An Rhein und Ruhr. Schein oder Nicht-Schein? Im Theater läuft zwar vieles schief, aber es gibt viele gute Vorsätze. Ein satirischer Blick auf die Wünsche der Macher.

Heute Abend fällt der Vorhang für 2022. Die, die uns das ganze Jahr Dramen bescheren, manchmal auch Klamotten, blicken nach vorn. Was muss anders werden? Hier sind ihre guten Vorsätze zu lesen, exklusiv, weil sie frei erfunden sind. Sollten Sie dennoch Ähnlichkeiten mit dem wahren Leben erkennen – reinster Zufall!

Die Schauspieldirektorin

A. (Schauspieldirektorin in B.) ist während der Feiertage gar nicht zur Ruhe gekommen. Sie ist stinksauer – auf sich. Es war so, dass sie nach der Nikolauslesung im Foyer einem Beleuchter eine SMS geschickt hatte. Die war dummerweise frivol. Aber noch dümmer war, dass der Beleuchter sich unerklärlicherweise nicht interessiert zeigte. Er war noch nicht beim Betriebsrat, aber natürlich hätte sie niemals ein Wort wie „Knackpo“ an einen Mitarbeiter senden dürfen. Dabei hatte ihr Handy noch „Knackpunkt“ angeboten, aber das hätte ja zu „geiler“ nicht gepasst. Und dann ihr Vorschlag, sich im Fundus zu zweit zum Wichteln zu treffen! Hätte das mit ihr als Regieassistentin damals einer dieser alten weißen Männer in Braunschweig gemacht, der wäre geliefert gewesen. Geliefert! Nun hat sie eine Genderbeauftragte, aber das hilft in diesem Fall wenig. Über die Feiertage hat sie viel geweint und Netflix-Serien zu sich genommen. „Der Hintern ist wirklich super“, denkt sie, schreibt aber als Vorsatz: „Personalschlüssel der Abteilung Technik checken lassen!“

Der Dramaturg

C., der Dramaturg von D. hat sich sehr über die von Fachmedien verbreitete Unterstellung geärgert, die da hieß „Der Dramaturg macht aus drei alten Programmheften ein Neues!“ Natürlich stimmt das. Seinen guten Vorsatz notiert er sehr entschieden: „In Zukunft aus vier!“

Der Projektbeauftragte

Am Theater in E. hat der Projektbeauftragte F. eine schwere Zeit. „Alex, woher kommt denn nächste Spielzeit die Pinke?“, hat G., der Intendant, bei der Weihnachtsfeier lallend gefragt. Übersetzt hieß das: An welchem Fördertopf haben wir noch nicht geschlemmt? Die letzten Jahre waren klasse, für LGBT gab es Kohle ohne Ende, das Stück war dann ziemlich egal. Egal war auch, dass die Abonnenten damit kaum was anfangen konnten und selbst die LGBT-Leute (außer den schnittchenessenden Funktionären bei Premieren) nie ins Theater gekommen sind, obwohl ihretwegen Shakespeare rausgekickt wurde.

Der Projektbeauftragte geht seine Liste durch. Er ist seit 2011 in E., und alles hatten sie schon. Aids, Demente, Blinde, Hartzer. Flüchtlinge brachte auch schön viel Geld – damals. Manchmal hat man Glück, der Minister wechselt und man kann ihm einen alten Hut als was Neues verkaufen. Heute Abend, da die Ungeduldigen schon um fünf die ersten Raketen zünden, kommt F. eine echt verwegene Idee. „Sich für die ganz normalen Besucher stark machen!“ schreibt er auf den Zettel mit den guten Vorsätzen. Er streicht es wieder durch. Zu unwahrscheinlich, dass daran irgendjemand Interesse hat.

Die Kulturausschussvorsitzende

In H. ist die Kulturausschussvorsitzende I. nach anderthalb Jahren im Amt total ernüchtert. Sie wollte eigentlich den Schulausschuss, aber da hockt J., diese schreckliche Frau von den Grünen, die vorher im Bioladen gearbeitet hat, ohne BH! Letzteres ist Hörensagen, die Vorsitzende kauft nicht in Bioläden.

„Nimm den Posten! Von da sind Leute schon Bundestagspräsident geworden“, hat ihr der Fraktionsvorsitzende K. gesagt. Na, warum nicht, schließlich liebt sie „König der Löwen“. Das hat sie fünf Mal gesehen. Bei ihrem Antrittsbesuch ließ der Intendant L. sie erst 40 Minuten warten, dann hat er sehr wenig gesprochen. In dieser Stille blickten beide zur Erde. Auf dem Boden sah die Ausschussvorsitzende lauter Krümel, sogar ein Stück rote Zwiebel, außerdem hatte der Intendant einen fünfmarkgroßen Flecken auf der Strickjacke, der aussah wie alte Erbsensuppe.

Durch ihr Amt muss die Vorsitzende zu jeder Premiere. Es ist schrecklich, trotz der Freikarten. In einem Stück aus Österreich neulich ging es fast nur um Sexspielzeug; sie wollte gehen, aber ihr Mann sagte „Och, lass mal!“ So einen Intendanten, hat sie nach diesem Abend gedacht (in dem mehr Körperöffnungen vorkamen, als sie bei Günther Jauch in der Blitzrunde zusammengekriegt hätte), den zahlen doch wir – und dem verwaschenen Typen beim nächsten Mal gesagt, wie es mal mit Molières „Eingebildetem Kranken“ wäre, der Mensch wolle doch auch gute Unterhaltung im Theater. Der Intendant hat erst gar nichts und dann gesagt: „Komik ist das Schwerste.“ Dann hat er wieder melancholisch auf den Boden geschaut. „Ämter überdenken“, schreibt sie auf den Zettel mit den guten Vorsätzen.

Der Intendant

M., der Intendant von N. hat Glück: Kulturdezernent O. mag seine Frau. Sonst wäre er schon weg vom Fenster. Der krankhaft geltungsbedürftige Dezernent hatte ihn geholt, weil die Kritikermafia so begeistert war. Davon aber hat das Publikum in N. nichts. Der Intendant will stets das Besondere: Aus einem Sammelband peruanischer Arbeiterlyrik hat er mit Hilfe seines autistischen Dramaturgen P. in einem verlassenen 1-Euro-Shop eine dreieinhalbstündige Performance gemacht, mit vier Schauspielern, von denen drei sehr schlecht Deutsch konnten. Der Intendant ist Luxemburger und merkt solche Sachen nicht sehr. Dafür hat er mit seinem Geschäftsführer Q. bei einer sehr teuren Flasche Pinot Noir vor Weihnachten einen Trick erfunden, die beschissenen Auslastungszahlen hochzukitzeln.

Zahlen, das hat er früh gelernt, sind herrliche Opiate für begriffsstutzige Politiker. Nach dem Pinot jedenfalls, den sie als „Bewirtung“ im Etat unterbringen werden, beschlossen sie, den ersten Rang im Theater abzuhängen, weil die neue Inszenierung „Kammerspielcharakter“ habe. Sie lachten angesoffen. So verschwanden 200 ohnehin unverkaufte Plätze Abend für Abend aus der Statistik. Für einen Moment geht es dem Intendanten gut. Auf den Vorsatzzettel schreibt er: „Mehr Kreativität!“