Köln. . Früher war mehr Wulst: Das Museum Ludwig feiert das Frühwerk des berühmten Pop-Artisten und Welt-Vergrößerers Claes Oldenburg. In der Schau „The Sixties“ gibt's zum Beispiel speckigen Pommes, raumgreifenden Burger-Berge und ein sitzlandschaftbreites Tortenstück zu bestaunen.
Früher war mehr Wulst, möchte man frei nach Loriot jubilieren, wenn man das Kölner Museum Ludwig betritt. Herrlich, denkt man dann im Anblick der speckigen Pommes, dieser raumgreifenden Burger-Berge und eines sitzlandschaftbreiten Tortenstücks, das sich doch heute kein Mensch mehr leisten würde. Nicht nur kalorientechnisch.
Aus der Welt des Form- und Nutzoptimierten kommend, wo alles light und superstraff sein soll, schön schmal und möglichst platzsparend, schlendert man durch das Skulpturenreich des Claes Oldenburg wie durch eine ferne, entspannte Gegenwelt. Denn Oldenburg ist einer, der einfach mal sacken lässt. Pommes frites oder Eiswaffeln, bei ihm darf alles kippen, knittern oder einfach nur nutzlos abhängen. Selbst das Camping-Klo ist völlig unbrauchbar in sich zusammengesackt. So wie die Alchemisten einst davon träumten, Blei in Gold zu verwandeln, machte Oldenburg aus den banalsten Konsumartikeln in den 60ern Kunst. Blies sie so lange auf, bis die Nichtigkeit dieser Warenwelt nicht mehr zu übersehen war – und ist.
Auflehnung gegen die Abstrakten
Das Museum Ludwig feiert die rebellische Großtat des inzwischen 83-jährigen Pop-Art-Veteranen nun mit einer vollgestellten Ausstellung, die in diesem imposanten Umfang vielleicht die letzte Begegnung mit dem materialempfindlichen Frühwerk dieses heiter-bissigen Welt-Vergrößerers sein wird. „The Sixties“ heißt die zeitlose Zeitreise, die in Wien, Köln und bald auch im New Yorker Museum of Modern Art zu sehen sein wird.
Viele der ausgestellten Werke gehören dabei zur Sammlung des Museum Ludwig, wo man früh angefangen hat, die Heroen der Pop Art zu sammeln: Warhol, Lichtenstein, Oldenburg. Und deshalb ist der letzte Überlebende dieses Triumvirats jetzt wohl auch persönlich zur Ausstellungs-Eröffnung gekommen. Ein immer noch beeindruckender Herr mit markantem Gesicht und trockenem Humor, der selbst erstaunt ist, wie „frisch“ diese fast 50 Jahre alten Arbeiten daherkommen.
Wahrscheinlich ist es das Zusammenspiel all dieser schrumpligen Gestalten aus Gips, Vinyl und Pappmache, die im Dialog miteinander plötzlich wieder zu erzählen beginnen. Von der Zeit, als Oldenburg im New York der 60er wüste Performances organisiert. Es ist ein Auflehnen gegen die Überväter des Abstrakten Expressionismus, ein Abrechnen mit all dem bedeutungsvollen Getue und Gehabe des Kunstbetriebs. Und Oldenburg geht durch New York und sieht „The Street“. Das Figurentheater aus Pappkarton, Sackleinen und Zeitungspapier, gleich am Ausstellungs-Eingang, atmet noch düstere Gesellschafts-Kritik und Graffiti-Geist. Auch Teile von Oldenburgs berühmtem „Store“ sind in Köln versammelt, diese herrlich unsortierte Resteansammlung aus bekleckerten Büstenhaltern, Herrenjackett und verlockend drapierten Erdbeertörtchen. Umstellt, begleitet und komplettiert wird dies von den abstrakten Wandarbeiten, den „Wrist Watch“, den Riesenstaubsaugern und all den „Soft Sculptures“ , die in ihrer abnormen Gummi-Schlaffheit immer noch schwer fetischartig aufgeladen wirken.
Als Oldenburg die Galeriewelt zu klein wird, geht er in die Stadt und wuchtet riesige Wäscheklammern in die Landschaft oder auch mal einen Lippenstift auf Panzerräder. Manches wird zum großen Wurf, manches bleibt auf immer im Entwurfsstadium, wie die vielen wunderbaren Zeichnungen, Studien und Videofilme zeigen, die die Ausstellung abrunden und einen Künstler würdigen, der weiß, dass man sich zuletzt nicht gegen die Schwerkraft wehren kann. Aber mit guter Kunst doch gegen das Vergessen.