Düsseldorf. Vor fast genau 75 Jahren wurde Nordrhein-Westfalen gegründet. Im Düsseldorfer Behrensbau gibt es jetzt die Jubiläumsausstellung: „Unser Land“.

Nordrhein-Westfalen wurde am 23. August 1946, also vor fast genau 75 Jahren gegründet – nicht festlich-feierlich, nicht mit Pomp und Rumtata, sondern mit der amtlichen Verordnung Nr.46, erlassen von den britischen Militärbehörden auf einem grauen Notzeitenblatt, in höchst papierenem Amtsdeutsch.

Wer sie sieht, mag an Jürgen Beckers schelmisches Urteil über die zwangsvereinigten Westfalen und Rheinländer denken: „Et is furschtbar, aber et jeht!“ NRW ist zum Bundesland geronnener Pragmatismus. Dass es anders als etwa ein Bayern keine patriotischen Wallungen auslöst, kann man auch für einen Vorzug halten.

NRW-Gründungsurkunde liegt in Düsseldorf nüchtern in einer Vitrine

Die unscheinbare Gründungsurkunde des Landes (übrigens auch die von Schleswig-Holstein, das noch nüchterner mit dem Jubiläum umgeht, und auch die von Niedersachsen, das damals noch „Hannover“ hieß) liegt jetzt in einer Vitrine im Düsseldorfer Behrensbau, dem ehemaligen Mannesmann-Hauptquartier gleich am Rheinufer.

Schau im Behrensbau

Der vom Architekten Peter Behrens entworfene Bau wurde 1910 als Mannesmann-Zentrale errichtet. Ab 1946 residierte hier die Landesregierung, bis Mannesmann sie hin­ausklagte.

Die Ausstellung ist hier bis zum 23. Mai 2022 zu sehen, danach wandert sie durchs Land. Geöffnet: Di-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr. Eintritt frei. Internet: www.unser-land.nrw

Ganz am Anfang der Jubiläumsausstellung „Unser Land“ zum 75-jährigen Jubiläum der Gründung, wo auch klar wird, dass NRW nicht erst 1946 beginnt – schon 1923, haben Historiker erst jüngst wieder entdeckt, gab es einen Plan, die Preußen-Provinzen Westfalen und Rheinland mit dem Freistaat Lippe-Detmold zu vereinen – ausgeheckt übrigens vom Ingenieur Hans Baumann, der in der Reichsbahn-Zentrale am Essener Bismarckplatz arbeitete und nicht nur die Interessen seines Arbeitgebers, sondern auch die der Wirtschaft im Blick hatte.

Mokick und Ziegelstein

Die Ausstellung im Düsseldorfer Behrensbau, die ab heute bei freiem Eintritt zu sehen ist, lässt ein Dreivierteljahrhundert in 300 Ausstellungsstücken Revue passieren, aber Dokumente (wie das ebenfalls recht unscheinbare Anwerbe-Abkommen von Oktober 1961 für türkische „Gastarbeiter“, das mit Kohlepapier-Durchschlag auf einer Schreibmaschine getippt war und das die Republik tief verändert hat) sind in der Minderzahl. Hier gibt es Teddys und Puppen von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten und Syrien, weil Einwanderung ein Kern-Thema für NRW ist: Von 1951 bis 2009 kamen über 2,5 Millionen Menschen aus 100 Ländern ins Durchgangslager Unna-Massen.

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Hier sieht man das Zündapp-Mokick für den Millionsten Arbeits-Migranten genauso wie den Backstein aus dem Haus der türkischen Familie Genç in Solingen, das bei einem Brandanschlag im Mai 1993 in Flammen aufging und zur Todesfalle für fünf Menschen wurde. „Geschichte wird lebendig“, kommentierte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gestern bei einer ersten Begehung.

Es geht es um die RAF und um den NSU

Die „Innere Sicherheit“ ist eins von acht Ausstellungskapiteln, hier geht es um die RAF wie um den NSU, und die Kofferbombe zweier Islamisten, die zum Glück 2006 in der Regionalbahn nicht detonierte, ist auch zu sehen. Die Ausstellungsmacher um den Historiker Peter Henkel sind sichtlich um Ausgewogenheit bemüht, Rockerkutten der „Bandidos“ hängen Oberteilen der Polizeibekleidung gegenüber, eine Dieselkatze für Untertage-Fahrten steht neben dem ersten Computer von Nixdorf; die Wirtschaft dreht sich um Kohle und Stahl wie um Landwirtschaft und Textilindustrie, bis man begreift: Strukturwandel war immer und überall.

Blick in die Ausstellung zu 75 Jahren NRW am Düsseldorfer Mannesmannufer.
Blick in die Ausstellung zu 75 Jahren NRW am Düsseldorfer Mannesmannufer. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Beim Kapitel „Umwelt“ kann man über das Fischesterben 1969 im Rhein, die Dünnsäureverklappung oder den Braunkohleabbau aus heutiger Sicht nur noch den Kopf schütteln. Immerhin: die Ausstellung ist keine Jubelorgie, die Schwierigkeiten werden nicht verschwiegen – bis hin zu allerjüngsten Zeugnissen der Flutkatastrophe im Juli, den verdreckten Stiefeln eines Feuerwehrmanns.

Unser Land: das Herz der „Trimm Dich“-Bewegung

NRW erscheint hier als Herz der „Trimm Dich“-Bewegung genau wie als Land der Kultur und der Medien, neben der Gründung der Ruhrfestspiele (1946!) geht es auch ums Bochumer Schauspielhaus und die Presse – mit einem wahrlich historischen Foto, das die WAZ-Gründer Erich Brost und Jakob Funke als Redakteure der „Neuen Ruhr Zeitung“ mit deren Herausgeber Dietrich Oppenberg bei der Wahlberichterstattung 1947 zeigt.

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Ganz am Anfang der Ausstellung sieht man übrigens nicht nur den beklemmenden Nachbau des 1965 in der Eifel errichteten und 1994 wieder aufgegebenen Atombunkers für die Landesregierung (mit Seifestücken und einem Einzelbett für den Ministerpräsidenten), sondern auch ein Care-Paket und zwei Alternative Wappen-Entwürfe. Angeblich soll der Rhein darin manchen zu dominant gewesen sein, vielleicht sollte die Lippische Rose auch einfach nicht genauso groß werden wie das Westfalen-Ross auf rotem Grund. Dafür fließt der Rhein im jetzigen Landeswappen, das dann ausgewählt wurde, falsch herum: von links unten nach rechts oben, anders als auf den allermeisten Landkarten. Es ist furchtbar. Aber es geht.