Mettmann. Wer waren die Neandertalerinnen wirklich? Eine neue Ausstellung im Neandertal Museum enthüllt überraschende Fakten über die Steinzeit.
Wer hat in der Steinzeit eigentlich den Speer benutzt? Eine Jagdverletzung an einem Schlüsselbein einer Neandertalerin zeigt: Auch Frauen gingen auf die Jagd. Die Sonderausstellung „Stereotypes Neanderthalerin“ im Neanderthal Museum bietet spannende Einblicke, die unsere Klischees von Neandertalern und Neandertalerinnen hinterfragen soll. Weg vom Bild des muskelbepackten, wilden Jägers und der Frau, die am Feuer sitzt und die Kinder hütet. „Neandertaler lebten nicht in großen Gruppen. Es wäre ziemlich unpraktisch gewesen, wenn nur die Männer jagten“, erklärt Ecem Uludag, Teil des Kuratorenteams der Ausstellung. Gezeigt werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse – gewonnen aus der Untersuchung von Knochen, Zähnen, Skeletten oder Handwerk.
Die Ausstellung geht genau auf die Fragen ein, die bisher oft unbeachtet blieben, zum Beispiel: Wie haben Neandertalerinnen ihre Menstruation erlebt? Heute sind Produkte wie Tampons, Binden und Menstruationstassen für viele menstruierende Menschen selbstverständlich. Aber wie war das in der Steinzeit? Vielleicht nutzten Neandertalerinnen Torfmoos, Tierhaare oder Daunenfedern. Ob sie jedoch überhaupt spezielle Maßnahmen zur Menstruationshygiene ergriffen haben, bleibe unklar. „Wissen wir nicht“, sagt Ecem Uludag. Denn: Die Ausstellung scheut sich nicht vor offenen Fragen. „Man bekommt hier nicht immer Antworten, sondern stößt auf Hypothesen, Denkanstöße und noch mehr Fragen – sowohl über Neandertalerinnen und Neandertaler als auch über unsere Gesellschaft“, erklärt sie weiter.
Pink trifft Steinzeit: Eine neue Ära der Neandertal-Forschung
Beim Betreten der Ausstellung wird man von pinkem LED-Licht und Industrial-Stil empfangen. Rebecca Wragg Sykes schmunzelt, als sie die Ausstellung zum ersten Mal persönlich sieht. „Wenn man an eine Neandertaler-Ausstellung denkt, stellt man sich eher Szenen aus Höhlen oder Mammutjagden vor“, sagt die Britin (übersetzt aus dem Englischen). Doch in dieser Ausstellung stehen Themen wie Mutterschaft, Pflege und familiäre Bindungen im Vordergrund – Aspekte, die in der Neandertal-Forschung bislang eher im Hintergrund standen.
Ein Jahr lang arbeitete Wragg Sykes gemeinsam mit dem Team an der Konzeption der Ausstellung. Ihr Buch „Der verkannte Mensch“, das mit frischen Perspektiven auf das Leben der Neandertaler überraschte, diente als eine der zentralen Inspirationen für die Sonderausstellung. „Je diverser das Forschungsteam, desto erfolgreicher sind die Ergebnisse“, betont Wragg Sykes. Forschung und Wissenschaft seien stets von den politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen ihrer Zeit geprägt gewesen – damals wie heute. Erst durch mehr Vielfalt in der Wissenschaft würden neue Fragen gestellt und bislang unbeachtete Perspektiven eröffnet. So habe die Analyse eines Ohrenknochens etwa die Erkenntnis gebracht, dass ein Neandertaler mit Down-Syndrom lebte. Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass eine Neandertalerin bereits an Tuberkulose erkrankt sei.
So begleiten Neandertaler die Besucher durch die Ausstellung
Die Ausstellung verbindet emotionale, wissenschaftliche und philosophische Ebenen – ganz im Sinne der interdisziplinären Herangehensweise der Archäologie. Bereits beim Betreten wird die emotionale Ebene angesprochen: Die Besucher ziehen eine Karte, die als Begleiter durch die Ausstellung dient. Auf der Karte sind Details wie Ort, Zeit, Klima sowie Flora und Fauna der Umgebung angegeben. Wer genau dieser Begleiter oder diese Begleiterin ist, bleibt bis zum Ende der Ausstellung ein Geheimnis.
Die Besucher werden durch die Ausstellung von den Stimmen ihrer Begleiterinnen und Begleiter auf einer Audiospur geführt. Dabei werden Stereotype aufgebrochen und Fragen angeregt: In kurzen, verständlichen Texten erklären die Ausstellungsmacher auf spielerische und kindgerechte Weise, was die Forschung schon weiß – und wo noch Rätsel bleiben. Die philosophische Ebene zieht sich durch die Ausstellung, unter anderem in Form von Anzeigetafeln. Auf ihnen laufen im pinken Fließtext grundlegende Fragen wie: Was bedeutet Muttersein? Was ist Bindung? Ziel sei es, nicht nur neue Perspektiven auf Neandertalerinnen und Neandertaler zu eröffnen, sondern auch über uns selbst, den Homo sapiens, nachzudenken.
Die familienfreundliche Sonderausstellung wird vom 23. November 2024 bis 31. August 2025 im Neanderthal Museum in Mettmann gezeigt. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet (Talstraße 300, 40822 Mettmann). Eintritt: Erwachsene 13 Euro, Kinder (6–16 Jahre) 8,50 Euro, Kleinkinder (4–5 Jahre) sieben Euro. Besonders für kleine Gruppen empfiehlt sich das Escape Game „Escape the Stereotype“. Einzelbesucher, die den Austausch mit Expertinnen und Experten suchen, können an ausgewählten Sonntagen das Programm „Think critically: Dialog in der Ausstellung“ nutzen, bei dem Guides durch die Ausstellung führen. An ausgewählten Terminen gibt es zudem die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken und mehr über die Entstehung der Ausstellung aus erster Hand zu erfahren.
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