Essen. Mit einer Lesung des Autors und Schauspielers Joachim Meyerhoff begann in Essen das Literaturfestival Lit.Ruhr. Ein würdiger Eröffnungsabend.

Vor der Kür kommt die Pflicht. Und so arbeiten sich die Programmleiter des Literaturfestivals Lit.Ruhr, Tobias Bock und Angela Fuhrkamp, zunächst an der Liste der Sponsoren und Förderer ab. Das Publikum in der nahezu ausverkauften Essener Lichtburg nimmt diese Aufzählung freundlich, aber auch mit Ungeduld hin. Man wartet fieberhaft auf Joachim Meyerhoff, der zu den profiliertesten deutschsprachigen Bühnenschauspielern gehört, der jetzt allerdings in seiner Eigenschaft als von Lesern wie Literaturkritik gleichermaßen gefeierter Autor autobiografischer Fiktion angekündigt ist.

Zum sechsten Mal findet die Lit.Ruhr statt, doch die Eröffnungsveranstaltung ist eine Premiere. Im letzten Jahr hatte man sich mit einem Podiumsgespräch zwischen Bestseller-Autor Frank Schätzing und der Rundfunkjournalistin Stephanie Rohde von den Galas der Vorjahre mit viel beliebigem Geplauder und Musik verabschiedet. Diesmal verzichtet man auf jegliche Moderation. Stattdessen: Literatur pur.

1000 Besucher kamen zur Eröffnung in die Lichtburg in Essen

Wohl über 1000 Besucher sind gekommen, um einer einzigen Lesung beizuwohnen. Fünf autobiografische Romane voller köstlicher Anekdoten über seine Kindheit, sein Leben, seine Theatererfahrungen hat Meyerhoff bisher geschrieben, zuletzt („Hamster im hinteren Stromgebiet“) über seinen 2018 erlittenen Hirninfarkt und die Strapazen der Genesung. Alle Bücher, die in ihrer virtuosen Verflechtung von Tragik und Komik tief ins Wesen des Menschseins eintauchen, wurden Bestseller.

In die Lichtburg nun hat er unveröffentlichte Texte mitgebracht, deren Eignung für einen neuen Roman sich erst noch erweisen muss. „Jedes Buch braucht einen eigenen Weg, einen eigenen Ton“, sagt er und: „Sie, das Publikum, sind meine Testperson.“

Spontane Heiterkeitsausbrüche

Von Anfang an erweist sich Joachim Meyerhoff als begnadeter Erzähler, als Menschenfänger. Dass er sich bei seiner Lesung auf eine bessere Loseblatt-Sammlung stützt, gibt dem Ganzen etwas Improvisiertes, und dazu passen die spontanen Heiterkeitsausbrüche des Publikums, das an seinen Lippen hängt und dessen Begeisterungskurve beständig ansteigt. „Der Witz“, erläutert er zwischendurch seinen Ansatz, „will zur Pointe“. Die oftmals gering geachtete Anekdote dagegen ist „die Quelle, aus der das klarste Wasser rauscht“.

Auch interessant

Bei Meyerhoff, der nach seinen Erfahrungen im als toxisch empfundenen Berlin (nach dem Infarkt wechselte er von der Wiener Burg an die Schaubühne) Zuflucht bei seiner 85-Jährigen Mutter im schleswig-holsteinischen Süderbrarup suchte und dort eine Überraschung nach der anderen erlebte, versammelt sich das Quellwasser des Anekdotischen gleichsam zu einer Stromschnelle, die ihn, den Menschen, mitreißt und zu sich selbst führt.

Umwerfende Theatergeschichten aus Dortmund

Das Gefährliche, das vielleicht auf bedrohliche Weise Unbekannte humoristisch abzufedern, dieser Befreiungsakt gelingt Meyerhoff auf überragende Weise. Wobei die herrlichsten Anekdoten immer noch von der Bühne geliefert werden. Die zwei mit größter Selbstverständlichkeit in die Süderbraruper Episoden eingefügten Geschichten aus dem Opern- und Schauspielhaus Dortmund, die zurückführen in die schlimmsten Zeiten des alternativ angehauchten Regietheaters, sind einfach umwerfend.

Ein großer, ein würdiger Eröffnungsabend, nichts anderem gewidmet als der Literatur und der unbändigen Freude daran.

>>> Ein Literaturfestival mit bekannten Namen <<<

Das Literaturfestival Lit.Ruhr startet bis 23. Oktober in Bochum, Essen, Gelsenkirchen und Oberhausen. Rund 60 Veranstaltungen sind angekündigt.

Erwartet werden Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und Ex-Fußballprofi Neven Subotic - Schauspieler wie Katja Riemann, Claudia Michelsen und Annette Frier sowie Matthias Brandt. Außerdem Journalisten und Schriftsteller wie Dunja Hayali, Elke Heidenreich, Cordula Stratmann und Jörg Thadeusz und Kabarettist Frank Goosen. Mit dabei sind auch Regisseurin Doris Dörrie und Kinderbuchautor Paul Maar mit neuem Sams-Abenteuer. Alle Infos: www.lit.ruhr