Gelsenkirchen. Beim Literatur-Festival Lit.Ruhr 2022 gab es am Donnerstagabend in Gelsenkirchen eine muntere Diskussion zu den Auswüchsen des modernen Fußballs.
Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten. Leider musste sich auch die Gesprächsrunde am Donnerstag in der „Kaue“ exakt an diese Zeitvorgabe halten. Dort hatte „11 Freunde“-Redakteur Christoph Biermann im Rahmen der Lit.Ruhr 2022 nicht nur auf höchst unterhaltsame Art und Weise sein neues Buch „Um jeden Preis“ vorgestellt, sondern mit dem Ruhrpott-Autoren Frank Goosen und Schalkes Aufsichtsratsvorsitzenden Axel Hefer auch eifrig über die Auswüchse des modernen Fußballs diskutiert. Und als noch längst nicht alle relevanten Punkte zu diesem komplexen Thema angesprochen waren, ertönte überpünktlich der Schlusspfiff. Schade!
Neugierig auf den Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Axel Hefer
Die „Kaue“ ist ja in Schalke beheimatet. Kein Wunder also, das bei den meisten der rund 280 Gäste ein königsblaues Herz im Inneren pochte. Die waren natürlich vor allem auf Axel Hefer gespannt. Der ist in seinem beruflichen Alltag Vorstandsvorsitzender bei Trivago, ehrenamtlich sitzt er aber auch dem Aufsichtsrat des FC Schalke 04 vor. In dieser Funktion suchte er bislang nur höchst selten das Licht der Öffentlichkeit. Und so waren viele Besucher einfach nur neugierig, was für ein Typ Hefer denn nun ist.
Er betrat um 19.35 Uhr im legeren Look mit Jeans, weißen Turnschuhen und dunklem Sweatshirt die Bühne, nahm dort auf einem der beiden Ledersofas direkt neben Frank Goosen Platz. Der ist ja nicht nur ein lokalpatriotischer Kabarettist aus dem Pott, sondern war ebenfalls einige Jahre in einem Aufsichtsrat tätig – und zwar bei seinem Leib-und-Magen-Verein VfL Bochum. Auf dem Sofa daneben saßen mit Autor Christoph Biermann der eigentliche Protagonist des Abends und mit Louis Klamroth der Moderator dieser Runde. Und am Rande hatten sich zwei Gebärdendolmetscher positioniert, die abwechselnd das gesprochene Wort für alle Gehörlosen im Publikum simultan übersetzten.
1992 war für Autor Christoph Biermann das Geburtsjahr des modernen Fußballs
Schnell kam die Diskussion in Gange. Biermanns These lautet, dass 1992 das Geburtsjahr des modernen Fußballs ist. Damals wurden die Premier League in England sowie die Champions League als neuer Europapokal-Wettbewerb gegründet, in besagtem Jahr erhielt in Deutschland mit Sat.1 zudem erstmals ein Privatsender die Übertragungsrechte für die Bundesliga. Für die positiv gestimmte Gruppe unter den Fans sei dies der Beginn eines Fußballs mit top-modernen Arenen, viel mehr Sicherheit und toller Unterhaltung gewesen. Für die Skeptiker setzte hingegen von da an ein bis heute andauernder Niedergang des fanorientierten, traditionsbewussten Fußballs ein, der stattdessen nur noch eines im Sinn hat: die Profitmaximierung.
Biermann positioniert sich in seinem Buch genau zwischen diesen Argumentationslinien. Doch Hefer macht schnell klar, dass eine Liga, in der zehnmal hintereinander derselbe Klub Meister wird, dringenden Reformbedarf habe. „Mein Sohn ist neun Jahre alt. Der hat noch keinen anderen Meister erlebt als die Bayern“, klagte er.
FC Bayern hat mit Blick aufs Kaderbudget astronomische Abstände zum Rest der Liga
Doch wie will man etwas ändern, wenn die Strukturen so fest zementiert sind? Die Münchner hätten laut Biermann als Branchenprimus 60 Millionen (!) Euro mehr für ihren Spielerkader zur Verfügung als der zweitreichste Verein, der BVB. Und die Abstände zum Rest der Liga seien noch astronomischer.
Was also tun? Umverteilung der TV- und Champions-League-Prämien? Den Titelkampf über Playoff-Spiele oder in K.o.-Runden wie im DFB-Pokal ermitteln? Es fiel auf, dass sich alle Diskutanten schwer damit taten, wirklich konkrete Änderungsideen zu benennen. Ein Dilemma, vor dem aber die gesamte Branche Profifußball steht und auf das sie keine Antworten weiß.
Schalke 04 und VfL Bochum mit möglicher Fahrgemeinschaft nach Sandhausen
Natürlich wurde nicht nur sachlich diskutiert, sondern ruhrgebietstypisch auch ein bisschen gefoppt. So bot Goosen mit einem Augenzwinkern Hefer an, dass Schalke und Bochum ja im nächsten Jahr eine Fahrgemeinschaft nach Sandhausen bilden könnten. Weil eventuell beide wieder in die 2. Liga absteigen müssten. Und als Hefer einräumte, dass „ihr Bochumer die besseren Bratwürste im Stadion habt als wir“, fragte Goosen mit gespielter Sorge: „Kriegst du jetzt nicht ganz schweren Ärger mit euren Gelsenkirchener Metzgern?!?“
Die Rede kam dann auch noch auf die USA als künftig wichtigsten Wachstumsmarkt im globalen Fußball-Business sowie auf die so genannten „Super-Trainer“ wie Pep Guardiola oder Jürgen Klopp. Zu Beginn hatte Moderator Klamroth dem Publikum versprochen, Hefer natürlich auch nach dem Stand der Dinge bei der Suche nach dem neuen Schalke-Trainer zu fragen. Doch dieses Thema wurde angesichts der zu knapp bemessenen Zeit am Ende komplett ausgespart. Genau wie die Skandal-WM in Katar oder die Ultras in der Fankurve.
Fazit: ein kurzweiliger, lustiger und spannender Fußballabend, der aber eine mindestens 30-minütige Verlängerung verdient gehabt hätte.