Düsseldorf. NRWs neue Schulministerin Dorothee Feller (CDU) will einen Strich unter das bisherige Corona-Chaos ziehen und stellt ein Thema besonders heraus.

Im neuen Landeskabinett gehört die Führung des Schulministeriums wohl zu den interessantesten Personalien: Dorothee Feller (CDU), bislang Regierungspräsidentin in Münster, ist die neue Schulministerin und damit Nachfolgerin der wegen ihrer Coronapolitik umstrittenen FDP-Politikerin Yvonne Gebauer. Im Interview sprach die 56-jährige Feller darüber, was sie besser machen will und welche Schwerpunkte sie setzt.

Frau Feller, das Amt der Schulministerin ist herumgereicht worden wie eine heiße Kartoffel. Wieso haben Sie zugegriffen?

Dorothee Feller: Bildung ist eines der wichtigsten Themen, denn es geht um die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen. Was kann es Schöneres geben, als sich darum zu kümmern? Ich habe Respekt vor diesem Amt und weiß, dass es nicht einfach wird. Aber ich freue mich darauf.

Ihre Vorgängerinnen standen sehr unter Druck. Was macht Sie zuversichtlich?

Zur Bezirksregierung Münster mit ihren 1.700 Beschäftigten gehört eine große Schulabteilung. Ich weiß also, worüber in den Schulen und bei den Schulträgern diskutiert wird. Als Regierungspräsidentin habe ich immer wieder das Gespräch mit den Akteuren vor Ort gesucht und werde das auch als Schulministerin weiterhin tun. Ich gehe diese Arbeit positiv an und freue mich über das Vertrauen, das von vielen Seiten in mich gesetzt wird.

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Ein Vorwurf von Lehrer-, Eltern und Schulleiterverbänden gegenüber ihrer Vorgängerin war schlechte Kommunikation. Werden Sie das besser machen?

Ich habe Lehrer-, Eltern und Schülerverbände schon angeschrieben und ihnen signalisiert, dass ich großes Interesse an einem konstruktiven, offenen und ehrlichen Austausch habe. Wir werden nicht immer einer Meinung sein. Aber ich kann und werde gut zuhören, und die Rückmeldungen aus den Schulgemeinden in meine Entscheidungen einfließen lassen.

Neuer Koordinierungsstab: Corona-Informationen schneller an Schulen bringen

Schließen Sie also aus, dass Sie am Freitagabend eine Schulmail verschicken mit Vorschriften, die am Montag schon gelten?

Als eine meiner ersten Amtshandlungen habe ich im Schulministerium einen Corona-Koordinierungsstab eingerichtet, an dem auch das Gesundheitsministerium beteiligt ist. So erfahren wir früh, welche Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie wirksam und geboten sind und können gemeinsam entscheiden. Ich möchte, dass die Schulträger und Schulen genauso wie die Schülerinnen, Schüler und ihre Eltern genügend Zeit haben, um sich auf etwaige Veränderungen vorzubereiten. Die Pressekonferenz zum Start des Schuljahres werden wir aus diesem Grund auf Ende Juli vorverlegen. Und die Schulen erfahren die Neuigkeiten natürlich vor der Presse.

Welche sind Ihre wichtigsten Ziele?

Wir haben uns im Zukunftsvertrag viele Ziele vorgenommen. Dazu gehört zum Beispiel die Einführung der Eingangsbesoldung A13, also eine gerechte Bezahlung für alle Lehrerinnen und Lehrer, und dass mehr Lehrkräfte in die Schulen kommen. Trotz Corona muss ein guter und sicherer Start ins neue Schuljahr gelingen. Auch die Beschulung ukrainischer Schülerinnen und Schüler ist eine besondere Herausforderung.

Schließlich ist es mir eine Herzensangelegenheit, dass wir gerade sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen gute Bildungschancen eröffnen. Aus gesellschaftlicher Verantwortung und weil wir dringend gut ausgebildete Fachkräfte brauchen, können wir es uns nicht leisten, diese Potenziale liegenzulassen.

10.000 neue Lehrkräfte: Seiteneinsteiger rücken in den Fokus

Fangen wir beim Personal an: CDU und Grüne wollen 10.000 zusätzliche Lehrkräfte in die Schulen bringen. Woher sollen die kommen?

