Essen. Im Jahr 1998 gelang einem jungen Mann aus Jena bei Borussia Mönchengladbach der Sprung in die Bundesliga. Weil sich Robert Enke gewissenhaft darauf vorbereitet hatte. Ein Blick auf die Karriere des Torhüters, der an schweren Depressionen erkrankte und den Freitod wählte.
Der Reporter hatte einen Zeitungsausschnitt in seiner Mappe, den Artikel, den er vor dem ersten Auftritt des jungen Torhüters in der Bundesliga verfasst hatte. Titel: „Tag der Reifeprüfung”. Diese Prüfung hatte der damals 20-Jährige mit Bravour gemeistert. 3:0 gegen Schalke. Kein Gegentor! Welch ein Debüt.
„Kann ich das haben?”, fragte Robert Enke. Es war ihm wichtig, was über ihn geschrieben wurde. Offensichtlich ließ er sich noch davon begeistern, dass er im Zentrum von Berichterstattung stand.
Es gibt zwei Typen junger Fußballprofis. Etwas seltener geworden ist der unbekümmerte, nassforsche, leicht respekt- und noch reichlich ahnungslose Draufgänger. Deutlich öfter anzutreffen ist der chemisch gereinigte Frühreife, geschult in Medienarbeit, zurückhaltend im Auftreten, offiziell zur Geduld verpflichtet.
Bei jenem Treffen am Ende des Jahres 1998 wurde er gebeten zu erzählen, wie es ihm ergangen war in den ersten fünf Monaten als Bundesligatorwart. Mehr Verantwortung, mehr Rummel, mehr Leistungsdruck: Wie ließ sich das alles bewältigen, vielleicht sogar: ertragen?
Er wusste, dass seine Chance kommen würde
Robert Enke saß im Presseraum von Borussia Mönchengladbach auf dem legendären Bökelberg und verblüffte den Gesprächspartner. Der junge Mann war bestens vorbereitet auf den ersten Tag im Scheinwerferlicht, obwohl er nicht wissen konnte, wann seine Chance kommen würde. „Irgendwie hatte ich es im Gefühl, dass sich in diesem Jahr etwas verändern würde”, erzählte er. „Der Zeitpunkt war wirklich günstig – die Umstände waren es allerdings nicht.” Er meinte damit die unvorhersehbare Verletzung des routinierten Gladbacher Stammtorhüters Uwe Kamps, der im Training einen Achillessehneriss erlitten hatte.
Zweieinhalb Jahre zuvor war Robert Enke aus Jena nach Gladbach gekommen, um Karriere zu machen. Vorher hatte er noch sein Abitur gebaut, gewissenhaft: „Das war für mich erst einmal wichtig.” Unaufgeregt reihte er sich ein bei der Borussia, als Ersatztorwart musste er warten können. Auch wenn es ihm nicht gerade leicht fiel.
„Alles läuft immer gleich ab”, erzählte er. „Du hast zwei Jahre kein Pflichtspiel, aber in der U-21-Nationalmannschaft musst du trotzdem deine Leistung bringen.”
Trainer Rausch schwärmte
Robert Enke dachte und arbeitete zielstrebig. Seinem Trainer Friedel Rausch war klar, dass er keinen Nichtschwimmer für die olympische Freistilstrecke nominieren musste: „Er ist ein großartiger Junge”, schwärmte Rausch. „Er ist sachlich, hat immer gut trainiert. Er hat mein Vertrauen und das der Mannschaft. Die Jungs haben gesagt: Trainer, der macht das schon.”
Dieses Vertrauen nahm Robert Enke mit, als er erstmals durch den Tunnel in den Löwenkäfig lief: „Ich war einfach nur gespannt auf das, was da jetzt kam.” Nach dem guten Auftakt ging es mit Gladbach bergab, beim 2:8 gegen Leverkusen und beim 1:7 in Wolfsburg blamierten sich einige Abwehrdarsteller der Borussen – nur der junge Torwart nicht. Der hielt, was zu halten war, und bewahrte auf er-
staunliche Weise die Ruhe. „Für mich waren nicht einmal die 15 Gegentore in zwei Spielen Stress”, erzählte er. „Da bin ich so selbstbewusst zu sagen, dass ich am wenigsten etwas dafür konnte.”
Robert Enke gab sich enorm sicher – ohne auch nur ein einziges Mal die Grenze zur Arroganz zu überschreiten. Manchmal klang er, na ja, ein wenig altklug, aber: War das ein Wunder bei dieser selbst auferlegten Pflicht zur Vernunft, zur frühen Reife? Robert Enke blieb im Gespräch bewusst ernst, er unterstützte seine Ansichten nicht einmal mit einem Lächeln. Nie plapperte er einfach drauflos, überlegt sagte er: „Nach Fehlern sollte man nicht niedergeschlagen sein und nach guten Leistungen nicht abheben.”
Nach dieser Begegnung wettete der Reporter mit einem Kollegen, dass dieser karrierebewusste junge Mann Nationaltorhüter werden würde. Der Reporter verlor. Weil die Wette zeitlich begrenzt war, auf fünf Jahre. Erst 2007 durfte er sich bestätigt fühlen. Bei seinem ersten Länderspiel schien es Robert Enke tatsächlich geschafft zu haben. Ein Irrtum.