Düsseldorf. Dorothee Feller ist die erste NRW-Schulministerin, die weder Lehrerin noch Politikerin war. Wer ist die Frau? Und wie schlägt sie sich im Amt?
Live-Interviews mit Kinderreportern oder Jugendredaktionen bedeuten für Politprofis das, was sie am meisten hassen: Kontrollverlust. Man wird recht direkt gefragt und kann sich schlechter hinter Sicherheitsformeln verschanzen als bei professionellen Journalisten, weil das gegenüber Minderjährigen so empathielos wirkt. Im Schulressort lassen sich solche Gespräche aber nie ganz vermeiden. Der direkte Austausch mit der Schülerschaft gehört zur Jobbeschreibung.
Anfang November sitzt Dorothee Feller also in ihrem Düsseldorfer Schulministerium und empfängt Redakteure des „Heinefunks“, eines Podcast-Projekts des Heinrich-Heine-Gymnasiums Oberhausen. Nach wenigen Minuten entspinnt sich ein ungewöhnlicher Dialog.
NRW-Schulministerin Feller: „Ich war sicherlich keine Streberin“
Auf eine Frage nach ihrer eigenen Schulzeit sagt die 56-jährige Feller: „Ich war sicherlich keine Streberin, aber ich bin ganz gut da durchgekommen.“ Eine Schülerin kontert trocken: „Tatsächlich ist das jetzt eine Überraschung für uns. Wir hätten gedacht, dass Sie eine ziemliche Streberin waren.“ Die Ministerin energisch: „Echt? Mache ich so einen Eindruck?“ Die Schülerin entschuldigend: „Sehr organisiert einfach.“ Feller verständnisvoll: „Okay, das mag sein. Das hat aber nichts mit Streber oder Streberin zu tun. Wenn dieser Eindruck rüberkommt, dann muss ich mal mit meiner Pressestelle reden.“
Die neue Ministerin hat ihr erstes Schulhalbjahr im Amt hinter sich. Als Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im vergangenen Juni ausgerechnet Dorothee Feller beruft, erstaunt das selbst langjährige Beobachter. Das Schulministerium wird damals wahlweise als „Horrorhaus“ oder „Karrierefriedhof“ beschrieben.
Schulministerin Feller: ein Novum in NRW
Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen rangiert es auf der Postenwunschliste angeblich ganz unten. In dem schwierigen Interessengeflecht aus 2,5 Millionen Schülern, 5500 Schulen und 200.000 Lehrern hat sich in den vergangenen 20 Jahren noch jede Amtsinhaberin jeder Parteicouleur schwer verheddert. Es gilt inzwischen als Ressort mit eingebauter Abwahlgarantie. Nun soll es ausgerechnet eine Frau übernehmen, die nie zuvor Abgeordnete war? Die sich nie um ein politisches Mandat beworben hat? Die selbst keine ausgebildete Lehrerin ist?
Ein Novum in NRW. Selbst der legendäre Paul Mikat (CDU), der 1962 als bis heute prominentester Quereinsteiger der Landespolitik direkt von der Universität ins Düsseldorfer Kultusministerium wechselte, hatte Anfang der 50er-Jahre zumindest mal eine Weile an einem Bochumer Gymnasium unterrichtet.
Die Verwaltungsjuristin Dorothee Feller dagegen verbrachte fast ihr gesamtes Berufsleben bei der Bezirksregierung Münster. Sie kennt dort nahezu alle 1700 Mitarbeiter persönlich und vom Abfallwirtschaftsdezernat bis zur Bauaufsicht jeden Behördenflur. Sie hat in Münster und Bonn erfolgreich Jura studiert, träumte aber offenbar nie vom dicken Geld der Großkanzleien, sondern von der Laufbahn in einer Mittelbehörde.
„Mir war sehr früh klar, dass ich als Juristin in die Verwaltung wollte. Ich hatte immer ein positives Bild vom Öffentlichen Dienst, weil er für mich der Dienst am öffentlichen Leben ist“, erzählt sie an einem Montagabend im Dezember auf dem Sofa des Schulleiterbüros im Berufskolleg Bottrop.
