Essen. Zwei Dinge gelten als gesichert: Zum einen, dass die 68er Generation in Deutschland endlich den Muff aus den Talaren geblasen hat; und zweitens, dass die Schweiz in Sachen Emanzipation immer etwas rückständig war. Der Film „Verliebte Feinde“ korrigiert diese Vorstellungen.

Über 20 Jahre vor den sogenannten 68ern lebte ein schweizerisches Paar all das aus und vor, was später in Deutschland die Gesellschaft verändern sollte. Entsprechend groß war der Widerstand, auf den das Ehepaar Peter und Iris von Roten traf: Er verscherzte es sich mit seinen konservativen Parteifreunden, als er sich in den Fünfzigerjahren als Nationalrat beherzt für das Frauenwahlrecht engagierte; und ihre Forderungen, die sie 1958 in dem Buch „Frauen im Laufgitter“ formulierte, schossen sogar aus Sicht ihrer Geschlechtsgenossinnen weit übers Ziel hinaus.

Über tausend Briefe

Werner Schweizer setzt dem Ehepaar unter dem etwas irritierenden Titel „Verliebte Feinde“ ein filmisches Denkmal, das sich an den Werken Heinrich Breloers orientiert. Ähnlich wie in dessen Jahrhundertsaga „Die Manns“ unterbricht Schweizer die Handlung immer wieder durch Aussagen von Zeitgenossen und Weggefährten.

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Was man zunächst als Störung des Erzählflusses empfindet, entpuppt sich mit zunehmender Dauer als geschicktes Stilmittel, um die Spielszenen zu ergänzen. Gerade die Ausführungen der Tochter tragen entscheidend zum Gesamtbild bei.

Eigentlich ein verfilmter Briefroman

Dabei ist der Film ohnehin stark dokumentarisch gefärbt, denn im Grunde hat Schweizer einen Briefroman verfilmt: Iris und Peter von Roten haben sich im Verlauf ihrer 50 Jahre währenden Beziehung weit über tausend Briefe geschrieben. Wilfried Meichtry, von dem auch das Drehbuch stammt, hat sie zu einem Buch zusammengefasst, dessen Titel der Film übernommen hat. Er bezieht sich auf ein Zitat von Iris: „Wir sind im Zustand der verliebten Feindschaft.“ Obwohl die beiden Hauptdarsteller Mona Petri und Fabian Krüger viel aus diesen Briefen zitieren, ist das Werk dennoch kein notdürftig illustriertes Hörbuch, zumal es immer wieder reizvolle Schlüsselszenen gibt.

Göttliche Vorsehung

Beleg für die verknöcherte Haltung der ländlich geprägten Schweiz in den Nachkriegsjahren ist etwa der erste Besuch von Iris bei den Eltern ihres künftigen Mannes. Sein Bruder, ein Priester, rechtfertigt die Ungleichbehandlung von Mann und Frau mit der göttlichen Vorsehung. Erst Iris inspiriert Peter dazu, sich von seiner katholischen Erziehung zu emanzipieren. Später sorgt der Jurist für einen Eklat, als er vor Gericht die „wilde Ehe“ verteidigt.

Kein Wunder, dass Schweizer die beiden auch heute noch als „modern, radikal und inspirierend“ empfinden.