Ruhrgebiet. Der dritte Brost-Preis Ruhr geht an drei Frauen, die sich für Palliativarbeit im Ruhrgebiet einsetzen. Das Preisgeld wird fast vervierfacht.
Der Preis gilt nicht weniger als der Menschlichkeit. So steht es in der Widmung, und deshalb ist der Brost-Stiftung in diesem Jahr auch ein Vielfaches wert: Mit 25.000 statt 20.000 Euro ist der Brost-Preis Ruhr beim dritten Mal dotiert, und er geht in dieser Höhe gleich an drei Frauen. Drei, die sich um die Palliativmedizin im Ruhrgebiet verdient gemacht haben. „Sie machen“, lobt Prof. Bodo Hombach vom Stiftungsvorstand, „eine letzte Zeit würdigen Lebens möglich.“ Menschen, die das können und kompromisslos tun, gebühre Dank und öffentliche Anerkennung.
Dr. Marianne Kloke
Der beste Satz zu ihrer Arbeit kommt gar nicht von Dr. Marianne Kloke selbst, aber sie zitiert ihn gern: „Palliativmedizin“, sagte ihr einst ein junger Onkologe erstaunt, „ist ja Intensivmedizin mit Zuhören.“ Als junge Ärztin hatte die heute 68-Jährige den Fachbereich nicht gesucht, er hatte sie gefunden. Und sie in ihm eine Lebensaufgabe: ein fürsorgendes Umfeld, ein Krankenhaus, eine ganze Stadt zu schaffen, in dem schwerstkranke und sehr alte Menschen würdig weiterleben können, mit der Betonung auf „Leben“. Kloke mag es gar nicht, wenn man das Palliative mit „Schöner Sterben“ umschreibt, darum geht es nicht. Es geht darum, ganzheitlich zu betreuen, mit qualifizierter Medizin, aber auch mit sozialen sowie spirituellen Angeboten und darum, dass alles „früh integriert“ werde, auch für Angehörige.
Kloke, die gelernte Internistin, lernte das an der Universitätsmedizin Essen, baute später die Klinik für Palliativmedizin an den Kliniken Essen-Mitte auf, gründete und leitete das Netzwerk Palliativmedizin Essen. Und die Geschichte geht auch im Ruhestand weiter. Denn es reicht der vierfachen Mutter nicht, dass sie die Idee bekannt machte und in Essen Strukturen dafür schuf: Sie will sie weiter verbreiten. Die palliative Versorgung brauche Multiplikatoren. Ihr Preisgeld soll deshalb an ein Projekt der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum gehen: Das hat zum Ziel, Studierende aller Sozial- und Pflegeberufe für die Palliativversorgung auszubilden, zu sensibilisieren, zu vernetzen – damit sie selbstverständlich wird.
Dr. Nicole Selbach
Als Nicole Selbach studierte, gab es das Fach Palliativmedizin noch nicht, auch sie wurde Fachärztin für Innere Medizin – und lernte später viel von Marianne Kloke, die sie „eine Pionierin“ nennt. Selbach hörte noch selbstverständlich Ärzte sagen, dass sie nichts mehr tun könnten für Patienten, sie hört es manchmal heute noch, aber sie weiß, dass es nicht stimmt: „Es gibt viele Dinge, die man für schwer kranke Menschen tun kann, es ist ganz viel möglich!“ Je mehr sie unterstützt würden durch multiprofessionelle Begleitung, durch Pfleger, Seelsorger, Sozialarbeiter, durch Psychologen, Berater und natürlich auch Ärzte, desto häufiger hat die 47-Jährige schon gesehen: „Die Lebenszeit kann sich verlängern.“
Die dreifache Mutter wundert sich immer wieder über das Tabu Tod, „als ob wir denken nicht zu sterben, wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen“. Nach Jahren in Essen leitet Selbach seit 2020 die Palliativmedizin am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum, wo sie gerade ein Team aufbaut und noch mehr: Eine ganze Palliativstation ist in Planung, derzeit wird bereits umgebaut, es entsteht ein geschützter Bereich mit Terrasse und Aufenthaltsraum. In dem letzte Lebensphasen in Ruhe und zugleich gut begleitet gestaltet werden können. Denn „das Sterben gehört ins Leben“.
Dr. Ferya Banaz-Yaşar
Es begann als Ehrenamt: Die promovierte Biologin Dr. Ferya Banaz-Yaşar machte nach Studium und Heilpraktikerausbildung 2012 einen Hospizkurs. Und stellte fest, dass die Idee von Sterbebegleitung und palliativer Betreuung „in bestimmten Migrantenmilieus gar nicht bekannt ist, die meisten Menschen kennen das aus ihrer Heimat nicht“. Sie weiß aus ihrem eigenen Glauben, was sie auch bei frommen Christen wiedererkennt: Der Umgang mit dem nahenden Tod habe viel mit dem Gottesbild zu tun. Viele Menschen glaubten, „wenn der liebe Gott das möchte, werde ich wieder gesund“.
Weil das so einfach nicht immer ist, widmet sich Banaz-Yaşar, 47, seither einem „kultursensiblen“ Umgang mit dem Thema. Sie bietet am Universitätsklinikum Essen Hospizkurse für Menschen unterschiedlicher Herkunft an, gerade lernen dort türkische, arabische, spanische, polnische, russische Teilnehmer, auch Ungarn, Franzosen, Portugiesen waren schon da. Alle, sagt die zweifache Mutter, „aus der Haltung heraus, Gutes für die Menschen tun zu wollen“. Die Duisburgerin mit türkischen Wurzeln hat oft gesehen, wie wichtig eine Vertrauensperson am Sterbebett ist, die die eigene Kultur kennt. Oft werde dort und damit in der eigenen Familie nicht offen darüber gesprochen, was kommt – „mit uns ist es leichter“.
>>INFO: BUCH UND PREISVERLEIHUNG
Der Brost-Ruhr Preis wird am Dienstag, 7. Juni, um 17 Uhr im Erich-Brost-Pavillon der Zeche Zollverein in Essen verliehen. Die Auszeichnung, die seit 2020 vergeben wird, ging zuletzt an NRW-Innenminister Herbert Reul und den ehemaligen WDR-Intendanten und Kopf der Kulturhauptstadt Fritz Pleitgen. Das Preisgeld kommt sozialen Zwecken zugute.
In der Reihe „Impulse aus dem Ruhrgebiet“ erscheint zur Preisverleihung ein Buch der Brost-Stiftung: „Das Leben vom Ende her denken. Einblicke in die Palliativmedizin“ (Tektum Verlag, 266 Seiten, 38 Euro) wird herausgegeben von Bodo Hombach und Eckhard Nagel. Verschiedene Autoren beleuchten das Thema Palliativ-Medizin, auch Patienten kommen zu Wort – und natürlich die drei Preisträgerinnen.