Essen. In seinem neuen Roman beschäftigt sich Robert Menasse mit der EU-Erweiterung durch Albanien. Dabei setzt er auf einen ganz besonderen Humor.
Fast 600 Seiten hat man gelesen, da sagt der eine Kommissar zum andern: „Beeil dich, in zwanzig Minuten geht es los.“ Robert Menasse hat sich bis dahin nicht beeilt in seinem Roman. Im Gegenteil, er hat alles genüsslich auserzählt auf seiner neuen Reise durchs Absurdistan Europa. Tatsächlich ist sein Roman „Die Erweiterung“ ein Buch der unverhofften Wendungen. Auch das macht die Lektüre so kurzweilig.
Es geht um Albanien und wie es darum kämpft, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Und es geht um Polen, das viel dafür tut, eben diese Mitgliedschaft wieder loszuwerden. Und um fast den ganzen Rest der 27 Mitgliedsstaaten geht es auch. Zu solchem Ende installiert Menasse einen in Europas Hauptstadt Brüssel kreuz und quer agierenden Figurenpark aus Funktionsträgern, Journalisten, Polizisten und Hotelmitarbeitern, deren Intentionen und Aufträge sich immer wieder in die Quere kommen.
„Die Erweiterung“: historische Helmkopie als Beitrittsargument
Dazu gibt es Heimattreue, Gastarbeiter, Oppositionelle und einen richtigen Nationalhelden. Der heißt Skanderbeg, ist aber um die siebenhundert Jahre tot. Er einte weiland die albanischen Stämme und schützte das europäische Christentum vor den Osmanen. Vivaldi widmete ihm eine Oper, seine Denkmale stehen in London, Rom und natürlich Tirana. Sein sonderbarer Helm, den ein Ziegenbock ziert, wird in einer Dependance des Kunsthistorischen Museums in der Wiener Hofburg präsentiert. Er erfährt in diesem Roman ein bisher nie dagewesenes Interesse. „Hatte die EU ein Symbol ihrer Einheit? Nein. Aber die Albaner hatten eines, diesen Helm“, weiß der Ministerpräsident des um Aufnahme buhlenden Landes.
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Fünf Künstler hat er in seinem engsten Beraterstab. Die wissen um die Macht der Bilder und Inszenierungen. Also gibt er beim besten Kunstschmied seines Landes eine originalgetreue und seinem Kopf angepasste Helmkopie in Auftrag. Dieser Hekuri Tahiraj wird zu einer der traurigsten Figuren dieses an traurigen Figuren reichen Romans, während sein Staatschef behelmt vorm Spiegel posiert und politische Symbolhandlungen plant. „Verhaltensoriginell“ nennen ihn seine Gegner.
„Kein Mann der raschen Problemlösungen“: Robert Menasse witzelt über die EU
Derweil verschwindet das Wiener Original, und Interpol muss ermitteln. Die aufgeheizte Politführung handelt übermotiviert, denn eine europäische Balkan-Konferenz in Polen steht unmittelbar bevor. Es gibt ein paar Staaten, die ausdrücklich gegen eine Aufnahme Albaniens sind, die anderen gilt es zu überzeugen. Da wirkt das absurde Hin und Her um den Helm teils störend, teils inspirierend. Also muss ein noch überzeugenderes Argument gefunden werden. Ein Kreuzfahrtschiff SS Skanderbeg wird gebaut, auf dem die europäische Politprominenz im Vorfeld ein paar diesbezüglich beeinflussende Tage verbringen wird. Als schließlich alle in einem Boot sitzen, läuft das in einer Weise aus dem Ruder, dass man sich den Roman von Sempé illustriert wünschte.
Nach diversen Essays und dem amüsanten Bestsellerroman „Die Hauptstadt“ von 2017 outet sich Robert Menasse ein weiteres Mal als lustvoller EU-Kritiker. Deswegen lädt er seine Beamtenpersonage mit vielfältigen Eigeninteressen auf. Dr. Karl Auer von der Generaldirektion Nachbarschaft und Erweiterung ist „kein Mann der raschen Problemlösungen“. Deswegen passt er gut nach Brüssel. Er verliebt sich in die Vorsitzende des Justizreform-Ausschusses des albanischen Parlaments, die zehn Jahre jüngere Dr. Baia Muniq Kongoli, die ihr Vater nach seinem Lieblingsfußballclub benannt hat. Natürlich hat das Auswirkungen auf seinen Dienstreiseplan. Die Polen Mateusz und Adam waren einmal Blutsbrüder, haben sich aber nach dem Solidarność-Erfolg bis zur Feindschaft entzweit. Nun, wo der eine als dogmatischer Ministerpräsident die Konferenz leiten wird und der andere zuständig für die EU-Erweiterungspolitik ist, bricht offener Hass aus. Die Journalistin Ylbere macht sich auf an die Grenze zum Kosovo, der demotivierte Regierungssprecher Ismael Lani hat Gründe, lieber bei ihr zu sein.
Robert Menasses Stil ist elegant, humorvoll und voller immer anders verblüffender Wendungen, da stört es nicht weiter, wenn er mitunter die Erzählökonomie vernachlässigt. Und er legt seinen Europafunktionären überraschende länderkundliche Sentenzen in die Münder. „Sein Lieblingschinese in Brüssel war Koreaner“, heißt es da. Oder: „Italiener sind doch im Grunde nichts anderes als Albaner in Versace-Klamotten.“