Essen. Als letzter Fernsehsender entschloss sich Sat1 zu einer Sondersendung zum Tode von Robert Enke am späten Mittwochabend. Johannes B. Kerner hatte eingeladen und wollte Werbung für seine zum Privatsender gewechselte Talkshow machen. Es blieben aber viele Fragen offen.
Was die einen können, kann er schon lange: Ganz nach diesem Motto trat am späten Mittwochabend der allgegenwärtige Fernsehmann Johannes B. Kerner in Erscheinung. Zum traurigen Anlass des Selbstmordes von Fußball-Nationaltorwart Robert Enke hatten zwar bereits n-tv und N24 rund um die Uhr, das DSF mit einer zweistündigen Sondersendung, das ZDF mit „Markus Lanz“ und RTL mit Günther Jauchs „Stern TV“ reagiert – aber auch Sat1 wollte mit dem "Kerner Spezial - zum Tode von Robert Enke" seinen Beitrag zur Trauerbewältigung leisten. Das gelang aber nicht. Denn das, was der mehrfach preisgekrönte Moderator in dieser Sendung bot, war ein Beispiel an Übereifer und Lieblosigkeit.
Schmunzelnd, theatralisch, naiv
Wie gewohnt ging Kerner mit seiner sehr eigenen Art – mal nett schmunzelnd, mal seltsam theatralisch, mal verblüffend naiv - an seine Gesprächspartner heran: Doch Hannovers Präsident Martin Kind, Enkes Torwarttrainer Jörg Sievers, die Psychologin Aneta Szpigiel und Florian Gothe, Präsident der Spielervereinigung VdV, blieben während der 57-minütigen Sendezeit bloß blasses Beiwerk.
Kerner war zweifellos gut vorbereitet, stellte einige wahrlich interessante Nachfragen, etwa ob nicht doch mehr dran war an der ominösen Virusinfektion Enkes vor einigen Wochen oder wie der Nationalkeeper seine letzten Stunden zwischen Bundesligaspiel (Sonntagnachmittag) und Selbstmord (Dienstagabend) verbrachte – doch für die Antworten (offenbar nicht/trainierte am Montag) ließ der blonde Moderator kaum Raum.
Einig war sich die Runde, dass Enkes Witwe Teresa ein mutiger und selbstbewusster Mensch sei. Johannes B. Kerner lobte „den beeindruckenden Auftritt einer wirklich starken Frau“ auf der Pressekonferenz am Mittag. Jedoch wirkte auch hier seine Anteilnahme kühl, geplant, professionell halt. Ist ja auch nicht seine erste Sendung. Der Zuschauer aber fragte sich mit Recht: Liegt Enkes tragischer Tod nun erst 30 Stunden oder doch schon 30 Tage zurück? Die Moderationsmaschine Kerner jedenfalls funktionierte einwandfrei.
"Auch sensibel für andere Geschöpfe"
Torwarttrainer Jörg Sievers, der wirkte, als ob ihm während der Sendung klar wurde, dass er besser doch nicht zugesagt hätte, beschrieb seinen jahrelangen Trainingspartner Enke zögernd als „Kopf der Mannschaft“. In den letzten Tagen sei er „sehr locker“ gewesen. Und: „Alles war gut.“ Die in der Tat bemerkenswerte Neuigkeit, dass Robert Enke seine Frau belogen hatte, indem er ihr sagte, er müsse am Dienstag zum Training, sich aber auf zu den Bahngleisen bei Eilvese machte, fasste Kerner nüchtern unter dem Begriff „Legende aufbauen“ zusammen. Und erwähnte kurz darauf, dass Robert Enke immer „ja auch sensibel für andere Geschöpfe war, auch für Tiere.“ Richtig, ja. Aber unpassend.
Kerner fehlte in mehreren Momenten jenes Fingerspitzengefühl, mit dem er einst Verona Feldbusch so leicht zum Heulen brachte. Der Sat1-Rückkehrer wirkte so, als wolle er im Buch Enke mit aller Macht neue Kapitel aufschlagen anstatt den Deckel zuzuklappen. Er ließ sich nicht von seinem (Sende-)Plan abbringen. Weder vom bestürzten Jörg Sievers, der auf eine Frage gar nicht antwortete, noch von Psychologin Szpigiel, die bereits viele Profifußballer behandelt hat und in einem Nebensatz versteckte, dass rund zehn bis 15 Prozent der depressiv erkrankten Menschen Selbstmord begehen. Punkt. Danke. Nächstes Thema.
Danach kramte Johannes B. Kerner natürlich noch den „Fall Sebastian Deisler“ heraus und warnte weise vor den „Mechanismen des Geschäfts Profifußball“. Eine Steilvorlage für Hannovers Präsident Martin Kind: „Wir alle müssen lernen uns zu öffnen und die Schwächen zuzugeben.“ Und Kerner denkt plötzlich global, sieht die miese Wirtschaftslage, denkt an die Geschäftsleute, hebt den mahnenden Zeigefinger und ist wieder beim Legendenbilden: „Denn Verschweigen kann fatale Folgen haben.“
Vielleicht kann psychologische Betreuung helfen
Eine Schlussfolgerung des motivierten Moderators ist jene, dass psychologische Betreuung bereits bei Juniorenmannschaften, speziell in der Nationalmannschaft, helfen könne. „Könnte dies dann nicht ein Mini-mini-mini-Sinn von Enkes Freitod sein?“ Puuh. Und dann der entscheidende Satz: „Die große Frage, die über der ganzen Sache steht, ist doch: Warum?“ Und der müde Sat1-Zuschauer ergänzt um kurz nach Mitternacht gähnend: „Genau. Warum diese Sendung nur?“
Als dann Torwarttrainer Jörg Sievers soweit ist, dass er schwer schlucken und tief durchatmen muss, die Tränen in seine Augen schießen, Kerner ihn aber hastig abtut und sich wenige Sekunden später mit „Robert Enke - gestorben am 10. November 2009. Guten Abend aus Hamburg!“ verabschiedet, bleibt auch diese Frage unbeantwortet. Selbst ein Mini-mini-mini-Sinn war nicht zu erkennen.
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