Washington/Los Angeles. . French Connection bei der 84. Oscar-Verleihung: Der Stummfilm „The Artist“ bekam die wichtigsten Auszeichnungen und Meryl Streep bei Nominierung Nummer 17 ihren dritten Academy Award. Drumherum machte Billy Crystal machte Witze. War ja klar.
Wenn Billy Crystal die Oscars zeremonienmeistert, weiß man seit den 90er Jahren recht zuverlässig, dass in Amerika alles so aus den Fugen ist wie immer. Die Wirtschaft lebt auf Pump. Republikaner und Demokraten wünschen sich ansteckende Krankenheiten an den Hals. Irgendwo auf der Welt kämpfen GIs einen dubiosen Krieg. Oder zwei. Und das nach Papierform putzigste Rattenrennen der Welt wird mit der Ernsthaftigkeit einer Chemie-Nobelpreis-Experiments durchgeführt; nur dass eben nichts wirklich explodiert. Bei bei der 84. Auflage im Ex-Kodak-Filmtheater zu Hollywood hat noch nicht mal was gekokelt.
Christopher Plummer zum Beispiel. Bester Nebendarsteller („Beginners“). Köstlicher Knabe. Der Mann ist 82. So alt war noch keiner, dem die im Schnitt nicht viel jüngere Academy-Jury die goldene Statuette in dieser Disziplin in die Hand drückte. Aber es passte zum altersgerechten Stil des Abends, der an akuter Vorhersehbarkeit litt. Nicht mal die zur Erbauung engagierten Artisten des Cirque du Soleil fielen wenigstens zum Schein vom Trapez.
George Clooney küsst Billy Crystal - großes Oscar-Kino
Dass der französische Beitrag „The Artist“ abräumen würde (bester Film, bester Hauptdarsteller, bester Regisseur etc.), hatten die Branchendeuter penetrant vorhergesagt. Äks-küsä-moa, aber da wusste noch niemand, wie deppert es klingt, wenn sich gut aussehende Menschen auf Englisch mit Pariser Akzent für die Prämierung eines schwarz-weißen Stummfilms bedanken. Sei’s drum: Sarkozy freut sisch kaputt für Disch, Jean Dujardin.
Der schönste Einfall der reizarmen Retro-Veranstaltung war wieder der Einspieler am Anfang. Billy Crystal vagabundiert darin traditionell durch eigens verballhornend montierte Szenen aus nominierten Filmen. Großes Kino, als George Clooney den Mehrfachkomiker sallymäßig aus dem Koma küsst. Fortan sprach niemand mehr vom angerosteten Ersatzmann (63), weil Eddie Murphy ja vor der Moderatoren-Rolle kniff, weil, ach lassen wir das.
Herzzerreißender Auftritt von Oscar-Gewinnerin Octavia Spencer
Und die Verleihung selbst? Man muss sich nur die Garderobe von Jennifer Lopez und Angelina Jolie vors innere Auge rufen, um zu verstehen, dass dies ein Kampf der Inhalte war. Nicht der Hüllen. Immerhin, zwei bewegende Augenblicke werden noch ein bisschen in Erinnerung bleiben: Der herzzerreißende Auftritt der Afro-Amerikanerin Octavia Spencer, die für ihren Part im Rassenschrankenüberwindungsdrama „The Help“ zu Recht beste Nebendarstellerin wurde. Und die Altersweisheit und Würde atmende Dankesrede von Meryl Streep, die nach 17. Nominierungen für ihre Maggie Thatcher-Verkörperung in „Die Eiserne Lady“ zur Allerbesten ihres Fachs ernannt wurde. Streep (62) bedankte sich ausgiebig bei dem Maskenbilder, der sich seit über 30 Jahren sehr kundig an ihr zu schaffen macht und vielleicht auch deshalb selbst einen Oscar bekam.
Immer wenn das Pathos zu Übersäuerungen führte, ließ Billy Crystal mit züchtigen, kleinen Invektiven die Luft raus. Als der ehrpusselige Academy-Präsident Tom Sherak die langweiligste Rede überhaupt ausgeredet hatte, gab er ihm ein „Danke, dass Du das Publikum zum Rasen gebracht hast“ mit auf den Weg.
Die Oscar-Gewinner 2012
Sandra Bullock spricht mal wieder tadelloses Deutsch
Was sonst noch war außer dem üblichen Luftküsschen-Gewerfe draußen auf dem roten Ego-Catwalk? Wim Wenders ästhetische „Pina“ wurde von einem unästhetischen amerikanischen Football-Doku-Streifen („Defeated“) vom Feld getackelt. Der beste ausländische Film kommt, Mullahmia!, diesmal aus dem Iran. Woody Allen konnte seinen Preis (für „Midnight In Paris“) wieder nicht in Empfang nehmen. Weil er wieder gar nicht da war. Sandra Bullock spricht tadelloses Deutsch, wenn sie Chinesisch meint. Und Nick Nolte sieht aus wie eine gut besuchte Entziehungskur.
So weit ist Billy Crystal nicht. Der Mann spart sich auf. War auch erst seine neunte Oscar-Conference. Bob Hope hat 18 hingelegt. Go, Billy, go! Den einzigen zukunftsweisenden Moment fing die Kamera übrigens ein, als die Jazz-Hoffnung Esperanza Spalding zu Ehren der Hollywood-Toten von 2011 „What A Wonderful World“ sang. Wann endlich macht jemand einen Film mit dieser wundervollen Frau? Kann auch ein stummer sein.