindungen mit Worten zu erklären, sondern in Bildern zu zeigen. Mit „Stoker“ erfüllt nun ein Psychothriller diese Vorgabe beispielhaft. Dies überrascht insofern, als es eine amerikanische Produktion ist, das Drehbuch aber von einem Engländer verfasst wurde und die Regie ein Südkoreaner bestritten hat.

Gerade letzterer Umstand hat Methode, denn seit rund zwei Jahren werden fernöstliche Starregisseure für die Umsetzung westlicher Produktionen eingekauft. Der Grund dafür: In Südkorea werden seit zehn Jahren formal höchst einfallsreiche Filme gedreht, deren technische Klasse und bildliche Gestaltungskraft gerade im Genrekino für frischen Wind sorgt.

Aufregend schön anzuschauen

Wie belebend ein östlicher Blick auf westliche Geschichten sein kann, belegt nun Regiemeister Park Chan-wook („Oldboy“) mit einer Bildgebung, die den Erneuerungsdrang von Alfred Hitchcock oder Orson Welles in deren Werken der 40er-Jahre mit den aktuellen technischen Möglichkeiten zu einem aufregend schön anzuschauenden Kino-Kosmos verschmilzt.

Es beginnt mit einer jungen Frau, die allein auf einer Landstraße ihrem Wagen entsteigt. Dann erfolgt der Blick zurück: Die 19-jährige India (Mia Wasikowska) trägt schwer am plötzlichen Unfalltod ihres Vaters. Am Tag der Beerdigung taucht Onkel Charlie (Matthew Goode mit eisiger Eleganz) auf, von dem bislang niemand etwas gewusst zu haben scheint. Charlie ist jung, smart und attraktiv, aber es scheint etwas mit ihm nicht zu stimmen, denn die Leute, die über ihn tuscheln, sind kurz darauf verschwunden. Dieses Zwielichtige aber reizt India an Onkel Charlie und deshalb findet sie es nicht gut, dass auch ihre Mutter dem jungen Mann schöne Augen zu machen beginnt.

Was sich daraus entspinnt, ist ein bizarres Familienmord-Märchen, das auf den ersten Blick wie eine Variation von Alfred Hitchcocks superbem Kleinstadtthriller „Im Schatten des Zweifels“ wirkt. Diesmal aber ist Onkel Charlie kein Witwenmörder; man wird überhaupt erst sehr spät erfahren, was den jungen Mann umtreibt.

Fein ausgesuchtes Schauspieler-Ensemble

Bis dahin schüren Kabinettstücke der Kamera mit verkanteten Blickwinkeln und atmosphärischen Lichtsetzungen und das fein ausgesuchte Schauspieler-Ensemble die Freude am Zuschauen. Dabei schafft das Charisma von Mia Wasikowska mit ihrer erblühenden Sexualität eine verstörend zwielichtige Charakterlandschaft, die durch Nicole Kidman in der Rolle der mütterlichen Rivalin um weitere fiebrige Facetten bereichert wird.

Das Konzept einer hoch stilisierten Künstlichkeit in Erzählweise und Bildgestaltung formt sich zu einem faszinierenden Kino-Kosmos, der den Meistern Alfred Hitchcock und Orson Welles auf eine Weise huldigt, wie es Anfang der 1960er-Jahre auch schon Chabrol und Polanski in ihren Frühwerken zelebrierten. Im Vergleich dazu fällt die Auflösung der Story eine Spur zu banal aus, aber der Weg dahin bietet so viel Kino, dass die kleine Enttäuschung wahrlich leicht zu verkraften ist.