Die Ministerin will hier keine Umstände machen, aber auf die Schnelle ist kein anderer Besprechungsraum als das Chefzimmer zu finden. Das Mineralwasser, das der Schulleiter eilig für seine oberste Dienstherrin herbeischafft, lehnt sie ab. Über ihr Amtsverständnis sagt sie: „Ich sehe mich als Dienstleisterin.“
Zu hohe Erwartungen: Sommer, Löhrmann und Gebauer scheiterten
Fellers Vorgängerinnen sind allesamt mit einem riesigen Rucksack an bildungspolitischen Idealen ins Amt gekommen – und unter der Last unerfüllbarer Erwartungen wieder hinausgetaumelt. Barbara Sommer (CDU) sollte vor fast 20 Jahren die Hauptschule retten und das Leistungsprinzip im gegliederten Schulsystem stärken.
Sylvia Löhrmann (Grüne) träumte von der inklusiven Schule des „längeren gemeinsamen Lernens“. Yvonne Gebauer (FDP) wollte nicht weniger als „weltbeste Bildung“. Im Regierungsalltag kämpft die freundliche Kölnerin kurz darauf mit Teströhrchen in der Corona-Krise und einer beispiellosen Welle aus Hass und Verachtung in den asozialen Netzwerken.
Feller bringt Ruhe ins NRW-Schulministerium
Dorothee Feller ist Dienstleisterin. Die einzige Erwartung des Ministerpräsidenten an sie scheint zu sein, dass sie so viel Ruhe ins Schulressort bringt, dass es nicht wieder zum Mühlstein des nächsten Landtagswahlkampfes wird. Mit ihrem „Corona-Leitfaden“ zu Schuljahresbeginn und dem „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung“ kurz vor den Weihnachtsferien scheint das zumindest gelungen zu sein. Die sonst überkritischen Interessenverbände der Bildungslandschaft in NRW reagieren auffallend zahm.
Wüst kennt Feller aus der Münsterland-CDU und erlebt zunächst als Verkehrsminister, dass ihre Bezirksregierung bei Genehmigungen oft schneller und weniger umständlich arbeitet als andere Behörden. „Meine Grundüberzeugung lautet: Gesetze sind für die Bürgerinnen und Bürger da. Es ist für eine Verwaltung immer leicht zu sagen: ‚Geht nicht‘. Aber da hört der Auftrag für uns im Öffentlichen Dienst nie auf, sondern dann geht die Arbeit erst los“, sagt sie über ihren Anspruch.
Ehemalige Mitarbeiter berichten, bei ihr werde „nie ziellos rumgelabert“. Während andernorts quälende „Man müsste mal“-Konferenzen bloß Eitelkeiten von Chefs befriedigen und kollegiale Revierkämpfe befeuern, habe bei Feller immer alles Persönliche hintenanzustehen. Sie erwarte Sachbearbeitung „mit Schmackes“, wie sie im westfälischen Idiom gern formuliert. Sonntags geht sie im Büro die Verwaltungsvorgänge gern selbst noch einmal durch, ohne dass es jemand merkt.
Fellers administrativer Ehrgeiz wirkt ungewöhnlich in einer Berufspolitik, die sich immer stärker aufs Performative verlegt und programmatisch austauschbar geworden ist. Bilder sind heute wichtig, Botschaften müssen griffig sein, Wendigkeit ist gefragt, doch das Kleingedruckte der Regeln verschwimmt meist im Irgendwie. Bei Feller sind die Prioritäten exakt umgekehrt gereiht. Vielleicht weil sie nie in die Politik wollte.
Peter Paziorek gilt als ihr Entdecker und Förderer. Der heute 74-jährige Gelsenkirchener war Bundestagsabgeordneter und Regierungspräsident von Münster. Als früherer Bundesliga-Basketballer weiß Paziorek, dass man im Positionsspiel unterschiedliche Talente braucht. „Mir fiel sofort auf, dass sie immer im Stoff war und bei Terminen kaum in die Unterlagen schaute, um Fachfragen zu beantworten“, sagt er über seine erste Begegnung mit Feller vor mehr als 15 Jahren.
Sein Plan, sie zur Vize-Regierungspräsidentin zu befördern, scheint zunächst wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Sie ist damals noch parteilos, hat keine Junge Union-Netzwerke und wirkt im Männerbündlerischen der NRW-CDU ziemlich fremd. Sie sieht sich als neutrale Staatsdienerin. „Mit dieser Personalie kommt man niemals durchs Landeskabinett“, wird gewarnt.
