Essen. Stefan Soltesz ist tot. Der streitbare Dirigent, der Essens Musikszene nationale Beachtung brachte, starb während einer Opernaufführung.
Manchmal glaubt man, dass der Tod die Inszenierung liebt: Ein Maestro erleidet beim Dirigieren einen Zusammenbruch, 2000 Menschen sind dabei. Selbst aus dem Publikum eilen Helfer hinzu. Es hilft nichts, der erste Akt besiegelt das Ende eines Lebens für die Musik. Auf dem Programm: der Lieblingskomponist des Toten, Richard Strauss. Was man nicht erfinden kann, geschah in der Bayerischen Staatsoper am Freitag Abend. In München starb Stefan Soltesz nach einer zunächst von ihm geleiteten (dann wegen seines Zusammenbruchs abgesetzten) Vorstellung von „Die schweigsame Frau“.
Der gebürtige Ungar, der als Wiener Sängerknabe die Droge Musik aufnahm und nie wieder von ihr lassen konnte, hat dem Revier über anderthalb Jahrzehnte seinen Stempel aufgedrückt. Soltesz, ein Unbequemer, führte ab 1997 als Intendant des Aalto-Theaters und Chef der Essener Philharmoniker beide zu größter Strahlkraft. Das Aalto wurde unter ihm „Opernhaus des Jahres“, die Philharmoniker waren in seiner Ära gleich zweifach zum „Orchester des Jahres“ gewählt worden.
Stefan Soltesz führte Essens Opernhaus zu nationaler Beachtung
Soltesz, Kettenraucher und auch ansonsten leicht entflammbar, war ein Workaholic. Bei unserer letzten Begegnung fragte ich ihn nicht nur, wie er den langen ersten Akt des „Parsifal“ ohne Nikotin durchstehe („Nicht wahr, komisch, da brauche ich das nicht!). Zu klären, war auch, warum er so oft wie kein zweiter Chef des Essener Opernhauses vor (und nach) ihm, abends die Vorstellungen dirigierte. Soltesz zündete sich eine neue Gauloise an und sagte: „Na, denk’ ich dann, wenn du ohnehin im Haus bist, kannst du es ja gleich selber machen...“
In dieser anekdotischen Beiläufigkeit steckt allerdings auch eine andere Botschaft: dass der selbstbewusste Musiker, der von der Wiener Staatsoper über Glyndebourne bis Paris und Zürich am Pult stand, sich für das Beste hielt, was einem Klangkörper passieren konnte.
Brillanter Musiker, schwieriger Typ: Soltesz schied im Knatsch
Soltesz konnte bei der Arbeit sehr unbequem sein; viele fanden seinen Ton allzu harsch. Er zuckte bei diesem Thema mit den Schultern und zitierte einen großen Kollegen: Ein netter Kerl sein und zugleich ein guter Dirigent, wie soll das gehen? Mag sich in dem Punkt der Vertreter der alten ungarisch-österreichischen Kapellmeisterschule geirrt haben, untrüglich indes erspürte der einstige Assistent Böhms und Karajans die Architektur großer Opern. Wie er Wagners große dramatische Bögen pulsend formte, wie er das Wunder vollbrachte Richard Strauss’ teils seidige, teils brachiale Opulenz diskret mit der unabdingbaren uhrwerkhaften Präzision zu vermählen, schenkte dem Publikum in vielen (ausverkauften) Vorstellungen unvergessliche, ja große Abende. Vom unschönen Knatsch, den Soltesz’ Art sprießen ließ, wussten die Jubelnden wenig. Er schied im Streit aus Essen. Die Zeit heilt Wunden: 2024 war eine Rückkehr als Gast geplant. Das Schicksal hat es anders gewollt: Nun ist dieser außergewöhnliche Musiker und Mensch 73-jährig gestorben.