Gelsenkirchen. Uraufführung für Charlotte Seithers Beethoven-Oper im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Warum ein Experiment gelungen ist.

Eine nachdenklich stimmende Neudeutung von Beethovens einziger Oper „Fidelio“ stellt das Musiktheater im Revier mit der Uraufführung von Charlotte Seithers Kreation „Fidelio schweigt.“ zur Diskussion. Die Uraufführung im recht gut besuchten Großen Haus stieß auf uneingeschränkte Zustimmung.

Charlotte Seither nennt ihr Werk „Dialog-Oper“. Gemeint ist die Konfrontation selbst komponierter Teile mit Beethovens Musik, die zu einem in harten Schnitten verlaufenden Dialog zwischen Original und eigener Reflektion führt. Der Titel „Fidelio schweigt.“ trifft zu, auch wenn Leonore fleißig singt und spricht. Aber als Leonore und nicht als männlich kostümierter „Fidelio“. Damit wird die Nebenhandlung um die Liebesgefühle Marzellines zu dem vermeintlichen Mann überflüssig und folgerichtig komplett gestrichen.

„Fidelio schweigt.“ in Gelsenkirchen: ein Freiheits- und Befreiungs-Drama

Der Fokus wird pointiert auf das Freiheits- und Befreiungs-Drama gerichtet. Allerdings mit gedämpften Hoffnungen. Kein erlösendes Trompeten-Signal, kein hilfreicher Minister entschärft Pizarros Tyrannei. Das bleibt allein Leonore vorbehalten. Ihr Befreiungsakt im Kerker hinterlässt allerdings die Leichen von Pizarro und Florestan. Die „namenlose Freude“ des finalen Jubel-Chors klingt nur kurz an, wird von gleißenden Klangschleifen Seithers abgelöst und ganz am Ende von einem Streichquartett noch einmal verlöschend aufgegriffen.

Die Oper „Fidelio schweigt.“ feierte Uraufführung in Gelsenkirchen.
Die Oper „Fidelio schweigt.“ feierte Uraufführung in Gelsenkirchen. © Karl Forster | karl forster

Dass die zeitweise abgetauchte Leonore dann noch als Justiz-Ministerin zurückkehrt und am Rednerpult schweigend verharrt, wirkt ein wenig konstruiert. Ebenso wie ein zusätzlicher Dialog Leonores mit Pizarro, der ihre unterschiedlichen Vorstellungen von Freiheit und Demokratie ziemlich belehrend und trocken dem letzten vor Augen führt, der die an sich klaren Positionen noch nicht begriffen haben sollte.

Hermann Schneider inszeniert „Fidelio schweigt.“ in Gelsenkirchen

Sinnvoll ist dagegen der Verzicht von Regisseur Hermann Schneider und Bühnenbildner Falko Herold auf konkrete aktuelle Schauplätze der Tyrannei. Das Ganze spielt sich vor einer tristen, zeitlosen Kerkerkulisse ab, die zu einigen orchestralen Intermezzi durch Bilder einer bedrückenden Gefängnisinsel ergänzt wird. Auch in seiner Personenführung verzichtet Schneider auf extravagante Mätzchen und erzählt die Handlung schlicht und dadurch umso eindringlicher.

Charlotte Seither lässt in ihren Kompositionen Beethovens Musik unangetastet. Unterschwellig bedrohliche Klänge sorgen für eine angemessen beklemmende Stimmung, dafür aber umso härtere Schnitte zu den Beethoven-Passagen.

„Fidelio schweigt.“ ist eine Herausforderung für die Neue Philharmonie Westfalen

Eine Herausforderung für die Neue Philharmonie Westfalen, die die Probleme glänzend löst, auch wenn Peter Kattermann die Dynamik bisweilen stark überdreht, so dass sogar der Chor in Bedrängnis gerät.

Ansonsten kann sich das vorzügliche Solo-Quartett auf ihn verlassen. Lila Papandreou als Leonore stemmt ihre unbequeme Arie auf gleich hohem Niveau wie Benedict Nelson seine Rache-Attacken als Pizarro und Martin Homrich seine Verzweiflungs-Arie als Florestan. Almas Svilpa verkörpert einen selbst stark eingeschüchterten Rocco. Den Gefangenenchor der Männer ergänzt Charlotte Seither übrigens durch einen geschickt eingeflochtenen Frauenchor, der die Sicht auf die Situation der verlassenen Frauen reflektiert.

Begeisterter Beifall für ein interessantes und absolut seriöses Experiment mit einem genialen und ewig aktuellen Problemstück der Operngeschichte.

Spieldauer: 1 Std. 50 Minuten ohne Pause. Die nächsten Aufführungen im Musiktheater im Revier: am 17., 19., 25. und 30. Mai sowie am 2. Juni (Infos: www.musiktheater-im-revier.de, 0209/4097200).