Frankfurt/Main. Nach dem Freitod des Nationaltorhüters Robert Enke ist die Diskussion über Depressionen bei Profisportlern in vollem Gange. Viele kommen mit dem Druck nicht zurecht und haben große Versagensängste. Der Trend geht zu psychologischer Betreuung im Profifußball.
Fußball ist ein Männersport, der Spieler darf keine Schwäche zeigen: «An diesem Klischee ist viel dran», sagt der Sportpsychologe Lothar Linz. «Der Leistungssport lässt generell wenig Raum für Schwächen. Und das ist beim Fußball noch mal verstärkt, da er vielfach im alten Denken verharrt.» Nicht alle Sportler kommen mit dem Druck seitens des Vereins und den Erwartungen der Öffentlichkeit klar.
Nationaltorwart Robert Enke verschwieg jahrelang Versagensängste und Depressionen. Sebastian Deisler von Bayern München ging mit seiner Krankheit zwar an die Öffentlichkeit, beendete aber seine Karriere. Skispringer Sven Hannawald stieg nach einem Burn-Out-Syndrom aus.
Tobias Rau hatte im Alter von 27 Jahren genug. Er sei zwar gerne Profifußballer gewesen, versicherte der frühere Nationalspieler: «Aber ein gewisser Druck ist schon von mir abgefallen. Allein dadurch, dass man künftig nicht mehr so in der Öffentlichkeit steht. Aber auch, weil der Leistungsdruck weg ist. Denn der war nicht nur bei den Spielen da, sondern auch immer wieder im Training. Das Konkurrenzdenken, das Messen mit anderen Spielern gibt's für mich künftig nicht mehr und erleichtert mich gewissermaßen», sagte Rau dem «Westfalen-Blatt».
«Ausleseprozess in den Jugendmannschaften»
Druck vom Verein, von Fans und Medien: «Es gibt immer wieder Leistungssportler, die mit diesem Umfeld nicht zurecht kommen», sagt der Sportpsychologe Linz, der Spieler der Bundesliga-Mannschaft von Bayer Leverkusen betreut hat. «Keiner darf Schwäche zeigen - das ist wie in den Topetagen der Wirtschaft.»
Viele labilere Fußballer schafften es gar nicht erst nach ganz oben: «Es gibt nicht viele psychisch auffällige Profifußballer. Das lässt auf einen Ausleseprozess in den Jugendmannschaften schließen», sagt der Psychologe: «Wer weich und schwach ist, steigt früher aus». Dennoch gebe es vermutlich noch einige Spieler in der Bundesliga, die an Depressionen litten.
Das Problem gebe es auch in den unteren Ligen, erklärt der Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV, Ulf Baranowsky. Auch dort komme es vor, dass Sportler Drohanrufe erhielten oder ihre Autos zerkratzt würden. Nach einer Heimniederlage von Drittligist Dynamo Dresden hoben Unbekannte auf dem Trainingsplatz elf Gräber aus. Im Gegensatz zu den Bundesliga-Stars komme in den unteren Ligen oft noch ein finanzieller Druck für die Spieler dazu. «Viele fressen das in sich rein, aber glücklicherweise suchen immer mehr auch psychologische Hilfe», sagt Baranowsky.
«Wird oft nicht publik gemacht»
Es gebe im Fußball ganz klar einen Trend zur sportpsychologischen Betreuung, bestätigt Linz. «Das wird aber oft nicht publik gemacht, was tief blicken lässt.» Einige Spieler suchten unabhängig vom Angebot ihres Vereins professionelle Hilfe. Laut VDV-Geschäftsführer Baranowsky arbeiten etwa Bayern München und der VfL Bochum mit Sportpsychologen zusammen, die TSG Hoffenheim beschäftige einen Jugendberater.
Wunder wirken könne aber auch ein Sportpsychologe nicht, unterstreicht Linz und verweist auf den «Extremfall Enke». Bei diesem habe es keine erkennbaren Zeichen seiner Erkrankung gegeben. Sogar Bundestrainer Joachim Löw sei vom Suizid des Torhüters völlig überrascht gewesen: «Er muss sich gut verstellt haben», sagt Linz.
Baranowsky hofft, dass der Tod Enkes bei Spielern, Trainern, Fans und Medien zum Nachdenken über den Umgang miteinander führt. Auch Linz sagt: «Jedes Unglück ist eine Chance.» (ap)