Bottroper Oberbürgermeister: „Genau die richtige Personalentscheidung“
Paziorek glaubt dennoch, dass Sachlichkeit und Sachverstand nicht die schlechtesten Karrierezutaten sein könnten: „Dorothee Feller gehörte damals zwar keiner Partei an, aber sie war nie unpolitisch. Sie erkannte schnell, wie man auch in schwierigen Fragen überzeugen und wie man auch mit einem Kompromiss etwas durchsetzen kann.“ Sie bekommt den Job. Kurz vor der Landtagswahl 2017 tritt sie auf sanftes Drängen hin doch noch in die CDU ein und wird anschließend von Wahlsieger Armin Laschet sogar zur Regierungspräsidentin befördert. Jetzt also Schulministerin, noch eine Stufe höher.
„Genau die richtige Personalentscheidung. Eine sehr sachorientierte Frau“, findet der Bottroper Oberbürgermeister Bernd Tischler. Er ist ein Urgestein der SPD, der CDU-Frau Feller über Jahre als unmittelbare Dienstaufseherin erlebte. Heute duzen sie sich und reden nur gut übereinander. Der in Machtfragen äußerst beschlagene Ministerpräsident Wüst hat Fellers Beförderung ins wichtige Schulministerium trotzdem sorgsam abgesichert.
Ungewöhnliche Respektlosigkeit
Die gewissenhafte Beamtin bekommt Urban Mauer als Staatssekretär zur Seite gestellt, einen Vertrauten des einflussreichen Staatskanzlei-Chefs Nathanael Liminiski. Mauer ist in der hessischen Regierungszentrale eines gewissen Roland Koch politisch sozialisiert worden. Als Feller im ersten Elan auf die Idee kommt, einen ihr seit vielen Jahren bekannten und erfahrenen Journalisten als Sprecher ins Schulministerium zu holen, wird die Kabinettsvorlage im letzten Moment gestoppt. Der kritische und unabhängige Kopf gefällt offenbar der Staatskanzlei nicht.
Das Veto der Regierungszentrale ist als ungewöhnliche Respektlosigkeit gegenüber einer neuen Ministerin tagelang Gesprächsthema in Düsseldorf. Erfahrene Haudegen raten Feller, bloß den Anfängen zu wehren und die Personalie bei Wüst durchzukämpfen, da im Raubtierkäfig der Politik nichts so streng riecht wie Schwäche. Doch so tickt die Frau nicht.
Training für den Marathon
Alles Emotionale hat bei ihr hinter dem loyalen Amtsverständnis zurückzutreten. Das Platzgreifende der Politik, dieser Geltungsdrang der Gewählten, die sich nicht selten als Erwählte gerieren – für Feller sind das keine Kategorien. In der Vergangenheit wurde gelegentlich gemurrt, dass sie als Regierungspräsidentin die westfälische Herrlichkeit so wenig verkörpert habe.
Man sieht sie am Wochenende an ihrem Wohnort Münster durchs Kreuzviertel radeln oder joggend für den nächsten Marathon trainieren, den sie unter vier Stunden schafft. Eine sendungsbewusste Salonlöwin haben all die Jahre in Münsters Spitzenämtern nie aus ihr gemacht. Sie will keine öffentliche Figur sein, kein Promi, obwohl sie es natürlich längst ist. Dass sie in Scheidung lebt, weiß man nur, weil sie zu Beginn ihrer Laufbahn den Doppelnamen Feller-Elverfeld trug.
Als Schulministerin ist sie bislang mit schnöder Problemlösung aufgefallen, nicht aber mit bildungsehrgeizigen Visionen. Wer Feller auf Terminen begleitet, hört Grußworte, in denen sie nie etwas Falsches sagt, aber eben auch Nichts, was in Erinnerung bleibt. SPD-Schulexperte Jochen Ott ist das angesichts der „Bildungskatastrophe“ in NRW zu unambitioniert: „Die Hütte brennt, und die Schulministerin kommt mit einem Eimer Wasser.“
Feller fährt jedoch bislang gut damit, immerzu hinter kleinteiliger Pflichterfüllung zu verschwinden. Selbst langjährige Begleiter wissen wenig Charakteristisches über die Frau zu berichten. Vielleicht das: Sie sei ausgebildete Mediatorin und verfüge über die Gabe, Gegensätzliches geräuschlos zu verbinden. Das zieht sich durch ihr gesamtes Leben. Jede Menge Einerseits und Andererseits.
