Essen. Er verstand sich als Diener der Komponisten, jetzt sagt Generalmusikdirektor Tomáš Netopil Adieu. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen.

Als der sanfte Tomáš Netopil 2013 als Essener Generalmusikdirektor die Nachfolge des Alphatieres Stefan Soltesz antrat, war mancher nicht sicher, ob das funktionieren würde. Nun zieht er, nach einem Jahrzehnt musikalischer Erfolge, weiter. Lars von der Gönna traf ihn zum Abschiedsgespräch.

Sie sind acht Jahre alt, da dreht ausgerechnet in Ihrer mährischen Heimatstadt Milos Forman seinen „Amadeus“. Haben Sie, heute ein anerkannter Mozart-Interpret, davon damals was mitbekommen?

Aber ja! Es war ein Ereignis, das war ja noch die tiefkommunistische Zeit und unsere Stadt ist wirklich sehr sehr klein – und plötzlich war da ein internationales Filmteam im Zentrum, wo das alte Schloss steht. Meine Schule war gleich nebenan, ein Freund war Statist. Also, das hat uns echt bewegt. Wenn mich heute jemand fragt, woher ich komme und niemand kennt Kroměříž, dann sage ich: „Die Stadt, in der „Amadeus“ gedreht wurde!“

War Mozart damals für das Kind Tomáš schon eine Größe?

Ja, das war er. Meine ersten zwei Schallplatten waren Werke von Mozart, zwei Violinkonzerte, dazu die kleine Nachtmusik und das Adagio und Fuge. Das hat mich besonders beeindruckt – diese Kraft und Dramatik!

Kommen wir zu Ihrer Essener Zeit. Sie wussten, dass Sie die Nachfolge eines strahlkräftigen, aber schwierigen Mannes antraten: Stefan Soltesz. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ehrlich gesagt: Auf diesen Punkt habe ich mich nicht vorbereitet, wer vorher war, was da menschlich lief und so. Für mich stand klar meine Aufgabe im Mittelpunkt: Für gute Aufführungen zu bürgen, ob im Aalto oder in der Philharmonie. Dem habe ich mich gewidmet.

Tomáš Netopil bei seinem Abschiedskonzert in Essen.
Tomáš Netopil bei seinem Abschiedskonzert in Essen. © Lorenz | Sven Lorenz

Es wurde eine gute Zeit. Was muss man tun, um erfahrene Orchestermusikerinnen und -musiker für seinen Ansatz zu gewinnen?

Das weiß ich nicht! (lacht). Für mich kann ich nur sagen: Wer die Essener Philharmoniker leitet, trifft auf hochprofessionelle Musiker. Sie wollen immer das Beste bringen. Das zu nutzen, war dann meine Aufgabe. Aber ein Dirigent muss liefern, dazu muss man einfach sehr gut vorbereitet sein.

Dennoch, wie überzeugt man?

Sicher braucht man auch einen Schuss Psychologie, Einfühlungsvermögen, aber am Ende muss es in der Sache nachvollziehbar sein. Damit sind wir bei den Noten, also der Partitur. Das ist für mich eine Bibel! Die Frage ist: Was steht da? Dann kommt meine Aufgabe, Dynamik oder Tempi auszubalancieren. Mozart etwa macht extrem spärliche Anmerkungen. Da müssen wir dann fragen: „Was war die Interpretation seiner Zeit?“

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Also ist Dirigieren bei Ihnen am Ende doch immer ein: Was will uns der Dichter sagen?

Es klingt vielleicht wie eine Phrase, aber beim Musizieren geht es nicht um uns. Unsere Aufgabe ist es, dem Werk zu dienen. Das war in meiner Arbeit mit den Essenern immer ein tragendes Element.

Dirigieren ist auch Hochleistungssport, ob Verdi-Oper oder Mahler. Kann ein Tomáš Netopil in diesen Momenten, wo er wachsam sein muss bis zum Anschlag, den Moment des Musizierens und die Musik überhaupt genießen?

Oh mein Gott: Auf jeden Fall! Zuletzt haben wir Mahlers Dritte in der Philharmonie gespielt. Das war plötzlich so leicht, ich habe diese 100 Minuten einfach nur genossen. Als der letzte Takt verklungen war, habe ich gedacht: Ich könnte jetzt gleich noch einmal! (lacht)

Sie haben viel Erfahrung, was wäre Ihr Rat an junge Kollegen für den guten Umgang mit einem Orchester?

Ich würde ihnen raten, ganz auf die Musik zu zielen, sich nicht mit dem Ego und der eigenen Persönlichkeit nach vorne zu drängen. Die einzige Wahrheit, die wir als Dirigenten haben, liegt bei den Komponisten. Denen müssen wir folgen. Wenn ein junger Dirigent das nicht tut, kann es sehr sehr kompliziert für ihn werden.

Sie haben in Essen auch bei Inszenierungen dirigiert, die, nun ja, recht eigenwillig waren…

Das ist für Dirigenten nicht leicht, weil ja auch wir ein Bild von der Musik haben, das die Bühne nicht immer spiegelt. Es gibt Opernbesucher, die lieber mit geschlossenem Auge einer Oper folgen. Gott sei Dank ist das nicht verboten (lacht).

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Auf die Frage, wie es weitergeht, antwortet Essens scheidender Generalmusikdirektor (48): „Ich werde viel gastieren, darauf freue ich mich, das bedeutet einen Tapetenwechsel.“

Amerika und Kanada, Australien und Japan werden in der nächsten Spielzeit Schauplätze seines Wirkens sein. Aber es gibt auch ein Wiederhören in Essen: Am 12./13. April 2024 wird Netopil Sinfoniekonzerte der Essener Philharmoniker leiten. Im Mittelpunkt: Dvoráks berühmte Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Karten (17-41€) unter Tel. 0201 81 22 200.