Essen. Das Filmstudio Glückauf in Rüttenscheid besteht seit fast hundert Jahren. Weshalb es mal eine Zeit lang an der Haltestelle „Bettgeflüster“ lag.
„Eine Treppe führt uns in einen großen Vorraum mit Büffet und Garderoben. Von dort öffnen sich breite Flügeltüren zum Vorführungssaal. Wir betreten ein kleines, anheimelndes Feenreich.“
Es sind warme Worte, mit denen der Redakteur der „Essener Volkszeitung“ 1924 das neue Kino der Stadt begrüßte. Dabei hatten die Pläne ein Theater im Glückauf-Haus ursprünglich gar nicht vorgesehen. Aber die Politik nahm die aktuelle Debatte um „die Auswüchse der Lichtbildtheater“ zum Anlass, im Keller des Bürogebäudes einen Raum mit 354 Plätzen einzurichten. Eine „saubere Leinwand“ sollte entstehen, ein „lehrreiches Lichtspieltheater“.
Die Geburtsstunde des Filmstudios Glückauf. Heute ist das Kino im Stadtteil Rüttenscheid das älteste Kino Nordrhein-Westfalens und eines der letzten vollständig erhaltenen in Deutschland. Und noch immer gilt das denkmalgeschützte Kleinod als Garant für anspruchsvolle Kinokultur, zig Auszeichnungen inklusive.
Das Filmstudio Glückauf lädt zur Reise in die 50er Jahre
Der goldfarbene Projektor vor dem Haus ist ein Blickfang, sonst könnte man vorbeilaufen: Klein und bescheiden schmiegt sich das Theater an die Rüttenscheider Straße. Perfektes Understatement hinter einer schlichten 20er-Jahre-Fassade. Hinab ins Untergeschoss führt der Weg, über einen roten Teppich, und es ist in der Tat ein Zauber, der die Gäste empfängt.
Hier regieren noch die 50er-Jahre, die goldenen Kino-Zeiten: Nierentische, Tulpenlampen und eine geschwungene Bar im Foyer – wer den Saal betritt, staunt über Holzvertäfelungen, Säulen mit edlen Messinglampen, mit pastellfarbenem Stoff bespannte Wände. Ein Feenreich, gestern wie heute. 1924 wurde Eröffnung gefeiert mit „Nanuk, der Eskimo“, damals der erste abendfüllende US-amerikanische Dokumentarfilm. In den ersten Monaten starteten täglich vier Schulvorstellungen mit „Filmen belehrenden Inhalts“.
Die Haltestelle „Bettgeflüster“ lag in Essen-Rüttenscheid
Viel ist seither passiert: 1942 gab die Stadt ihr Vorzeige-Kino in private Hände. Dann die Zerstörung im Krieg, der Wiederaufbau – Glanz und Glamour in den 50ern, als alles neu eingerichtet wurde. „Bettgeflüster“ mit Doris Day und Rock Hudson stand fünf Monate auf dem Programm; am Ende soll der Schaffner der damals fahrenden Straßenbahn vor dem Haus die „Haltestelle Bettgeflüster“ ausgerufen haben. Und während in den 60er-Jahren Italo-Western die Massen anzogen, war im Filmstudio immer auch die Kinokunst zu Hause.
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Theater-Inhaberin Marianne Menze kam Anfang der 90er ins Spiel. Sie erinnert sich gut, wie heruntergekommen alles war, als sie und ihr Mann Hanns-Peter Hüster das Filmstudio übernahmen, „es gab noch analoge Kohleprojektoren“. Das Team krempelte die Ärmel hoch, renovierte, investierte. Zur Eröffnung gab es „Molière“ von Ariane Mnouchkine. Fortan war das Theater Erstaufführungsort für internationale Filmkunst.
„Candle Light Konzerte“, etwa mit Musik der 20er Jahre
Heute laufen drei Vorstellungen täglich, vier am Wochenende. Und: Die meisten Gäste sind weiblich, „ein absolutes Frauenkino“, weiß Menze. Der Schwerpunkt liegt immer noch auf Dokumentarfilmen, es gibt Gespräche mit Regisseuren und Diskussionen. Ideal für Kleinkunst ist die Bühne hinter der Leinwand. Hier erklingen regelmäßig „Candle Light Konzerte“, etwa mit Musik der 20er-Jahre. Dann wird das gesamte Kino mit hunderten LED-Kerzen geschmückt.
All das wäre ohne die Rettungsaktion der Nullerjahre nicht möglich. 2001 musste das Filmstudio wegen Baumängeln im Glückauf-Haus schließen, berichtet Menze. Es bestand Einsturzgefahr. Der Kino-Betrieb zog vorübergehend in Räume auf Zollverein. Derweil standen die Betreiber vor Problemen: Rund zwei Millionen Euro waren für Erhalt und Wiederaufbau nötig. „Wir wussten: Das schaffen wir nie. Aber wir mussten es versuchen.“
Firmen und Privatleute spendeten, „von großen Summen bis zum Fünf-Euro-Schein.“ Prominente wie Sönke Wortmann, Joachim Król und Wolfgang Niedecken setzten sich ein. Das Land übernahm die Hälfte der Baukosten. Eine Benefizgala spülte Geld in die Kasse. Am Ende bürgten die Menschen selbst für „ihr“ Kino: In einem eigens geschaffenen Fond legten 200 Unterstützer jeweils 1000 Euro für zwölf Jahre an.
Das Filmstudio Glückauf war „eine einzige Baugrube“
Dann endlich die Restaurierung, 2009, Hand in Hand mit dem Denkmalschutz. Kinosessel, Theke, Türen, Möbel und Lampen wurden ausgelagert, in ihren ursprünglichen Zustand versetzt und in die fertigen Räume „implantiert“ – ein YouTube-Film erzählt davon. „Das war hier eine einzige Baugrube“, sagt Menze. Im Dezember war Wiedereröffnung, abermals mit „Nanuk“, dem Eskimo. Dabei waren die Reihen etwas luftiger geworden: Heute gibt es 250 Plätze.
Jetzt also das Jubiläum. Marianne Menze freut sich schon. Nach Corona läuft es wieder an – immer mehr Kinofans kehren zurück. Stolz präsentiert Theaterleiter Raoul Hüster den neuen Laserprojektor, der vor einigen Monaten Einzug gehalten hat. Sieht aus, als könne man der Zukunft gelassen entgegenblicken.
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273 Kino-Spielstätten gab es laut Filmförderungsanstalt im Jahr 2022 in NRW, darunter 103 Programmkinos. Einige von ihnen wird diese Zeitung in den nächsten Wochen vorstellen. Los geht es mit dem Filmstudio Glückauf in Essen, dem wohl ältesten original erhaltenen Filmtheater in NRW.
Das Filmstudio Glückauf liegt an der Rüttenscheider Straße 2, 45128 Essen.
Die Eintrittspreise liegen bei 9 Euro im Parkett und 10 Euro in der Loge (ermäßigt 8 Euro), Kinder bis 14 zahlen fünf Euro. Montags ist Kinotag: Alle Plätze kosten acht Euro.
Popcorn gibt es nicht, dafür aber diverse Süßigkeiten. Eiskonfekt kostet 2,50 Euro.
Kontakt: Tel. 0201 43 93 66 33 (ab 15.30 Uhr), Alle Infos stehen im Internet: www.filmspiegel-essen.de