Essen. . Mit ihrem gefühlvollen Brit-Pop-Rock ist die Platin- und Award-gekrönte Band Elbow mittlerweile auch in Deutschland eine Größe. Bandkopf Guy Garvey erzählt, wie er sich durch Herzschmerz, Bier und seine neue Wahlheimat New York für das neue Album inspirieren ließ.

Mit ihrem gefühlvollen Brit-Pop-Rock sind die Platin- und Award-gekrönten Elbow mittlerweile auch in Deutschland eine Größe. Auf ihrem sechsten Studioalbum „The Take Off And Landing Of Everything“ lassen die Herren aus Manchester ihrer Liebe zum Progrock und zu Bands wie Primal Scream und Spiritualized freien Lauf. Beim Interview in seinem Lieblingspub „Eagle Inn“ in Manchester erzählt Bandkopf Guy Garvey (39), wie er sich durch Herzschmerz, Bier, Frauennacken und seine neue Wahlheimat New York inspirieren ließ.

Mr. Garvey, zuletzt sah man Elbow 2012 bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Sommerspiele in London spielen. War das ein Ritterschlag für Ihre Band?

Guy Garvey: Oh ja, und absolut surreal. Wir werden in unserem Leben nie mehr vor so großem Publikum spielen! Wir hatten fünf Tage in London mit freier Minibar. Und die Atmosphäre Backstage war einfach unglaublich. Das lag in erster Linie an den Tausenden von Freiwilligen, die involviert waren in jede Performance.

Auch interessant

Wenn du auf die Bühne kamst, waren die so wahnsinnig aufgeregt, Teil des Ganzen zu sein – das hat alle Popstars angesteckt! Es war wirklich Liebe in der Luft! Und unsere Künstlergarderobe war das Zentrum dieser Liebe!

Warum das?

Garvey: Es gab die Ansage, dass keine Spirituosen Backstage erlaubt seien. Ich bin ein Pubtyp aus Manchester und sagte nur: „Schön, die haben den Superbowl produziert, aber was verdammt noch mal gibt ihnen das Recht, uns Briten das Trinken zu verbieten?“ Also schmuggelten wir zwei Kisten Guinness, zwei Flaschen Whiskey, drei Flaschen Wodka und Gin in einer Transportbox der Band Madness in unsere Garderobe. Queen, The Who und einige andere Gruppen klopften an unsere Tür und bettelten um einen Drink. Unsere Garderobe war am beliebtesten.

Aber beim Auftritt waren Sie nüchtern?

Garvey: So ziemlich. Im Fernsehen sah unsere Performance so groß aus. Aber eigentlich habe ich das ganze Lied nur für eine der Freiwilligen gesungen. Das Publikum konnten wir nämlich gar nicht sehen.

Parallel zu Ihrem neuen Album bringen Sie nun Ihre eigene Biersorte in britische Pubs!

Garvey: Bier bringt uns Glück! Das hat schon beim letzten Album gut geklappt und ist unsere Form des Marketings. Unser „Build A Rocket Boys!“-Bier ist längst ausverkauft. Das neue heißt „Charge“ und wurde nach einem Song der neuen Platte benannt. Wir trinken es gerne hier in diesem Pub.

Sie sollen allerdings nach New York umgezogen sein!

Garvey: Es stimmt. Und das aus einem ganz einfach Grund: Die Band hat so viele Liebeslieder über Manchester geschrieben. Wir alle haben unsere ganze Leben hier verbracht und niemals woanders gelebt. Ich wollte wieder neugierig sein und Neuland erforschen. Das kann ich in Manchester nicht tun, weil ich es in- und auswendig kenne. Wenn hier ein neues Gebäude errichtet wird, dann denke ich nur: Verdammt noch mal, warum hat mich niemand um Erlaubnis gefragt?

Sie haben also das Gefühl, Manchester gehöre Ihnen?

Garvey: Genau! Wenn ich in einen Supermarkt in Manchester gehe, dann sieht es so aus, als würde ich ihn eröffnen. Denn ich muss 15 Minuten Fotos machen. Das ist wirklich so. Wir sind hier sehr populär. Die Mancunians sind unglaublich stolz auf uns. Das fühlt sich wundervoll und schön an.

Ich würde es verdammt noch mal vermissen, wenn es nicht so wäre, denn ich habe sehr hart dafür gearbeitet, dass es so ist. Aber für das Kreativsein ist es ein Riesen-Problem, weil ich nie anonym bin. Mein Songwriting fußt auf Beobachtung – ich observiere das Leben. Und es ist viel leichter zu observieren, wenn du nicht zurück observierst wirst.

Können Sie sich an Ihr erstes Mal in New York erinnern?

Garvey: Oh ja, das war auch in den Neunzigern. Und ich dachte nur: „Kneif mich, dieses Postamt ist größer als St. Paul’s Cathedral!“ Ganz zu schweigen von den Wolkenkratzern natürlich. Aber ich liebe es dort. Vor meiner Wohnung legen die Fähren an und ab, da kann man toll spazieren gehen.

Und die Single „New York Morning“ ist nun Ihre Ode an Ihre Wahlheimat?

Garvey: Ja, allein schon deshalb, weil sie mich so inspiriert hat. Das Songwriting ging unglaublich schnell. Es war, als wäre ich wieder 18. So fühlte ich mich zuletzt in den Anfängen der Band in den Neunzigern: anonym, in einer Ecke eines Cafés oder Pubs sitzend, tagträumend, wie ein echter Autor eben.

