Bonn. . „Am Anfang“: Die Bonner Bundeskunsthalle feiert Groß-Künstler Anselm Kiefer mit einer großen Werkschau aus der Sammlung des Duisburger Immobilienmoguls Hans Grothe. Die Arbeiten sollen 30 Jahre lang nicht verkauft werden. Werbung für ein Anselm-Kiefer-Museum?

Am Anfang steht – die Himmelsleiter: „Baval Balals Mabul. Babel Sprachverwirrung Sintflut.“ Zwölf Meter hoch windet sich diese von Fotogirlanden umwickelte Spiralleiter bis unter die Decke der Bonner Bundeskunsthalle und schafft gleich die Verbindung zwischen all den Themen, die den deutschen Ausnahme-Künstler Anselm Kiefer seit Jahrzehnten beschäftigen: Irdisches und Kosmisches, Sinn und Sein, Mikrokosmos und Makrokosmos, Mythen und Metaphern, Poesie und Paradoxen, Katastrophen und Kabbala.

Kiefer, so scheint es, hat dabei eine Stufe des künstlerischen Ausdrucks erreicht, bei der sich der Betrachter angesichts der Fülle von religiösen Bezügen, seiner ganzen wirkungs- und wissensmächtigen Geste fast eingeschüchtert fühlen kann. Der Bonner Bundeskunsthalle gebührt nun das Verdienst, diesen Überwältigungskünstler mit dem Faible für Blei und betonschwere Themen trotzdem nahbar wirken zu lassen.

Erste große Schau nach 30 Jahren

Man hat den Arbeiten dafür so viel Licht und Raum gegeben, dass diese nach 30 (!) Jahren erste große deutsche Übersichtsschau des 66-Jährigen manchmal sogar etwas wie Leichtigkeit verströmt. Auch wenn die Wände und Böden mal wieder Verstärkungsstreben bekommen haben, um die Tonnenlast der Kieferkunst zu stemmen.

27 Werke aus dem Privatbesitz des Duisburger Immobilienmoguls Hans Grothe sind in dieser imposanten Einrichtung versammelt. Bilder wie das Vertreibungs-Fanal „Böhmen liegt am Meer“, das die Umsiedlung der Sudetendeutschen an die Ostsee thematisiert. Skulpturen wie die bleischwere „Volkszählung (Leviathan)“, in der Kiefer 1987 seinen Protest gegen das Erfasstwerden verarbeitete. Oder die Gips-unterleibigen „Frauen der Antike“, die an Figuren wie die Dichterin Sappho erinnern.

Faible für Blei und schwere Themen

Dass die Schau dabei allein aus Privatbesitz bestückt wird, hatte im Vorfeld für Unmut gesorgt. Zumal Hans Grothe das benachbarte Kunstmuseum Bonn vor Jahren zunächst mit seiner Sammlung bespielt und die Arbeiten dann entgegen die mit Künstlern getroffenen Absprachen bei Auktionen millionenschwer auf den Markt brachte.

Diesmal allerdings soll es eine Abmachung geben, wonach die ausgestellte Arbeiten 30 Jahre lang nicht verkauft werden dürfen. Mehr noch wünscht sich Kurator Walter Smerling „einen Ort, wo die Werke die nächsten 20, 30 Jahre eine Heimat finden“. Schon könnte man daraus die Absicht eines neuen Kiefer-Museums ableiten.

Neues Kiefer-Museum in Aussicht?

Füllen ließe es sich leicht: mit den garagentorgroßen Gemälden wie „Am Anfang“, einem archaisch-schäumenden Wolkenwellentosen zwischen Himmel und Erde; mit den schaufensterhohen Vitrinen wie „Ma Desinée“, diesem Schauobjekt für den Schiffbruch unserer Welt; mit diesen gewaltigen Bilder-Friedhöfen, über die unsere Blicke wie zwischen Gräber-Reihen wandeln.

Kiefers hochkomplexe und vielschichtige Kunst scheint dabei manchmal nicht aus Farbe gemacht, sondern aus Erinnerungs-Schwärze, Hoffnungslosigkeits-Grau und immer auch aus den braunen Geschichtsschlieren des Nationalsozialismus.

Große Kiefer-Schau auch in Tel Aviv

In Israel, wo das Nationalmuseum Tel Aviv zuletzt mit einer großen Kiefer-Schau wiedereröffnet wurde, gilt der Wahl-Pariser als der deutsche Künstler, der den Holocaust aufgearbeitet hat. Ende der 60er-Jahre ist er durch die Welt gereist und hat sich mit Hitlergruß fotografiert.

Doch seine deutsche Wurzelbehandlung geht längst weit über das Dritte Reich hinaus. Dafür schaut er mal auf die dichtenden und kriegsführenden Väter der deutschen Kultur wie in „Wege der Weltweisheit: Die Hermannsschlacht“. Oder er lauscht auf Ingeborgs Bachmanns Gedicht „Die große Fracht“ und steckt dem abgestürzten Flieger aus dem Blei vom Dach des Kölner Doms dabei noch eine getrocknete Sonnenblume zu.

Analytiker und Archäologe unter den deutschen Künstlern

Denn dass jeder Ruine auch ein Neuanfang innewohnt, diesen Glauben hat der Analytiker und Archäologe unter den deutschen Künstlern noch nicht begraben. Anselm Kiefer bleibt am Anfang.

„Am Anfang“. Anselm Kiefer Bundeskunsthalle Bonn. Friedrich-Ebert-Allee 4, 20. Juni bis 16. September, Öffnungszeiten Di/Mi 10 bis 21 Uhr, Do bis So 10 bis 19 Uhr, Eintritt 9 (6) Euro, Familienkarte 15 Euro.