Essen. Nackte Verzweiflung, Verlust-Ängste, tiefe Trauer: Ed Sheerans Album „-“ („Subtract“) ist von den Lebensdramen des einstigen Sonnyboys geprägt.
Ed Sheeran, 32 Jahre alt und seit Jahren größter männlicher Popstar des Planeten, hat mit „-“ („Subtract“) ein Album gemacht, auf dem er von nackter Verzweiflung, von Verlustängsten und vor allem von seiner Trauer singt. Geplant war ein solches Album, zumindest in groben Zügen, schon länger. Ed Sheeran, amtierender Strandclubhit-Weltmeister („Shape Of You“, „Bad Habits“, „Perfect“), hatte endlich ein Album machen wollen, das ihn als verletzlichen, super-echten Menschen zeigen sollte.
Taylor Swift trat als Vermittlerin auf
Mit Aaron Dessner besprach er das alles bereits Ende 2021. Also jenem Musiker der Rockband The National, der mit Taylor Swift vor zwei, drei Jahren die allseits geliebten introspektiven Pastell-Folk-Platten „Folklore“ und „Evermore“ erschuf. Swift, eine gute Freundin Sheerans, hatte die Männer zusammengebracht. Parallel, so der Plan, sollte einer der aktuell sehr beliebten „So-nah-dran-dass-es-fast-wehtut“ Dokus über sein Jahr 2022 gedreht werden (als „The Sum Of It All“ seit ein paar Tagen in vier dreißigminütigen Folgen auf Disney+ zu sehen).
Was dann geschah, nennt sich Leben. Von der übelsten und furchtbarsten Sorte. Gefühle, wie Melancholie und Schwermut im Dienste der Kunst abzurufen und in griffigen Dreiminütern noch immer massentauglich zu verdichten, war nicht mehr nötig, der Schrecken war sehr real. Die weitgehend heile Welt aus Welttourneen, Familienglück mit Jugendliebe Cherry Seaborn und der fast dreijährigen Tochter Lyra sowie einem weitläufigen Anwesen in Suffolk mit Naturschwimmbad, Privatkino und eigenem Pub, wurde mal kurz geschreddert. Im Februar 2022 erfuhren sie, dass Seaborn an einem Tumor leide. Da sie gleichzeitig im sechsten Monate schwanger war, konnte sie erst nach der Geburt von Tochter Jupiter behandelt werden.
Ed Sheerans bester Freund starb mit nur 31 Jahren
Der Krebs war dann doch nicht gar so schlimm, Frau und Baby sind gesund. Zur selben Zeit starb Sheerans bester Freund, der Musikunternehmer Jamal Edwards mit 31 Jahren an einer Herzrhythmusstörung, hervorgerufen durch Kokainkonsum. Die wiederkehrenden Plagiatsprozesse (2017 gab es eine außergerichtliche Einigung bei „Photograph“, den „Shape Of You“-Prozess diesen Januar gewann Sheeran, gerade erst verteidigte er sich in New York erfolgreich gegen die Klage eines Co-Autoren, er habe „Thinking Out Loud“ bei Marvin Gayes „Let’s Get It On“ abgekupfert) setzen ihm ebenfalls zu.
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„Ich hatte das Gefühl, ich will nicht mehr leben“, sagte Ed Sheeran dem amerikanischen Magazin „Rolling Stone“. Depressionen. Es half eine Psychotherapie. Und das, was er immer tut: Er schrieb Songs.
Ed Sheeran schert sich nicht um handelsübliche Refrains
„Eyes Closed“, die erste Single, klingt, obschon sie von Trauer und Lähmung nach dem Tod des besten Freundes handelt, nach Zuckerschock. Aber das war es dann auch schon an Hits. Es fällt auf, wie wenig Sheeran sich auf „-“ um handelsübliche Refrains schert. Auch das Tempo hält sich in Grenzen, sehr sogar. Ein Lied nach dem nächsten kommt stockdunkel komponiert daher, die akustische Gitarre, das Klavier und gelegentliche Streicher prägen das Album. Man nimmt es schon sehr dankbar auf, wenn im achten Song „Curtains“, der so ein wenig nach „The Seeds Of Love“ von Tears For Fears klingt, nicht nur textlich ein bisschen Licht reingelassen wird, sondern auch in musikalischer Hinsicht.
Aber der Resilienz-Bekundung „But the waves won’t break my boat“ in „Boat“ zum Trotz wird auf diesem Album in der Folge ständig fast ertrunken, gesunken wie ein Stein oder sich halb zu Tode gesorgt. Im Refrain wechselt Sheeran zweimal in den Falsettgesang, was ein wenig nach Bee Gees klingt. Sheeran mag bei seinen fünfzig Schattierungen des Grau in erster Linie anderes im Sinn gehabt haben, am Ende kommt doch ganz schön viel James Blunt dabei herum, nur ohne dessen Selbstironie.
Alle Emotionen werden so dick wie möglich aufgetragen
Die Emotionen werden stets so dick wie möglich aufgetragen, er drückt pausenlos auf die Tränendrüse, es gibt keine doppelten Böden. Ein klein wenig eintönig. Ed Sheeran kämpft sich auf „-“ pausenlos durch einen Tsunami der Traumata. Immerhin: Im vorletzten Lied merkt er es selbst. In „No Strings“ bricht sich die Zuversicht Bahn, und Ed Sheeran singt im Blick auf 2022: „Wenn wir es durch dieses Jahr schaffen, dann kann uns nichts mehr das Genick brechen.“