Warum erwähnen Sie in „New York Morning“ Yoko Ono?

Garvey: New York ohne Yoko geht nicht! Die britische Presse hat sie aus rassistischen Motiven immer gejagt. Das widert mich an, speziell jetzt, wo die konservativen Torys an der Macht sind. Aber an den Bullshit muss ich in New York nicht denken, hier gibt es so was nicht. Der Big Apple hat Yoko adoptiert. Wenn du in einen Souvenirshop gehst, dreht sich alles um das Empire State Building, die Brooklyn Bridge und John und Yoko.

Während Sie auf der letzten Elbow-Platte auf Ihre Jugend zurückblickten, beschäftigen Sie sich diesmal mit Männern in den Vierzigern.

Garvey: Jeder aus dieser Band hätte eine andere Meinung darüber, was dieses Alter bedeutet. Die anderen sind jetzt Familienväter und haben Verantwortung. Ich fühle mich auch ohne Familie rundum wohl, was nicht zuletzt an den Jungs und der Band liegt. Wir sprechen oft darüber, wie glücklich wir sein können. Wir haben verdammt hart dafür gearbeitet, alles auf eine Karte gesetzt. Und es hat 15 Jahre gedauert, bis wir endlich den Durchbruch geschafft haben. Die vier Typen dieser Band getroffen zu haben, war lebensverändernd für mich. Wenn man sich vorstellt, was wir erlebt und durchgemacht haben in der Gesellschaft des anderen – so viel investiert man nicht mal in eine Ehe! Manchmal streiten wir uns allerdings auch.

Wann zuletzt?

Garvey: Als wir für die Aufnahmen an diesem Album in Peter Gabriels Real World Studios im Südwesten Englands waren. Wir sind um die Häuser gezogen, hatten jede Menge Ärger mit den Locals. Und dann haben Pete und ich uns ordentlich miteinander angelegt.

Am nächsten Morgen hatte ich eine Textnachricht von ihm, in der stand: „Ich denke, wir müssen reden, bevor wir wieder an die Arbeit gehen.“ Ich konnte mich nicht mal an den Streit erinnern, aber musste ihm am nächsten Tag Blumen schenken.

Blumen?

Garvey: Ja, Lilien. Das erschien mir passender als Rosen. Und es hat einen riesigen Spaß gemacht zu sehen, wie ein 2-Meter-Rastafari-Security-Mann in den Raum kommt und Pete die Blumen überreicht. Er fragte nur: „Sind die von dir?“

War da auch noch eine Karte?

Garvey: Klar, auf der stand: „An den besten Bassisten der verdammten, weiten Welt. Ich war ein Blödmann. Love, Guy.“

Sehr romantisch. Wie glücklich muss dann erst Ihre Lebensgefährtin sein!

Garvey: Aber ich hab doch gar keine!

Beim letzten Mal erzählten Sie von Ihren Plänen, viele rothaarige Kinder mit ihr in die Welt setzen zu wollen!

Garvey: Ich hab’s mir anders überlegt. Wir haben uns getrennt. Es ist Ok. Wir sind sehr gute Freunde. Wir werden nur keine Kinder haben.

Hat denn der Herzschmerz einen Einfluss auf die Platte gehabt?

Garvey: Ganz konkret sogar: Der Albumtitel „The Take Off And Landing Of Everything“ zeugt davon. Denn es ist nie so einfach wie: Ich bin verliebt, ich bin nicht mehr verliebt. Ich war glücklich, nun bin ich traurig. Es gibt auch ein Dazwischen. Ich mag die Tatsache, dass ich nun Single bin. Ich habe aber auch jeden Moment geliebt, den ich mit ihr verbracht habe. Die Trennung war die richtige Entscheidung von zwei Menschen, die sich lieben und respektieren. Niemand hat etwas falsch gemacht. Wir sind sehr glücklich, dass wir uns überhaupt getroffen haben. Das Mädchen hat mir meine Dreißiger versüßt! Es findet sich eine Textzeile auf dem Album, die sowohl in ihrem nächsten Buch als auch auf unserer Platte ist. Am Ende von „New York Morning“ heißt es: „The way the day begins, decides the shade of everything.“ Wir können uns partout nicht erinnern, wer von uns diese Worte geschrieben hat. Also teilen wir sie uns. Etwas bleibt.

Elbow sind bekannt für romantisches Liedgut. Gibt es das trotz Entliebung?

Garvey: Klar! „Lunette“ ist ein ziemlich romantischer Song. Das Lied beschreibt den hinteren Haaransatz von Frauen. Ich denke, die meisten Typen würden zustimmen, wenn ich sage, dass der Nacken einer Frau ziemlich attraktiv ist. Speziell, wenn du aufwachst und drauf schaust. Was ich ja nicht mehr tue, wie wir nun wissen. Erst wollten wir übrigens das ganze Album „Lunette“ nennen, aber dann fanden wir heraus, dass eine Menstruationstasse so heißt. Ich wusste nicht mal, dass so was existiert, aber dachte, das läge daran, dass ich ein Mann bin. Zum Glück habe ich das Wort aber vorher gegoogelt, sonst würden jetzt alle über uns lachen.

  • CD: Elbow „The Take Off And Landing Of Everything“; Polydor/Universal; Veröffentlichung am 7.März.