Zum Tourneestart spricht Scorpion-Gründer Rudolf Schenker (74) übers Älterwerden, Spaß an harter Arbeit, Yoga und die Entwicklung der Rockmusik.

„Wir Musiker kennen gar kein ,Sie’. Das ist nur was für Geschäftsleute“, sagt Scorpions-Gründer Rudolf Schenker (74) gleich zu Beginn des Interviews und sorgt damit für einen entspannten und angenehmen Gesprächsstart. Jetzt geht die Band wieder auf Tournee.

Rudolf, du lebst nach dem Prinzip, dass alles im Leben Freude und Spaß machen sollte. Macht denn das reine Touren, mit Jetlag und so weiter, auch immer noch Spaß und Freude?

Bei uns Rockmusikern darf man nicht nur das sehen, was glitzert, sondern auch die ganze Arbeit, die dahintersteckt. Als wir mit unserer Band loslegten, haben wir die ganze Organisation allein gemacht. Wo gibt es billige Pensionen? Haben wir noch Sprit im Tank? Wie sehen unsere Klamotten aus? Wichtig dabei war vor allem, dass zwischen uns die Chemie stimmt. Denn Musik entsteht durch Freundschaft. Ich wollte nie wie Elvis allein auf der Bühne stehen, sondern viel lieber wie die Beatles oder die Rolling Stones mit Freunden um die Welt reisen. Deshalb zur Antwort: Ja, das alles macht noch immer Spaß! Wenn du die richtigen Leute an deiner Seite hast, dann ist das einfach nur toll und wunderbar!

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Schon dein Vater hat früher zu dir gesagt: „Wenn du Spaß an dem hast, was du machst, kommt das Geld von ganz allein.“ Damit hatte er ganz offenbar Recht.

Es war allerdings so, dass zuerst meine Mutter mir sagte, dass ich meinen Hirngespinsten erst dann nachgehen kann, nachdem ich etwas Ordentliches gelernt habe. Die Aussage meines Vaters rührt daher, dass ich nicht so genau wusste, welchen Beruf ich erlernen sollte. Erst dachte ich an Fernmeldetechniker, weil ich in Physik und Chemie gut war. Letztlich habe ich Starkstromtechniker gelernt, was ja auch gut zum Rock’n’Roll passt. Dadurch, dass ich meine Lehre abgeschlossen und im Anschluss zwei Jahre als Geselle gearbeitet habe, konnte ich meine Bodenständigkeit gewinnen und erfahren, wie das ganz normale Leben so ist. Als es später dann darum ging, mit einer Band durch die Gegend zu ziehen, gefiel mir das natürlich viel besser, als jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Aber im Grunde haben mich immer schon die Musik und der Wunsch zu spielen angetrieben.

Hoher Besuch im Hamburger Hard Rock Café: Matthias Jabs (l), Klaus Meine und Rudolf Schenker.
Hoher Besuch im Hamburger Hard Rock Café: Matthias Jabs (l), Klaus Meine und Rudolf Schenker. © dpa | Markus Scholz

Du bist ein spiritueller Mensch, meditierst und betreibst seit vielen Jahrzehnten schon Yoga. Haben diese Dinge dir beim Erreichen deiner Ziele geholfen?

Meditation bringt dich zu dir selbst und sagt dir, was dein Ziel sein könnte. Ich habe mein Ziel einfach sehr hoch gesteckt. 1970 habe ich schon in Riebes Fachblatt, einem damaligen Musikmagazin, auf die Frage, was wir erreichen wollen, geantwortet: ‚Die Scorpions wollen zu den Top-30-Rockbands der Welt gehören!‘ Klar war das hochgesteckt, und ich wurde belächelt und Spinner genannt. Aber das ist der Punkt: Wenn du deine Ziele hoch steckst und sie stetig verfolgst, dann kommst du eher dahin als wenn du nur kleine Schritte wagst.

Haben dich damals viele für deine Träume belächelt?

Klar. Conny Plank, der Produzent unseres ersten Albums, hielt uns irgendwann einen Vertrag unter die Nasen, den wir unterzeichnen sollten. Ich fragte ihn, was das für ein Musikverlag sei, weil ich den nicht kannte. „Mensch Kinners, ihr müsst erstmal so anfangen“, hat Conny mir entgegnet. „Nee, nee“, hab ich ihm gesagt. „Ich will so nicht anfangen. Ich will international anfangen. Wir wollen mal in Amerika spielen!“ Daraufhin hat er sich totgelacht. Aber was soll ich sagen: Es hat alles geklappt, wir sind unseren Weg gegangen. Und das nur, weil wir ein Ziel hatten, die Chemie stimmte und alles gemeinsam beschlossen wurde.

Habt ihr eure Shows auch gemeinsam vorbereitet?