Das ist eine der größten Herausforderungen und ein wichtiger Arbeitsauftrag von Dauer. Langfristig helfen uns vor allem mehr Studienplätze, aber wir müssen auch zeitnah Lösungen finden. Wir prüfen zum Beispiel, welche Qualifikationen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger mitbringen müssen, um unsere Schulen zu unterstützen.

Wann wird es die ersten Stellen geben?

Eine vollständige Trendwende wird nicht von heute auf morgen gelingen, aber wir gehen sofort an die Arbeit, um zusätzliches Personal für unsere Schulen zu gewinnen.

Bis zu ihrer Berufung ins Landeskabinett war Dorothee Feller Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Münster. Gebürtig stammt sie aus Dorsten.
Bis zu ihrer Berufung ins Landeskabinett war Dorothee Feller Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Münster. Gebürtig stammt sie aus Dorsten. © Funke Foto Services | JAKOB STUDNAR

Und wie werden diese Lehrer auf die Schulen verteilt?

Eines der Instrumente dafür kann der schulscharfe Sozialindex sein, mit dem wir personelle Ressourcen gezielt solchen Schulen zuteilen können, die zum Beispiel aufgrund ihrer Lage in einem bestimmten Stadtteil vor besonderen Herausforderungen stehen. Zum kommenden Schuljahr werden wir bereits fast 6.000 Stellen unter Berücksichtigung des Schulsozialindex‘ verteilen. Künftig sollen es noch mehr sein.

Oberstes Ziel: Schulen trotz Pandemie offenhalten

Ihre Vorgängerin, Yvonne Gebauer, ist ja insbesondere über die Coronapolitik an den Schulen gestolpert. Schließen Sie Corona-bedingte Schulschließungen im Winter aus?

Oberstes Ziel ist es, die Schulen offenzuhalten, denn wir wissen, wie sehr ein Schul-Lockdown unsere Schülerinnen und Schülern, aber auch deren Familien belastet.

Die Stadt Solingen lief bei Ihrer Amtsvorgängerin vor eine Wand, als sie versuchte, ein eigenes Corona-Schutzkonzept für die Schulen einzuführen. Wie würden Sie reagieren?

Wenn vor Ort gute Konzepte entwickelt werden, bin ich für einen Austausch darüber offen. Ich bin keine Freundin davon, stur nach Aktenlage zu entscheiden, sondern suche das Gespräch. Als Schulministerin ist für mich entscheidend, dass die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler gewahrt bleiben, denn aus der Schulpflicht leitet sich zugleich ein Recht auf Bildung ab.

Wird es für die Schulen im Herbst genügend Masken, Tests und Luftfilter geben?

Über den Bestand an Masken und Tests verschaffen wir uns gerade einen aktuellen Überblick. Die Lieferverträge laufen noch, sodass wir bei Bedarf jederzeit nachbestellen können. Aber: Für die Maskenpflicht haben wir aktuell keine gesetzliche Grundlage. Und bei Luftfiltern gilt, was viele Experten sagen: Regelmäßiges Lüften ist unersetzlich.

Flüchtlingskinder an den schulen: Mehr ukrainische Lehrkräfte denkbar

Eine akute Herausforderung nach den Ferien ist auch die Beschulung ukrainischer Kinder. Der Städtetag NRW fordert mehr Unterstützung. Gibt es die von Ihnen?

Mancherorts stehen Städte bereits vor der Herausforderung, die Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu unterrichten. Nun kommt eine große Zahl ukrainischer Kinder und Jugendlicher hinzu, die bei uns Schutz vor einem schrecklichen Krieg suchen. Um die zu uns geflüchteten Schülerinnen und Schüler gut bei sich aufnehmen zu können, brauchen unsere Schulen natürlich Unterstützung. Ein Konzept hierfür gibt es schon seit dem Frühjahr. Gemeinsam mit den Schulen und Schulträgern wollen wir überlegen, wie das Land noch besser unterstützen kann, etwa bei der Einstellung ukrainischer Lehrkräfte.

Sind Gebäude außerhalb von Schule denkbar, wie in der Pandemie gefordert?

Wir wollen keine reinen Flüchtlingsklassen weit weg von einer Schule, sondern wir wollen die jungen Menschen von Beginn an integrieren. Das ist unser Grundsatz. Wie wir diesen Grundsatz mit den Gegebenheiten vor Ort pragmatisch und gut übereinander bekommen, müssen wir mit den jeweiligen Schulträgern unter Einbindung der Bezirksregierungen klären.

