Berlin. Robert Enke hat seinem Leben ein Ende bereitet, indem er sich vor einem Zug warf. Ähnliche Fälle passieren bis zu 1000 Mal im Jahr in Deutschland. Jedes Mal ist neben dem Opfer auch der Lokführer betroffen. Im Fall Enke ist es nicht anders, daran erinnert der Fahrgastverband Pro Bahn.

Es passiert durchschnittlich drei Mal am Tag: Ein verzweifelter Mensch nimmt sich das Leben, indem er sich vor einen fahrenden Zug wirft. Meist wird darüber geschwiegen, und die Eisenbahnunternehmen sind extrem zurückhaltend mit Informationen darüber. Sie fürchten den nach Goethes tragischen Helden benannten «Werther-Effekt»: eine Welle von Nachahmungstaten.

Am Dienstagabend wählte Nationaltorwart Robert Enke diese Todesart und rückte sie damit ins Licht der Öffentlichkeit. Bereits Anfang Januar hatte sich ein Prominenter vor einen Zug geworfen, der Milliardär Adolf Merckle.

Etwa 800 bis 1.000 Fälle pro Jahr gibt es, die Tendenz ist wie bei Selbstmorden in Deutschland allgemein leicht rückläufig. In dieser Zahl sind die gescheiterten Fälle nicht mit eingerechnet, bei denen die Opfer zwar überleben, aber oft mit schwersten Verletzungen und Verstümmelungen. Immer aber ist es extrem grausam, auch für die Beteiligten, die Verstümmelungen oder Überreste sehen, gerichtsmedizinisch behandeln oder auch nur abtransportieren zu müssen. Jedes Mal ist neben dem Opfer auch mindestens ein Lokführer betroffen.

Pro Bahn übt Kritik

Die Bahn äußerte sich am Mittwoch erschüttert über das «tragische Ereignis» und sicherte zu, der Lokführer werde intensiv psychologisch betreut. Der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn reagierte mit großer Bestürzung, aber auch mit kritischen Tönen auf den Selbstmord. 'Ich finde solch ein Verhalten unverantwortlich, weil das Leben eines Lokführers stark geschädigt wurde. Andererseits muss Robert Enke ja in einer wahnsinnig verzweifelten Situation gewesen sein', sagte Karl-Peter Naumann.

Statistisch erlebt es jeder Lokführer drei Mal in seiner Berufslaufbahn, dass sich jemand in Selbstmordabsicht vor den Zug wirft. Wie sehr der Eisenbahner davon betroffen ist, hängt von den Umständen und von seiner psychischen Konstitution ab, aber zum Beispiel auch von dem Zugtyp.

Bei strömungsgünstig gestalteten Zugfronten - etwa dem ICE - werden Gegenstände, die bei hoher Geschwindigkeit auf die Zugfront treffen, meist nach oben, also vor die Windschutzscheibe und weiter geschleudert. Bei Regionalzügen - wie in den Fällen Enke und Merckle - rutschen sie unter das Fahrzeug.

Lokführer wird psychologisch betreut

Der betroffene Lokführer wird anschließend vom Dienst freigestellt und entsprechend seinen Bedürfnissen psychologisch betreut. Nach dieser Phase wird ebenfalls unter Berücksichtigung der Wünsche des Triebfahrzeugführers entschieden, ob er wieder im Führerstand arbeitet. Wenn nicht, stellt die Bahn eigenen Angaben zufolge sicher, dass er an einem anderen Arbeitsplatz tätig werden kann.

Wie lange es nach einem Selbstmord dauert, bis die Strecke wieder freigegeben wird, hängt ebenfalls von den Umständen ab. In der Regel kann der fragliche Zug nach etwa einer Stunde seine Reise fortsetzen, wenn Staatsanwaltschaft und Spurensicherung ihre Arbeit beendet haben. Für derartige Verspätungen haftet die Bahn gegenüber den Fahrgästen nicht, weil die Ursache außerhalb ihres Einflusses liegt.

Nach Darstellung der Bahn gibt es, anders als bei Autos, keine Vorkehrungen an den Triebfahrzeugen oder Steuerwagen, die eigens dafür gedacht sind, bei Kollisionen mit Lebewesen deren Überlebenschancen zu erhöhen. (ap/sid)