Ja. Wir sind zum Beispiel zusammen im alten 300er SEL zum Gig gefahren, nach Marseille runtergebrettert, haben Musik gehört und uns über die Bands unterhalten, deren Songs liefen, Wir haben uns gefragt, was wir auf der Bühne machen wollen, um herauszustechen, um aufzufallen. Wir waren immer ein Team und haben die Entscheidungen gemeinsam getroffen.

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Du hast all diese Ziele erreicht, wirkst aber nicht wie der Typ, der sich jetzt zurücklehnt und nur noch zuschaut. Welche Ziele hast du dir für die nächsten Jahre gesteckt?

Ich will 100 Jahre alt werden! Ich habe ja zum Glück sehr früh angefangen, Yoga zu machen und habe so auch Ayurveda kennengelernt, eine 4000 Jahre alte Form der Gesundheitspflege. Dadurch ist mir aufgefallen, dass unser heutiges Gesundheitssystem darauf ausgelegt ist, mit Hilfe von Arzneien rasch alle Wehwehchen zu beseitigen. Das hat zur Folge, dass sich kaum jemand ausreichend um seinen Körper kümmert und weiß, wie der funktioniert. Wenn du das weißt und an deiner Gesundheit arbeitest, dann kannst du das Leben viel besser genießen. Das Leben genießen kann man nur mit vollem Bewusstsein und vor allem guter Gesundheit. Und das ist mein Weg. So will ich 100 Jahre alt werden.

Deshalb machst du auch schon seit über 50 Jahren Yoga?

Man muss irgendwann die Entscheidung treffen, genug für seinen Körper zu tun. Genug Sport zu treiben, sich ausreichend zu dehnen und und und. Yoga ist auch deshalb so gesund, weil es nicht nur die Faszien der Muskeln, sondern auch die der Organe dehnt. Zu viele Menschen betreiben Raubbau an ihrem Körper. Das habe ich natürlich früher auch immer mal wieder getan. Aber irgendwann habe ich zu mir selbst gesagt ‚Moment mal! Du willst doch Musiker sein und kein Partykönig!’

Als du anfingst, war kaum ein Rockfan oder -musiker älter als 30 Jahre. Heute ist das anders, die meisten sind über 30, andere schon über 70. Ist Rock heute „Rentnermucke“ oder sind Rentner einfach viel rockiger als früher?

Ich glaube, Rockmusik hat eine ganz stabile Entwicklung durchgemacht. Allerdings sind wir und viele andere Bands mit der Zeit in das Business hineingewachsen. Die Chance haben junge Bands oft nicht.. Sie kommen rein ins Business, nehmen eine Platte auf, haben Erfolg, aber der hält nicht ewig. Und es fehlt ihnen die Stabilität, die wir uns aneignen mussten.

„Send me an Angel“, „Wind of Change“, „Rock You Like a Hurrican“ - mit diesen und weiteren Hits wurden die Scorpions in den 70ern und 80ern zu Rocklegenden.
„Send me an Angel“, „Wind of Change“, „Rock You Like a Hurrican“ - mit diesen und weiteren Hits wurden die Scorpions in den 70ern und 80ern zu Rocklegenden. © WAZ FotoPool | Ilja Höpping

Die Rockband Heavysaurus, die in Dinosaurierkostümen Metal für Kinder spielt, hat gerade einen Scorpions-Song für ihr junges Publikum umgeschrieben. Aus „Rock you like a Hurricane“ wurde „Dinos wollen euch tanzen sehen“. Die Zielgruppe ist 3 bis 11 Jahre. Freut ihr euch über solche Generationswechsel?

Ja, die kenne ich! Ich finde das Hammer, und mein Sohn ist sehr großer Fan! Daran kannst du sehen, wie viel diese Musik kann, dass sie jetzt schon wieder auf die jüngere Generation übergreift.

Du bezeichnest dich selbst als sensiblen Menschen und kannst auch öffentlich in Interviews weinen. Siehst du diese Sensibilität mehr als Stärke oder als Schwäche? Und ist diese Eigenschaft mit den Jahren deutlicher hervorgetreten oder weniger?

Ich sehe meine Sensibilität heute auf jeden Fall als Stärke an, obwohl ich sie früher als Schwäche wahrgenommen habe. Aber ohne sie hätte ich ganz viele Stücke gar nicht komponieren und schreiben können. Als ich zum ersten Mal „Stairway to Heaven“ gehört habe, fand ich den Song total geil und habe mir gewünscht, so etwas auch zu können. Irgendwann kamen dann „Still loving you“ und viele Songs, die zu Hits wurden. Aber all das ging nur, weil ich die Sensibilität besitze. Tränen zu vergießen, wenn einen etwas rührt, ist auch für einen Mann gut. Ich bin froh über diese Eigenschaft.

„Rock Believer“-Tour: 14. Mai, Dortmund, Westfalenhalle / 16. Mai, Mannheimer, SAP-Arena / 19. Mai, Hannover, ZAG-Arena / 21. Mai, Stuttgarter, Schleyer-Halle / 23. Mai, Berliner, Mercedes-Benz Arena / 5. Juni, München, Olympiahalle

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