Handwerk in den Ganztag: „Wir wollen Rechtsanspruch stemmen“

Fachkräfte fehlen auch für den Ausbau des Ganztags. Laut einer aktuellen Studie wird NRW den Rechtsanspruch ab 2026 aus Personalnot nicht stemmen können. Sehen Sie genauso schwarz?

Es muss unser Anspruch sein, das zu schaffen. Deshalb werde ich mich schnellstmöglich mit allen Beteiligten an einen Tisch setzen. Wir dürfen die Debatte aber nicht zu eng führen, sondern wollen in die vielfältigen Ganztagsangebote zum Beispiel auch Handwerkerinnen und Handwerker einbinden und einen Schwerpunkt beim Sport legen. Ich bin Marathonläuferin und weiß, wie wichtig Bewegung ist. Gerade in der Pandemie haben wir gesehen, wie sehr Kindern und Jugendlichen auch der Sport gefehlt hat.

Handwerker im Ganztag – das wird Unternehmen mit Nachwuchssorgen freuen. Teilen Sie die Einschätzung, dass das System Schule zu sehr aufs Abitur abzielt?

Wir brauchen im Moment sicher keine Strukturdebatten. Nichtsdestotrotz müssen wir uns als Gesellschaft fragen, wieso viele Eltern ihre Kinder am liebsten aufs Gymnasium schicken, obwohl ihnen eine andere Schulform empfohlen wurde. Der Weg über die mittlere Reife und eine Ausbildung ist ein genauso guter wie über Abitur und Studium. Wir müssen früher anfangen, die Kinder für die vielfältigen Möglichkeiten etwa im Handwerk zu begeistern. Hier kann die Berufliche Orientierung in den Schulen einen wichtigen Beitrag leisten.

>>> ZUR PERSON: VERWALTUNGSFRAU MIT AUSDAUER

Ihre Verwaltungserfahrung und ihre diplomatische Grundhaltung dürften Dorothee Feller den Start in eines der riskantesten Ressorts erleichtern. Vielleicht kommt ihr auch ihre Ausdauer zugute. Die 56-Jährige läuft gern, und sie rennt weit. Den Marathon hat sie – vor der Pandemie – in 3:54 Stunden geschafft.

Im Training ist sie gern allein. „Der Vorteil am Alleinlaufen ist, dass man alles, was man im Beruf erlebt hat, weg-laufen und auch mal einen Knoten im Kopf lösen kann. Bisher habe ich versucht, mehrmals in der Woche zu laufen, am Wochenende gerne auch mal längere Strecken von 20 bis 25 Kilometern.“ Ob das mit dem Ministeramt vereinbar ist, ist fraglich.

Feller hat zwischen 2017 und 2022 die Bezirksregierung Münster geleitet, davor war sie dort Regierungsvizepräsidentin und in unterschiedlichen Funktionen in dieser Behörde tätig. Die Grundlage für ihre Berufslaufbahn war ein Jurastudium.

Fellers Wurzeln liegen im nördlichen Ruhrgebiet. Sie ist in Dorsten geboren. Das präge sie bis heute, betont Feller. „Als Regierungspräsidentin habe ich immer einen engen Bezug zur Emscher-Lippe-Region gehabt, deren Entwicklung mir sehr am Herzen liegt. Und ein Teil meiner Familie wohnt noch in Dorsten“, sagt die Ministerin.

Ihre Eltern hatten einen Bauernhof, der heute noch existiert und von ihrem Bruder nebenberuflich bewirtschaftet wird. Mit Stolz sagt sie: „Ich komme aus einer Familie mit einem landwirtschaftlichen Betrieb und bin die erste Juristin in unserer Familie.“ Sie wollte keine Anwältin oder Richterin werde, dafür lieber „unsere Gesellschaft mitgestalten“. Sehr bewusst habe sie sich daher für die Arbeit in einer großen Verwaltung entschieden.

In die CDU trat Feller erst 2017 ein, fühlt sich aber dieser Partei seit jeher verbunden: „Ich bin als jüngstes von fünf Kindern in einem CDU-Haushalt groß geworden. Meine Eltern, besonders mein Vater, waren ehrenamtlich sehr aktiv, zum Beispiel in der Kirchengemeinde und im Schützenverein, auch in der landwirtschaftlichen Genossenschaft und bei der CDU.“