Essen. Mit Grüßen von der Großmutter: Aktivistin Luisa Neubauer spricht auf der Lit.Ruhr über die Familie. Neben dem Klima ist auch der Krebs ein Thema.
Vor einer Woche hat sie den Grünen beim Parteitag in Bonn noch die Leviten gelesen. Am Donnerstagabend sitzt Luisa Neubauer bei der Lit.Ruhr und liest aus ihrem neuen Buch. „Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich.“ Zwei Generationen, zwei Jahrhundert und ein Buch „mit ganz viel Ich“, sagt Neubauer über das Buch, also irgendwie „radikal persönlich“.
Co-Autorin ist ihre Großmutter, Dagmar Reemtsma, 89-jährig. Vor dem Auftritt haben die beiden Frauen noch kurz telefoniert, die Oma schickt herzliche Grüße von Hamburg nach Essen. Die Zollverein-Halle 5 ist fast restlos gefüllt, viel junges Publikum ist da, um Deutschlands prominenteste Klimaaktivistin auf dem Podium zu erleben.
Der Vater stirbt mit nur 60 Jahren an Lungenkrebs
Auch an diesem Abend geht es natürlich ums große Ganze, um die Rettung des Weltklimas, soziale Gerechtigkeit und den Irrsinn von Laubbläsern. Aber Luisa Neubauer wird in ihrem neuen Buch auch ganz privat, erzählt von den kindlichen Bastel- und Diskussionsstunden bei der Großmutter und dem Vater, der mit nur 60 Jahren einer Krebserkrankung erlegen ist. Wie man so einen Verlust verwindet mit nur Anfang 20, dem „Arschloch Krebs“ entgegentritt, um die persönliche Katastrophe doch mit jeder Körper-Faser zu spüren, davon berichtet Neubauer in dem Buch ebenso offen wie reflektiert.
Dass der Vater, Raucher, an Lungenkrebs stirbt, die Großmutter nach dem Zweiten Weltkrieg damals in den in eine der bedeutendsten Tabak-Dynastien einheiratet, mit einem Schwiegervater, von dessen engen Nazi-Verbindungen sie lange nichts weiß, während ihr eigener Vater wiederum kurz vor Kriegsende in einem Konzentrationslager stirbt, das sind die Ungeheuerlichkeiten des Lebens, mit denen sich die beiden Frauen in ihrem Buch auseinandergesetzt haben.
„Vielleicht muss man einfach mal ausrasten oder anfangen zu weinen“
Das Engagement für die Umwelt, für mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit liegt dabei in der Familie. Die Großmutter, erzählt Luisa Neubauer, hat schon früh Kontakt zu Bürgerinitiativen, debattiert mit Adidas-Aktionären um eine bessere Entlohnung der Arbeiterinnen in Bangladesch und klärt am Gartenzaun über die Schädlichkeit von Laubsaugern auf. Das tue sie immer im Ton der freundlichen Aufklärerin und in der entschuldigenden Annahme, dass es die anderen einfach nicht besser wissen, staunt Neubauer, die selber bei den Menschen oft mehr Absicht und weniger Ahnungslosigkeit wittert. „Ich fühle mich oft wie die Ältere von uns beiden.“
Nun sind die Bandagen in der Klimadebatte auch härter geworden, erst vor kurzem hat Neubauer in der Talkrunde mit Markus Lanz schwer einstecken müssen. Dass da wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sprache kämen, die einfach mit einem lapidaren „Ich sehe das anders“ abgekanzelt würden, will ihr nicht in den Sinn. Doch wie soll man reagieren? „Vielleicht muss man einfach mal ausrasten oder anfangen zu weinen“, hat sich Neubauer hinterher überlegt. Gleichgültigkeit jedenfalls sei auch der Großmutter ein Gräuel. Deshalb wird sie wohl weiter Bücher schreiben und in Talk-Runden gehen. Aktivismus, sagt Neubauer, verstehe sie eben auch als etwas Unnachgiebiges.
„Die Flamme der Freiheit“ hat zuvor schon Jörg Bong bei der Lit.Ruhr entzündet. Der ehemalige Verleger des S. Fischer Verlags und Bestsellerautor – besser bekannt als Krimiverfasser Jean-Luc Bannalec – hat ein Buch über die Revolutionäre von 1848 und ihren Kampf um heute so selbstverständliche demokratische Werte geschrieben. „Nicht akademisch“, sondern bestrebt, „die Leser so unmittelbar wie möglich mitzunehmen“, erklärt er auf dem Zollverein-Podium im Gespräch mit Moderatorin Margarete von Schwarzkopf. Dass es gelingt, dafür sorgt an diesem Abend vor allem die fabelhafte Katja Riemann, die sich einmal mehr als eine der besten Vorleserin der Republik beweist.
Ihre besondere Stimme war in den Pop-Charts lange allgegenwärtig: Judith Holofernes, Frontfrau der Band „Wir sind Helden“, hat beinahe 20 Jahre im Rampenlicht gestanden. Mittlerweile ist sie 45, hat zwei Kinder, die Musikerkarriere an den Nagel gehängt und ein Burnout hinter sich. Stoff für eine Autobiografie, die „Die Träume anderer Leute“ heißt. Zusammen mit Podcaster Nilz Bokelberg spricht Holofernes auf der Lit.Ruhr aber vor allem über die eigenen Sehnsüchte und Überforderungen, die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Rockstardasein, die Schwierigkeit, einen Tourbus babyfreundlich auszustatten und die Herausforderung, nach der Karriere sein Leben so zu gestalten, wie man es sich eigentlich lange gewünscht hat.