Kindheit auf einem Bauernhof in Dorsten
Aufgewachsen ist sie in Dorsten-Holsterhausen mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof. „Wer wie sie in einer Großfamilie auf einem Bauernhof in der Emscherregion aufgewachsen ist, der ist einfach total bodenständig und politisch geerdet“, versichert Förderer Paziorek. Der Bauernhof ist genau genommen eher ein Kotten am Ende einer Wohnsiedlung in Sportplatz-Nähe und weniger landwirtschaftlicher Geldadel des Münsterlands. Überhaupt kann Holsterhausen sich schwer entscheiden, ob es westfälischer Ausläufer mit Feldern und Wäldern sein will oder nördliches Ruhrgebiet mit ehemaligen Bergarbeiter-Wohnsilos.
Fellers Vater war CDU-Mitglied und sehr katholisch, ein Freund der Familie des späteren Ruhrbischofs Overbeck. Doch die Kinder wurden nie dogmatisch erzogen. Fellers Bruder ist einflussreicher Sparkassendirektor in Dorsten geworden, eine Schwester Ökotrophologin, die ihr das Kochen beigebracht hat. Dorothee Feller selbst ist das, was man einen Bildungsaufsteiger nennen könnte. Sie absolviert die Realschule, wechselt danach aufs Petrinum-Gymnasium Dorsten und wiederholt einmal freiwillig.
„War Doro dabei?“
Das Petrinum ist eine sehr traditionsreiche Schule von 1642, die jedoch in einem typischen 80er-Jahre-Neubau zwischen Lippe und Kanal untergebracht ist. Feller legt dort 1986 mit einem durchaus selbstbewussten Jahrgang das Abitur ab. Während der Zeugnisverleihung ziehen die Schüler derart über eine seinerzeit geplante Gesamtschule in der Stadt her, dass der Bürgermeister empört die Feier verlässt. Erstmals wird in jenem Jahr auch der „Abi-Scherz“ zelebriert: Die Schlüssel zu den verriegelten Schultüren werden in Eisblöcken eingefroren und zum allmählichen Auftauen vor aller Augen in die Sonne gelegt. Welch ein Spaß!
„Aber war Doro dabei? Hat Doro eigentlich mitgemacht?“ Ein Mitschüler kann sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Feller sei fleißig, nett und unauffällig gewesen. Später schickt er ein verblichenes Foto der Jahrgangsstufe. Er hat Feller nach längerer Suche gefunden und eingekreist.
Sie steht verdeckt in der letzten Reihe. Was damals wie heute nie eine größere Rolle gespielt zu haben scheint, ist die Tatsache, dass Feller seit ihrer Geburt ohne linke Hand lebt. Das Handicap sei auch intern niemals thematisiert worden, schwören frühere Mitarbeiter. Wenn Feller bei Schulbesuchen von Kindern auf die fehlende Hand angesprochen werde, gebe sie im Schutz des Klassenraums freundlich Selbstauskunft. Das schon.
Die Kunst der Unauffälligkeit
Ansonsten sind aber die Zeiten lange vorbei, in denen öffentlich erörtert werden musste, ob Politiker groß, klein, dick, dünn oder eben behindert sind. Ist das wichtig? Andererseits hat die frühere Gladbacher Fußball-Legende Wilfried Hannes, die es einst mit einem Glasauge bis in die Nationalmannschaft schaffte, vor Jahren einmal in einem Deutschlandfunk-Gespräch offenbart, wie prägend es ist, mit einem Handicap zeitlebens immer besser sein zu müssen als alle anderen. Ob man nun will oder nicht.
An jenem Dezemberabend im Bottroper Berufskolleg meint man eine unangenehme Spannung im Publikum wahrzunehmen, als ein Professor die Ministerin für ein Schülerprojekt zum Erlernen der Herzdruckmassage auf die Bühne zitiert. Feller soll auf dem Boden kniend an einer Puppe die Wiederbelebung simulieren. „Sie legen die eine Hand auf den Brustkorb und die andere darüber“, erklärt der Professor. Feller lässt sich nichts anmerken und pumpt los. Applaus.
Die Kunst der Unauffälligkeit scheint Feller früh kultiviert zu haben. In der Abiturzeitung von 1986 steht über sie ein Reim, der schon fast nach ihrem Regierungsmotto klingt: „Lieb und leis‘, da sitzt sie froh, Dorothee bleibt immer so.“