Essen. Kunst und Kulinarik bei der Lit.Ruhr: Das Lesefest lockt mit breitem Themenspektrum und vielen Stars. Es kamen doppelt so viele Zuhörer wie 2021.

Literatur als bunte Tüte: Wie erfolgreich die Lit.Ruhr es versteht, aus der Masse der Klassiker und Neuerscheinungen immer wieder schmackhafte Probier-Pralines zu formen, hat auch die sechste Auflage des Lesefestes im Ruhrgebiet bewiesen. Die bunte Bücher-Bonbonniere schmeckte Krimifreunden wie Fußballfans, Kunstliebhabern wie historisch Interessierten.

Gruß aus der gehobenen Küche

Gelesen wurde auf der Essener Zeche Zollverein als Festival-Zentrum ebenso wie in Bochum, Gelsenkirchen und Oberhausen. „Wir sind Helden“-Sängerin Judith Holofernes war mit ihrer Autobiografie angereist, Wolf Haas hatte den neuesten Fall seines Kult-Detektivs Simon Brenner im Gepäck. Und Schauspieler Matthias Brandt ließ E.T.A. Hoffmanns „Bergwerke zu Falun“ mit Klavierbegleitung zu einer gefeierten, musiktheatralischen Klang-Collage werden.

Vielleicht also muss man sich die Lit.Ruhr ein wenig so vorstellen wie ein Abendessen bei Denis Scheck: die üppige Anzahl der verschiedenen Gänge macht am Ende jeden satt. Die Großmutter, die dereinst schon Theodor Heuss bekochte, habe ihn ob all der besonderen Zutaten zwar mal „Blender“ genannt, doch der Liebe zum guten Essen hat das keinen Abbruch getan.

Der Literaturkritiker Denis Scheck gab Tipps aus der gehobenen Küche.
Der Literaturkritiker Denis Scheck gab Tipps aus der gehobenen Küche. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

So versorgt Scheck das Lit.Ruhr-Publikum diesmal nicht mit literarischen Empfehlungen, sondern mit Tipps aus der gehobenen Küche.

Die sind gewissermaßen „Beifang“ der Reisen, die der Schöngeist und literarische Scharfrichter antritt, für den Otto-Normal-Haushalt vermutlich nur bedingt nutzbar: ob es sich nun um die Bottarga di Tonno, den im Hause Scheck gern verwandten Thunfischrogen handelt oder die Technik, eine Reh-Consommé mittels Wasserdampf zu aromatisieren.

Neven Subotic erzählt vom Leben eines BVB-Profis

Das gute Leben hat bei Ex-BVB-Profi Neven Subotic indes einen etwas bitteren Beigeschmack hinterlassen. Großes Haus, teure Urlaube schnelles Auto – das Leben auf der Überholspur war für Subotic „wie mit 300 Sachen über die Autobahn zu brausen, ohne Haltepunkt. Man drückt einfach immer weiter durch und kann nicht stoppen.“

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Irgendwann hat er dann doch die Notbremse gezogen, Bücher gelesen und über Gerechtigkeit und die Verantwortung des Promiseins nachgedacht. Mittlerweile hat er eine Stiftung gegründet, die sich um sauberes Wasser in den armen Ländern Ost-Afrikas kümmert und selber ein Buch geschrieben: „Alles geben. Warum der Weg zu einer gerechteren Welt bei uns selbst anfängt.“

Leseabend mit BVB-Fangesängen

Fast sind sie auf der Lit.Ruhr so etwas wie Verbündete, der Fußball-Millionär und die Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer, die mit ihrem neuen Buch „Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich“ schon tags zuvor in Essen zu Gast ist. Die Klimaaktivistin schreibt diesmal über die eigene Familiengeschichte, die einen nie so richtig loslässt wie das Image, Bundesliga-Star zu sein. „Wer wird Deutscher Meister, nur der BVB“, tönt es bei Subotic also durch den Saal und ist zumindest für den Moment eine schöne, gemeinsame Erinnerung.

Auch der Schauspieler Matthias Brandt kam zur Lit.Ruhr. Er ließ E.T.A. Hoffmanns „Bergwerke zu Falun“ mit Klavierbegleitung zu einer gefeierten, musiktheatralischen Klang-Collage werden.
Auch der Schauspieler Matthias Brandt kam zur Lit.Ruhr. Er ließ E.T.A. Hoffmanns „Bergwerke zu Falun“ mit Klavierbegleitung zu einer gefeierten, musiktheatralischen Klang-Collage werden. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Der Fußball gehört eben seit zum Revier wie die Frage, was das Ruhrgebiet heute eigentlich ist? Eine Rückwärtsprojektion oder gar die „Narbe einer Epoche“, wie es der Historiker Per Leo nennt. Zusammen mit Raphaela Edelbauer und Ingo Schulze diskutieren auf der Lit.Ruhr gleich drei Metropolenschreiber der Brost-Stiftung, wie schwierig es ist, über die 53-Städte-Stadt zu schreiben.

Ausverkauftes Haus bei Claudia Michelsen und Fabian Hinrichs

Wie leicht die Beschäftigung mit Ruhrgebiets-Texten dabei in einen etwas beschaulich-nostalgischen Erinnerungsabend zwischen Bergmanns-Dichtung und „Kumpel Anton“-Humor münden kann, zeigt im Anschluss gleich der „Bergmannskinder“-Abend, wenngleich die gebürtige Oberhausenerin Esther Schweins den „Komma-bei-die-Omma“-Jargon tadellos beherrscht.

Generell zählen die Themenabenden der Lit.Ruhr zu den Publikumsrennern. Ausverkauftes Haus auch im Museum Folkwang, wo die Schauspielstars Claudia Michelsen und Fabian Hinrichs mit ausgewählten Anschreiben von Sigmar Polke bis Paul Gauguin bewiesen, dass auch Künstler-Korrespondenz ein schillerndes Sujet sein kann.

>>> Lit.Ruhr verbucht 15.000 Besucherinnen und Besuchern <<<

Die sechste Ausgabe des Literaturfestivals hat erstmals seit 2019 wieder ohne Corona-bedingte Einschränkungen stattgefunden – und die Besucherzahl im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt.

15.000 Besucherinnen und Besucher kamen zu den knapp 60 Veranstaltungen, 4.000 Kinder und Jugendliche erlebten die 23 kostenlosen Klasse-Buch-Lesungen.